Grafik: Wer Bitcoin besitzt, bleibt vermögend. Wer Sat besitzt, nicht.

3 Argumente für Bitcoin, 1 Problem

oder: Bitcoin muss noch zu Ende gedacht werden

E.L. Tankred

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Bitcoin ist komplex, heißt es. Um ihn zu verstehen, berufen sich die Verfasser unzähliger Beiträge auf Wissen aus Bereichen wie Informatik, Physik, Ökonomie oder Spieltheorie. So lang die Liste der Urheber auch ist, an einer Erfahrung mangelt es:

Bitcoins Auswirkungen auf die Gesellschaft

Diese Auswirkungen können positiv wie negativ sein. Im Folgenden möchte ich mich auf ein Problem für die Gesellschaft konzentrieren, das Bitcoin in Zukunft offenbaren wird. Herleiten werde ich dieses Problem aus drei Argumenten. Bisher hat sie keiner in Frage gestellt. Schaffst Du es?

Bevor ich das Problem anspreche, vor das uns Bitcoin in Zukunft stellen wird, möchte ich Dir noch eines versichern: Ich liebe Bitcoin. Er wird viele Probleme der Gegenwart lösen. Davon bin ich überzeugt. Nachfolgend betone ich das Problem, das Bitcoin in Zukunft erzeugt, weil ich mir Lösungen dafür wünsche.

Argument 1: Der Gewinner bekommt alles

Nur die Wenigsten können einen Markt für sich ganz alleine erobern. Dies liegt an zwei Voraussetzungen, die schwer zu erfüllen sind. Bitcoin scheint beide für sich beanspruchen zu können:

1. Netzwerkeffekt

Wie das Telefon oder das Internet unterliegt auch Bitcoin als elektronisches Peer-to-Peer Geldsystem einem Netzwerkeffekt. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass jeder neue Nutzer das Netzwerk ungleich wertvoller macht [1]. Für Bitcoin bedeutet dies, dass er für seine Nutzer umso wertvoller wird, je mehr Menschen ihn zum Sparen verwenden oder ihn als Zahlungsmittel akzeptieren.

2. Schwer nachahmbare Eigenschaften

Die zweifelsohne wichtigste Eigenschaft Bitcoins besteht darin, dass er zwar einen Erfinder, aber keinen Chef hat. Diese Eigenschaft weist keine andere Kryptowährung auf. Seitdem sich Satoshi Nakamoto von Bitcoin zurückgezogen hat, wacht eine Gruppe von Freiwilligen über seinen Code. Auf die Regeln, denen Bitcoin unterliegt, haben sie jedoch kaum Einfluss.

Bitcoins Dezentralität bietet weder Regierungen noch anderen Interessenvertretern einen Ansprechpartner, der ihren Aufforderungen nachkommen könnte oder gar käuflich wäre. Die Gleichberechtigung aller Nutzer macht Bitcoin unabhängig von der Politik und garantiert für immer seine Begrenzung auf maximal 21 Millionen Stück.

Diese Eigenschaft von Bitcoin (und viele weitere) spricht dafür, dass er zum weltweit dominierenden Geld werden wird. Er wird alle Werte aufsaugen [2].

Argument 2: Das einzige unvergängliche Gut der Welt

„Alles was entsteht, ist Wert, dass es zugrunde geht“, wusste schon Faust in Goethes gleichnamigem Werk. Schaust Du in die Natur, vergeht nicht nur das Leben. Der schiefe Turm von Pisa neigt sich seinem Fall entgegen, Euphrat und Tigris trocknen aus und die Kontinente reißen Pangäa auseinander. Selbst die Sonne, die unser Leben ermöglicht, wird in etwa 5 Milliarden Jahren sterben.

In der Natur währt nichts ewig. Bitcoin wird die Menschen jedoch überdauern. Er wird Deine Ersparnisse konservieren, solange Du sie nicht ausgibst. Durch seine Peer-to-Peer Architektur kann er von Dir genauso wenig zerstört werden, wie andere Deine angesparten Satoshis zerstören können. Um Bitcoin zu zerstören, müssten sich alle gegen ihn entscheiden. Und das ist total unwahrscheinlich.

Bitcoins Vorteil der Unabhängigkeit von Politik und einzelnen Interessen wird zum Nachteil, wenn er unendliches Wachstum wie bei Krebstumoren ermöglicht. Wo ich diese Gefahr sehe, zeigt das dritte Argument.

Argument 3: Deflation ist die risikofreie Vermehrung der Kaufkraft für Reiche

Im Gegensatz zur Natur wird Bitcoin wohl nie durch Menschen zerstört werden. Wer seinen Code verändert, schafft nur einen neuen Coin. Zerstören wird er Bitcoin damit nicht, weil er zuallererst ein Netzwerk ist.

Überlebt auch nur eine einzige Bitcoin Node mit ihrem Kassenbuch, überlebt Bitcoin. Wie könnte Bitcoin als Krebsgeschwür aussehen? Das möchte ich Dir mit einem Gedankenexperiment nahebringen. Bevor ich jedoch damit beginne, lass uns noch schnell auffrischen, was Inflation und Deflation sind (Überspring den Teil einfach, wenn Du beide voneinander unterscheiden kannst.):

— — — Anfang der Auffrischung — — —

1. Geld und sein Wert

Geld spiegelt den Wert der Leistungen und Waren wider. Demzufolge kann das gesamte Geld auf der Welt nur so viel Wert sein wie die weltweite Wirtschaftsleistung.

2. Inflation

Inflation kommt vom lateinischen ‘inflare’ und bedeutet ‘ausweiten’. Wird die Geldmenge stärker ausgeweitet als die Leistungen und Waren, sprechen wir von Inflation. Die Preise steigen, weil derselben Menge an Leistungen und Waren mehr Geld gegenübersteht. Bei Inflation sinkt also die Kaufkraft des Geldes, weil für dieselbe Menge Geld weniger Waren zu erhalten sind.

Grafik: Bei Deflation sinken die Preise und die Kaufkraft steigt. Bei Inflation ist das umgekehrt.
Inflation und Deflation

3. Deflation

Deflation ist das Gegenteil von Inflation und bedeutet ‘verkleinern’. Wird die Geldmenge stärker reduziert als die Leistungen und Waren, sprechen wir von Deflation. Die Preise sinken, weil derselben Menge an Leistungen und Waren weniger Geld gegenübersteht. Natürlich gilt dies auch umgekehrt, wenn derselben Geldmenge mehr Leistungen und Waren gegenüberstehen. Bei Deflation steigt also die Kaufkraft des Geldes, weil für dieselbe Geldmenge mehr Waren zu erhalten sind.

— — — Ende der Auffrischung — — —

Wir wissen um Bitcoins Halvings. Etwa alle 4 Jahre kommen mit jedem neuen Block weniger Bitcoin in den Umlauf. Aktuell sind dies 6,25 Bitcoin, was derzeit einer jährlichen Inflation von 1,7 Prozent entspricht. Bis etwa zum Jahr 2140 wird Bitcoins Inflation auf 0 Prozent sinken. Ohne diese Inflation kann Bitcoin keine Kaufkraft verlieren (oder bis dahin nur sehr wenig). Daher werde ich seinen Kaufkraftverlust nachfolgend nicht weiter berücksichtigen.

Im Gegensatz zum inflationären Fiatgeld wird Bitcoin deflationär sein. Das bedeutet, Bitcoin wird an Kaufkraft gewinnen, weil die Produktivität unserer Wirtschaft steigt. Dies liegt daran, dass sowohl unsere Technik als auch unsere Methoden besser werden. Ein Beispiel:

Ein Fischer, der mit bloßen Händen jagt, fängt weniger als der mit einer Angel. Mehr als diese beiden bringt ein Fischer mit einem Netz nach Hause, der es durch die Meere zieht.

Die Produktivitätssteigerung habe ich mit Hilfe des realen, also um die Inflation bereinigten, Bruttoinlandsproduktes erfasst. (Solltest Du eine bessere Methode kennen, hinterlasse bitte einen Kommentar.) Laut FRED lag die Produktivitätssteigerung der USA von Januar 1947 bis Juli 2022 bei durchschnittlich 0,75 Prozent (Median: 0,7%; Min: -9,3%; Max: 7,3%) [4].

Welche Auswirkungen ein jährliches Produktivitätswachstum von nur 0,7 Prozent auf das Bitcoin Vermögen hätte, zeigt die folgende Tabelle:

Grafik (Tabelle): Bei 0,7% Produktivitätssteigerung und einem Lebensstandard von 100.000 Sats sind von einem Bitcoin nach 20 Jahren 98% übrig. Derselbe Lebensstandard kostet nur noch 87%.
Auswirkungen eines jährlichen Produktivitätswachstums

Angenommen, Du verfügst über einen Bitcoin (100.000.000 Sats) und benötigst 100.000 Sats für Deinen Lebensunterhalt. Aufgrund der steigenden Kaufkraft wirst Du in den Folgejahren immer weniger Geld von Deinem Vermögen benötigen, um denselben Lebensstandard zu halten. Da das benötigte Budget für Deinen Lebensstandard schneller sinkt als Dein Vermögen, vermehrt sich Deine Kaufkraft risikofrei. Dieser Vorteil beginnt bei einem Vermögen von mehr als 14.285.715 Sats.

(Zur Erinnerung: Fiatgeld ist NICHT risikofrei, weil die Inflation seine Kaufkraft senkt.)

Verfügst Du hingegen über weniger als 14.285.715 Sats, schwindet Dein Vermögen unter denselben Bedingungen. Denn Du musst für Deinen Lebensunterhalt mehr ausgeben als Deine Ersparnisse an Kaufkraft gewinnen.

Darüber, was das für diejenigen ohne irgendwelche Sats bedeutet, kann ich nur spekulieren. (Ich gehe davon aus, dass ein paar Wenige mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit zu einem Vermögen kommen werden. Allen anderen wird dieser Erfolg jedoch vorenthalten bleiben. Ihre Abhängigkeit wird zunehmen.) Am Ende ist es auch nicht wichtig. Ob die Zahlen meines Gedankenexperiments stimmen, ist ebenso unwichtig. Denn das Phänomen bleibt. Kannst Du mehr Bitcoin sparen, als Du für Deinen Lebensunterhalt benötigst, kannst Du Dich risikofrei auf Deine Zukunft freuen.

Das Problem: Reiche werden Reicher

Leider lehren uns die Sklaverei, der Feudalismus und der Kapitalismus, dass Geld zu Geld führt. Wie bisher gezeigt, kann Bitcoin das nicht ändern. Seitdem die Menschen ihren Platz auf der Welt eingenommen haben, nutzten immer ein paar ihre Gelegenheit, um sich Vorteile auf Kosten der Mehrheit zu verschaffen.

Mit Geld lassen sich die eigenen Ziele verteidigen. Mit Ersparnissen, die nicht für den eigenen Lebensunterhalt benötigt werden, können sich Bitcoin-Wale alles erkaufen, was ihnen nutzt. Um einen Eindruck von dieser Zukunft zu bekommen, müssen wir uns nur die Gegenwart ansehen: Seien es Medien, die eine Meinung gewinnbringend verbreiten. Seien es Konkurrenten, die aufgekauft werden, um das eigene Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Seien es Politiker, die geschäftsfördernde Gesetze sicherstellen, etc. [5]

Für heutige Nocoiner oder zukünftige Geringverdiener bedeutet das, dass ihre Chance geringer sein wird als bei den Reichen, in Freiheit zu leben. Dass Bitcoin auch die Ersparnisse der Armen schützt, wird ihnen nicht helfen, solange andere ihnen ihre Lebensbedingungen diktieren können. Natürlich kann ich diese Lebensbedingungen Stand heute nicht benennen. Doch die Geschichte des Reichtums reimt sich von der Sklaverei bis zum Kapitalismus.

Die Geschichte wird sich auch in Zukunft reimen. Ist es da nicht an der Zeit, dem vorzubeugen?

Zusammenfassung

Bitcoins Eigenschaften, sein Netzwerkeffekt und seine Unvergänglichkeit werden seine Verbreitung auch in Zukunft fördern. Meine vorgebrachten Argumente werden daran nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Die Argumente sprechen geradezu dafür, Bitcoin zu hodln.

Nichtsdestotrotz werden wir einen Mechanismus brauchen, der den Vorteilen Weniger vorbeugt, die zu Lasten der Mehrheit gehen. Die Umverteilung von Bitcoin und Vermögen wäre ein solcher Mechanismus. Wie dieser genau aussehen kann, müssen wir als Gesellschaft diskutieren. Mein Wunsch wäre, jedem Menschen von Geburt an dieselben Startbedingungen und freien Wettbewerb zu bieten. Wichtig ist, dass jeder diesem Wettbewerb unterliegt und nicht nur jene, die sich nicht davon freikaufen können. Nur so kann Wettbewerb das Leben aller weiter verbessern.

Eine Patentlösung kann es nicht geben, weil wir die Chance für faire Startbedingungen im Leben zum ersten Mal schaffen würden. Nutzt Du die Chance?

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Bezug zu eigenen Artikeln

Quellen

[1] https://aprycot.media/blog/der-bitcoin-netzwerkeffekt/ Stand: 07.12.2022

[2] https://medium.com/coinmonks/hyperbitcoinization-winner-takes-all-69ab59f9695f Stand: 07.12.2022

[3] https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpops/ecb.op268~73e6860c62.en.pdf, https://www.wirtschaftundschule.de/unterrichtsmaterialien/staat-und-wirtschaftspolitik/hintergrundtext/wirtschaftswachstum-international-%E2%80%93-einige-fakten/ Stand: 07.12.2022

[4] https://fred.stlouisfed.org/series/GDPC1 Stand: 12.12.2022

[5] https://www.zeit.de/2022/49/milliardaere-elon-musk-rupert-murdoch-superreiche-usa Stand: 08.12.2022

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E.L. Tankred

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