Content Strategie: Mehr als Handwerk

Thomas Pleil
Wandel in Kommunikation und Marketing
6 min readJan 22, 2016

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Die Diskussion um Content Strategie dreht sich häufig um das „Wie“ - das Handwerkliche. Es gibt aber auch andere Seiten: Natürlich soll Content Strategie wirken, aber sie wirkt sich auch aus - zum Beispiel auf die Organisation von Kommunikationsabteilungen, auf die Beratung durch Agenturen genauso auf Anforderungen an Content Management-Systeme.

Diese Auswirkungen von Content Strategie haben wir in den Mittelpunkt eines Lehrprojektes im Studiengang Onlinekommunikation (B.Sc.) an der Hochschule Darmstadt im Wintersemester 2015/16 gestellt. Die Idee unserer so genannten Lernagentur: Wir lesen und diskutieren nicht nur, sondern wir fragen Profis, probieren Tools und Systeme - und wir entwickeln für unser Projekt eine Content Strategie, publizieren die Ergebnisse. Schließlich kann man sich schlecht mit Content beschäftigen und diesen in der Schublade verstecken. Wir, das sind 22 Studierende des dritten Semesters in #onkomm sowie Kersten Riechers (Geschäftsführer der Agentur quäntchen + glück) und ich. Lernagentur” bedeutet in unserem Studiengang: Projektorientiertes Arbeiten, entweder in Kooperation mit Unternehmen oder NGOs oder zu einer von uns selbst definierten Aufgabenstellung — wie in diesem Fall.

Ausgangspunkt: Walled Gardens vs. Open Web

Das Web hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Dieser Wandel wurde vielfältig beschrieben und diskutiert: Plattformen wie Facebook, aber auch LinkedIn, Instagram und auch Medium oder künftig Twitter tun fast alles dafür, ihre Nutzer im eigenen Universum zu halten. Dazu bieten sie unter anderem immer mehr und immer bessere Publikationsmöglichkeiten: Native Videos, Instant Articles, LinkedIn Pulse sind ein paar Beispiele. Ob das den Tod des Open Web aus einzelnen Websites, Blogs, Foren etc. bedeutet, ist die eine Diskussion, die wir nur gestreift haben. Die andere: Wer Inhalte erzeugt, muss sich dies anschauen und mit den Walled Gardens irgendwie umgehen. Oder, wie Heinz Wittenbrink, Gründer des ersten Studiengangs zu Content Strategie allgemeiner beschreibt, wenn er die Diskussion um Content Strategie erklärt:

Neu daran sind nicht die Inhalte selbst und ihre Bedeutung, neu ist die Verfügbarkeit und der Weg zu den Inhalten im Netz.

Nachdenken und mit den Entwicklungen im Web und im Publizieren umgehen lernen müssen also: Blogger, Journalisten und ihre Arbeitgeber. Aber eben auch NGOs, Institutionen und Unternehmen — im Rahmen ihrer Content Strategien. Für den Medienbereich fordert der Journalistik-Professor Jeff Jarvis schon lange und gerade wieder in einem Interview während der DLD16:

Der Inhalt muss zu den Menschen kommen, nicht umgekehrt. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass die Leute unsere Website besuchen.

Burt Herman, Mitgründer von Storify, folgert:

The coming year will see more companies abandon websites altogether to save costs, pouring all resources into media creation and leaving presentation and distribution entirely to outside platforms.

Um es klar zu stellen: Die Zitate von Jarvis und Herman beziehen sich auf Medienunternehmen, deren Geschäftsmodell auf redaktionellem Content basiert. Ich bin nicht davon überzeugt, dass gerade die These zur Aufgabe von Websites auf einen nennenswerten Teil von Unternehmen zu übertragen ist: Corporate Websites haben andere Funktionen als journalistische Nachrichtenseiten. Sie sind auch Imagefaktor, bieten Services für Kunden (vom Shop bis zu detaillierten Produkinfos und Hilfestellung) oder Angebote für Bewerber, Vertriebspartner, Investoren etc.

Allerdings: Wenn es um aktuelle Infos oder Fachkommunikation geht, stellt sich sehr wohl die Frage, wie mit der skizzierten Entwicklung umzugehen ist. Hinzu kommt für Unternehmen wie auch für Redaktionen die Herausforderung des crossmedialen Publizierens. Schließlich kommunizieren Unternehmen nicht nur im Social Web und auf ihren Websites, sondern sie geben auch Printmagazine, Broschüren etc. für Kunden, Vertriebspartner, Mitarbeiter etc. heraus. Diese Überlegungen haben uns zum Arbeitstitel unseres Projekts gebracht: Medienneutrales Publizieren. Die Idee: Content muss in Unternehmen erst einmal unabhängig vom Ausspielkanal gesehen werden. Die Hypothese: Zunächst müssen ausgehend von der Kommunikationsstrategie Themen für die Zielgruppen entwickelt werden, dann erst stellt sich die Frage, wie der Content für unterschiedliche Ausspielkanäle — Print, Web, Social Web — angepasst wird.

Fünf erste Erkenntnisse

Wir haben zu diesen Fragen regelmäßig diskutiert, die Studierenden haben online recherchiert und mit Experten gesprochen. Im Lauf des Projektes sind wir zu fünf Feststellungen gekommen, die die weitere Arbeit bestimmt haben:

  1. Die Content Revolution hat Einfluss auf die Beratung durch Agenturen bis hin zu neuen oder zumindest angepassten Geschäftsmodellen von Agenturen.
  2. Einige Unternehmen passen sich an die veränderten Kommunikationsbedingungen an, indem sie ihre eigene Organisation — die Kommunikations- und Marketingabteilungen — in Frage stellen und beispielsweise Newsrooms einführen.
  3. Wenn Themen erst entwickelt und dann flexibel für unterschiedliche Zielgruppen und Kanäle aufbereitet werden sollen, stellt dies neue Anforderungen an Content Management Systeme (CMS), die nicht mehr losgelöst von Publishing-Systemen betrachtet werden können.
  4. Wir selbst müssen Erfahrungen darin sammeln, unser Thema in ganz unterschiedlichen Formaten für verschiedene Kanäle aufzubereiten.
  5. Unser Arbeitsbegriff Medienneutrales Publizieren ist missverständlich und geht von einem falschen Bild — dem des Lautsprechers — aus. Und das ganze Thema ist sehr erklärungsbedürftig.

Das Vorgehen

Nach und nach haben wir herausgearbeitet, dass wir den ersten drei Fragen durch Rechercheteams intensiv nachgehen möchten. So hat sich ein Team mit Agenturen beschäftigt, die ihre Kunden intensiv zu Content Strategie beraten. Ein zweites Team hat zum Wandel von Kommunikationsabteilungen recherchiert und den Trend zum Newsroom als neue Organisationsform angeschaut. Das dritte Team hat herauszufinden versucht, wie sich Anforderungen an CMS geändert haben, was Hersteller versprechen und wie sich moderne CMS anfühlen. Ein viertes Team hat sich zur Aufgabe gemacht, den Gesamtzusammenhang in einem Erklärvideo für Einsteiger darzustellen.

Natürlich wollten wir unsere Ergebnisse in die Community einbringen: Hierum haben sich ein Redaktionsteam gekümmert sowie ein kleines Team, das unser seit zehn Jahren bestehendes Blog PR-Fundsachen komplett neu entwickelt hat — übrigens mit einer vollständig eigenen Frontend-Entwicklung.

Und schließlich haben wir intensiv über Begrifflichkeiten diskutiert: Medienneutral oder adaptiv, intelligent oder responsiv — wie soll Content denn nun eigentlich sein? Wir fürchten, all diese Begriffe sind nicht unproblematisch und warten mal ab, welcher sich durchsetzt.

Die Ergebnisse

Im Mittelpunkt unserer eigenen Content Strategie: Die von Grund auf im Projekt renovierten PR-Fundsachen.

Während des Semesters sind eine Menge Beiträge entstanden. Wir haben hierfür eine einfache eigene Content Strategie entwickelt:

  • Im Mittelpunkt steht das Blog PR-Fundsachen. Alle Interviews und Fachartikel sind dort erschienen.
  • Das Blog wurde jetzt so erweitert, dass Informationspakete als schicke One-Pager aufbereitet werden können. Diese entstehen gerade zu unseren Themen Agenturen, Abteilungen, CMS.
  • Neu eingerichtet haben wir einen Youtube-Kanal für Videointerviews, das Erklärvideo, und wir möchten dort weitere gute Videos zu Content Strategie sammeln.
  • Die Medium-Publikation Wandel durch Content Strategie ist als zusätzlicher Ausspielkanal gedacht, mit dem wir Erfahrungen darin sammeln möchten, Content zu den Nutzern zu bringen.
  • Und schließlich haben wir für die PR-Fundsachen einen Twitter-Kanal und eine Facebook-Seite, die der Verbreitung und der schnellen Diskussion unserer Themen dienen.

Was haben wir gelernt?

Wir haben sehr viel über Wechselwirkungen zwischen Content, Beratung, Organisation und Technik gelernt. Dazu gehört natürlich das bessere Verstehen von Agenturarbeit, der Herausforderungen in Unternehmen und ihrer Arbeitsweisen sowie Anforderungen an Mitarbeitende und damit auch an Studierende, die dort später arbeiten möchten.

Wichtig war dazu zunächst, die aktuellen Entwicklungen mitzubekommen und zu diskutieren — jede Woche haben wir damit unsere Treffen begonnen; und es verging kaum eine Woche, in der die Plattformen keine neuen Features angekündigt hätten. Und natürlich gab es viele Fallbeispiele aus Unternehmen zu besprechen. Neben den inhaltlichen Fragenstellungen hoffen wir Dozenten, dass die Studierenden erkannt haben, wie wichtig die Vernetzung mit der Community ist, wie diese entsteht und auch später helfen kann, up to date zu bleiben. Und natürlich hat das Team nach unserem Eindruck auch einige Sicherheit im Recherchieren, Erstellen, Anpassen und Ausspielen von Content bekommen. Ach ja: Und natürlich war das ein prima Übungsfeld zum Thema Projektmanagement. Danke an dieser Stelle an Google Drive und Slack.

Besonders aber möchten wir an dieser Stelle allen danken, die das Projekt möglich gemacht haben: Den Gesprächspartnern aus Wissenschaft, Agenturen und Unternehmen, den Mitarbeitern am Mediencampus und Freunden und Bekannten, die den Studierenden bei vielem geholfen haben — von der Reiseorganisation bis zur visuellen Umsetzung der Videos.

Eine tolle Bestätigung für die Studierenden war auch, dass ihre Beiträge zum Teil in PR-Fachmedien und von der Community weitergereicht wurden. Inhaltliche Rückmeldungen sind uns natürlich ebenso willkommen!

Ein Semester lang Content Strategie weiter gedacht: Das Team aus dem Studiengang Onlinekommunikation.

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Thomas Pleil
Wandel in Kommunikation und Marketing

Teaching Public Relations in the B.Sc. programme Online Communications (onkomm.de) at Darmstadt University of Appl. Scs. https://thomaspleil.de