Teil 1: Gesellschaft und Wandel im 21. Jahrhundert

Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?
4 min readJun 25, 2019

Was verstehen wir unter Gesellschaft und warum spielen technologische Entwicklungen bei gesellschaftlichem Wandel eine so große Rolle? In diesem ersten Kapitel möchten wir anhand grundlegender Begriffe erläutern, wie und warum sich unsere Gesellschaft gerade wandelt.

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Gesellschaft

Gesellschaften sind Gebilde, in denen Menschen zusammenleben und sich zueinander verhalten. Deshalb orientieren wir, Die Zukunftsbauer, uns an dem Verständnis von „Gesellschaft“, das in der „Theorie des kommunikativen Handelns“ bei Jürgen Habermas entworfen wird. Als zweites ist für uns die Gesellschafts-Definition von dem Soziologen Herbert Blumer wichtig, die er in seiner Theorie des symbolischen Interaktionismus zeichnet.

Habermas betrachtet die Gesellschaft nicht als eine homogene und abgeschlossene Gemeinschaft, sondern als ein Zusammenschluss von Menschen, die die Gesellschaft durch kommunikativem Handeln immer wieder reproduzieren und weiter entwickeln. Gesellschaftliche Realität begreift Habermas als „Lebensprozeß der Gesellschaft“, der durch „Sprechakte“, also Kommunikation, getragen wird.

Der symbolische Interaktionismus nach Herbert Blumer ist ebenfalls eine Theorie, in deren Zentrum das Handeln steht. Demnach haben soziale Objekte, Situationen und Beziehungen eine symbolische Bedeutung in dem Prozess der Interaktion. Kollektives Handeln stellt für den symbolischen Interaktionismus immer das Ergebnis oder den Prozess gegenseitig interpretierender Interaktionen dar.

Warum ist das wichtig? Um sich in der Zukunft gut orientieren zu können, muss man nicht nur wissen, wer man selbst ist, sondern auch welche Rolle man in der Gemeinschaft einnimmt und wie sich diese bildet. Aktuell kursieren viele Gesellschaftsbegriffe wie z.B. Wissensgeselleschaft oder digitale Gesellschaft. Zu verstehen, wie diese sich formieren ist wichtig, da sie wesentlich sind für die Entwicklung von Gemeinschaften in die Zukunft.

Spätmoderne Gesellschaft

Aufbauend auf dem Gesellschafts-Begriff verstehen wir die heutige Gesellschaft in einer spätmodernen Phase. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa datiert den Beginn der spätmodernen Gesellschaft auf das Wendejahr 1990 und die folgende Zeit, als Technologie sich rasant weiterentwickelte und somit sozialen Wandel beschleunigte.

Moderne

Mit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Prozess der Industrialisierung und ein damit einhergehender Wandel eingeleitet, der die damalige Gesellschaft maßgeblich und nachhaltig veränderte und eine begriffliche Abgrenzung zur vorherigen Epoche nötig machte. Die Moderne, welche gleichermaßen die gegenwärtige Epoche, als auch ein philosophisches Konzept meint, entwickelte sich um 1700 mit der Ablösung von der Tradition und dem Aufkommen der Aufklärung. Charakterisierend für die Moderne ist der Wechsel von Determination individueller Lebensläufen qua Geburt, durch das selbstständige Gestalten des eigenen Lebensweges. Verbunden mit der modernen Gesellschaft sind folgende Entwicklungen:

  • Ökonomisch: Entstehung des Kapitalismus
  • Politisch: Aufkommen der Demokratie
  • Kulturell: Durchsetzung des Individualismus

Sozialer Wandel

Unter dem Begriff des sozialen Wandels verstehen wir eine langfristige und tiefgreifende, strukturelle gesellschaftliche Veränderung. In der Sozialwissenschaft gibt es verschiedene Theorien dazu. So konkurriert der Begriff des Wandels häufig mit Begriffen, wie Evolution oder Fortschritt, die jedoch bereits eine bestimmte Wertung implizieren und deren Verwendung für uns deshalb nicht sinnvoll erscheinen.

Eine zentrale Darstellung des Phänomens des sozialen Wandels findet sich bei William Fielding Ogburn, der mit seiner 1922 veröffentlichten Schrift „Social Change with Respect to Culture and Original Nature“ als Begründer der Soziologie des Sozialen Wandels gilt. Sozialer Wandel wird nach Ogburn von technischen Erfindungen herbeigeführt. Technik als „materieller Teil“ der Kultur ist dabei dem „immateriellen Teil“, wie Organisationen, Werte, Normen oder Politik, immer einen Schritt voraus. Es entstehen also Anpassungsverzögerungen („cultural lag“), deren Zusammenhang wie folgt dargestellt werden kann:

Eigene Darstellung (vgl. Ogburn 1952).

Demnach verändern technische Innovationen, allen voran Basisinnovationen (siehe unser Glossar), bestehende Wirtschaftsstrukturen. Dies löst Veränderungen auf Seiten sozialer Einrichtungen, wie z. B. der Politik aus, was wiederum zu Änderungen von Werten und Zielen der Menschen führt und damit den Grundstein für neue Innovationen legt.

Modernisierung und technischer Fortschritt sind nach diesem Verständnis die Ursache für Wandel und bedingen auch dessen Intensität. Kritiker bemängeln zurecht, dass diese Theorie die kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen vernachlässigen, die überhaupt erst zu technologischen Erfindungen führen. Wir von den Zukunftsbauern glauben trotzdem, dass diese Sichtweise ihre Berechtigung hat, weil das 20. Jahrhundert gezeigt hat, wie grundlegend technische Entwicklungen andere gesellschaftliche Sphären verändert haben. Als Beispiel sei hier nur der Mikrochips genannt, dessen Erfindung zu der Entwicklung heutiger Computer geführt hat und heute selbstverständlich in unser Leben integriert ist.

Wie einschneidend technologischen Entwicklungen sein können, formuliert der Philosoph David Precht so:

„Mit jeder neuen Zukunft, jeder veränderten Technologie, jeder vergangenen Mode und jeder überholten Manier entwerten sich zugleich die alten Gepflogenheiten, die Sicherheiten, in denen unsere Psyche ruht, und die Verlässlichkeit des einmal auf eine bestimmte Art Gelernten.“

Unsere Zukunftsreise macht Lernenden diese zentrale Begriffe zugänglich und zeigt ihnen, wie Wandel entsteht und wie sich das 21. Jahrhundert entwickelt hat.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis senden wir dir gern zu bzw. veröffentlichen es in dieser Publikation in den kommenden Tagen. Die Inhalte des Artikels entstammen aus der Masterarbeit der Gründerin Aileen Moeck, die 2018 am Institut Futur der FU Berlin veröffentlicht wurde.

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Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?

Futurist, visionary & strategic mind, founder & activist, transformation, innovation and imagination @dieZukunftsbauer & @DasZukunftsbauerInstitut