Warum der Digitalpakt mehr ist als nur ein bisschen W-Lan für die Schulen

Aileen
Die Zukunftsbauer — was ist deine Mission?
10 min readJan 18, 2019

Die letzten Wochen kurz vor Weihnachten wurde in den Medien ausführlich die Gesetzänderung im Rahmen des Digitalpakts diskutiert. Mal davon abgesehen, dass dieser nach wie vor in der Schwebe hängt, ist er vor allem eins: Von Anfang an zu kurz gedacht. In diesem Artikel möchten wir mit euch einige Gedanken zum Thema teilen und vor allem die gesellschaftliche und wirtschaftliche Notwendigkeit dieses politischen Instruments betonen.

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Auf Kongressen wird betont, wie wichtig es sei, dass wir Schulen endlich digitaler machen müssen. Aufgrund von fehlenden Konzepten und Partnern sind diese bisher aber nicht viel weiter gekommen, als Pläne für einen W-Lan Ausbau zu formulieren. In der Tageszeitung hingegen lesen wir bereits, wie uns die Digitalisierung durch Künstliche Intelligenz und Robotik etc. Jobs wegnehmen wird. Irgendwo dazwischen findet sich der Lehrende, der diese beiden Welten in Einklang bringen muss. Dabei gerät dieser aktuell immer mehr in die Kritik und steht zunehmend unter Druck, da viele Eltern hier eine Entkopplung beobachten, die sich nicht nur in fehlenden Fähigkeiten des Kindes, sondern auch seiner Orientierungslosigkeit zeigt. Was wir dabei aber oft vergessen ist die Realität. Viele Lehrende verwenden täglich mehr Zeit und Kraft darauf psychologische und soziale Arbeit zu leisten als tatsächlich Unterricht zu machen. Sie haben im Alltag mit Themen wie Pubertät, Rassismus oder sozialer Spaltung zu tun. Statt also Lehrende zusätzlich unter Druck zu setzen, indem wir ihnen vorwerfen unsere Kinder nicht richtig auf die Zukunft vorzubereiten, müssten wir lieber daran arbeiten unsere Bildungspolitik zu erneuern. Denn, stecken wir nicht genug Geld in Schulen, dann sind wir vor allem eines nicht: Als Gesellschaft und Wirtschaftsstandort zukunftsfähig. Gut also, dass er endlich kommt, der Digitalpakt!

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Worum geht’s beim Digitalpakt eigentlich und was ist das Problem?

Kurz und knapp:

“Der Pakt umfasst fünf Milliarden Euro vom Bund für die Länder in den kommenden fünf Jahren und soll die Digitalisierung der Schulen vorantreiben.” Tagesschau 2018

Allerdings:

“Da Bildungspolitik Sache der Länder ist, hatte der Bundestag eine Grundgesetzänderung beschlossen, die der Bundesrat nun in der Form nicht mittragen will.” Tagesschau 2018

Ok, es gibt also so schnell erst einmal keine neuen Gelder. Das ist hart, aber damit war ja irgendwie zu rechnen. Aber selbst wenn, was passiert dann eigentlich mit dem Geld?

“Gekauft werden sollen unter anderem Laptops, Notebooks und Tablets.” Tagesschau 2018

Mhm, es sollen also vor allem neue Geräte gekauft werden. Hier mal ein kurzes Szenario dazu…

Von der kurzlebigen Euphorie technischer Artefakte

Man stelle sich vor die Stadt nimmt morgen Millionen in die Hand und kauft davon für alle SchülerInnen Tablets und Laptops. Das klingt erst einmal super. Doch wie geht das Ganze weiter? Im besten Falle würden die Geräte gewartet und immer auf den neuesten Stand gebracht sowie die Inhalte und Didaktik darauf angepasst werden. In der Realität aber haben viele Schulen nicht mal einen festen IT Experten im Team oder neue Räume für die passende Infrastruktur. Die Geräte würden schnell technisch überholt und früher oder später als technischer Knochen in der Ecke landen. Die Schule würde bald schon nach neuen Geräten fragen und die Stadt wird argumentieren, dass sie doch erst vor zwei Jahren Millionen für die technische Ausstattung frei gemacht hat und hier somit keinen neuen Bedarf sieht. Neue Gelder gibt es sowieso maximal bei der nächsten Legislaturperiode wieder. Schwierig, denn wie wir wissen kann in unserer beschleunigten Welt in zwei Jahren viel passieren. Am Ende bleiben also vor allem verschwendete Gelder, technischer Schrott (dabei ist E-Waste ein Riesenproblem), desillusionierte Lehrer und junge Menschen, die wieder (wie auch Generationen vor ihnen) von Technik abgeschreckt werden, weil die Inspiration und Anschlussfähigkeit zur echten Welt fehlen.

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Eine gewisse moderne technische Grundausstattung sollte in Schulen vorhanden sein, allerdings sind wichtiger als die jeweiligen zeitgenössischen technischen Artefakte selbst, damit verbundene Zugänge und ein kontextuales Verständnis. Neben digitalen Geräten und W-Lan muss vielmehr ein Ökosystem des Lernens aufgebaut und eine digitale Transformation eingeleitet werden.

Digitalisierung? Nein, digitale Transformation!

Die Schule steht unter dem Druck die Digitalisierung richtig anzugehen. Ein solcher Wandel aber muss zunächst einmal im Kopf passieren, in der Kultur und im Handeln. Damit ändert sich auch die Rolle des Lehrers, der hier selbst zum Lernenden wird. Was wir oft vergessen, Digitales hat viel mehr Facetten als nur die reine Technik dahinter. So gewinnen Kreativität und Empathie in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Anstatt über 4.0 müssen wir deshalb viel mehr über die Entwicklung eines Sets an Fähigkeiten und Denkmustern sprechen, welches es ermöglicht sich autonom in der digitalen Welt entwickeln und bewegen zu können. Digitalisierung bringt zudem ein so nie da gewesenes Empowerment, indem es neue Räume schafft. Digitale Lernumgebungen ermöglichen neben Kollaborationen zwischen unterschiedlichen Akteuren z.B. die Entdeckung von und einen experimentellen Umgang mit Wissen und können Empathie und Erlebbarkeit fördern.

(Hier unsere Artikel über: “Vorsicht, 4.0 Denken in Schulen wird unsere Bildungskrise nur verschlimmern” und “Wir brauchen ein Ökosystem und keine neue Austattung!”)

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Wollen wir die digitale Transformation in Schulen also richtig angehen, dann sollten wir uns von zwei Denkmustern lösen: 1. Digitalisierung heißt immer technische Artefakte und 2. Digitalisierung ist an Besitz gekoppelt. Wie wäre es also statt zu kaufen z.B. Leasingverträge zwischen Schulen und Hardware Herstellern oder Partnerschaften zwischen Schulen und lokalen Firmen anzuregen? Oder wie wäre es, die Zusammenarbeiten mit Maker Factories oder mobilen Reallaboren zu ermöglichen, die SchülerInnen nicht nur neue Technologien wie 3D-Druck oder VR zur Verfügung stellen, sondern sie auch (kritisch) an solche Zukunftstechnologien heranführen und Raum für eigene Ideen geben? Denn, statt Digitalisierung für „Effizienzmonster” werden zunehmend verantwortungsvolle, resiliente, kreative, problemlösende Menschen gebraucht (vgl. Precht 2013, S. 87), d.h. der Einzelne muss nicht nur für die systematischen und langfristigen Auswirkungen der Digitalisierung und des Wandels sensibilisiert werden, sondern auch lernen diese zu reflektieren und ggf. zu kritisieren. Dies aber erfordert es, dass wir nicht nur Geräte liefern, sondern auch: 1. Neue didaktische, inhaltliche Konzepte, 2. Mehr Partnerschaften, Netzwerke und Zusammenarbeit mit der außerschulischen Welt und 3. Zeitgemäße Fortbildungen für Lehrer zum Thema Wandel, Digitalisierung und Zukunft.

Statt also nur eine neue Ausstattung, muss der Digitalpakt vor allem eines fördern: Den Kulturwandel in Schulen, die sich auf dem Weg in ein neues Bidungszeitalter befinden und Bildungsinnovationen, die Lehrende und Lernende hier unterstützen!

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Statt von Bildung 4.0 und Digitalisierung im engeren Sinne zu sprechen, sollten wir die Schule hierfür zu einem Ökosystem für Exploration, lebenslanges Lernen und einer Zukunftswerkstatt gestalten. So fordert die britische Pädagogin Facer (2017) in ihrem Bildung 5.0 Konzept z.B., dass Schulen ihre Funktionen komplett überdenken müssen und sich zu einem „laboratory of the future” entwickeln müssen, welches auf drei Säulen aufbaut: 1. Build capacity to play with time 2. Use subjects to face the future not the past 3. nurture friendship, love and community. Denn die Schule muss verstehen, dass sie nicht auf eine vorhersehbare, stabile Welt vorbereiten kann.

Das klingt sportlich und nach weit mehr als 5 Milliarden, die eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind…

Digitalpakt = Oberflächliche Symptombekämpfung statt innere, ganzheitliche Heilung…

Das deutsche Schulsystem steht bereits seit Jahren in der Kritik. So konnte Deutschland in den letzten Jahren, vor allem seit dem PISA Schock (Programme for International Student Assessment) von 2001, im internationalen Schulvergleich zwar aufholen, in der aktuellsten Auswertung aber landete Deutschland wieder nur in einem mittelguten Bereich (vgl. O.V. 2016). Dabei sind es nicht nur die schlechten Leistungen der SchülerInnen, sondern auch die Frage, was uns Bildung finanziell wert ist, denn im Bereich der Bildungsausgaben schneidet Deutschland im internationalen Vergleich sogar noch schlechter ab. Zwar sind diese seit 1995 kontinuierlich gestiegen, gemessen am BIP aber macht dies nur 4,4% (2012) aus (DeStatis 2015). Deutschland liegt damit sogar unter dem OECD Durchschnitt (5,2%). Zudem hat eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben, dass aufgrund von falschen Berechnungen in den kommenden Jahren zusätzliche, hohe Investitionen in den Bundesländern nötig wären, weil zehntausende Lehrer und Klassenräume fehlen. Die Anzahl der SchülerInnen an den allgemeinbildenden Schulen in 2025 werde demnach mehr als eine Million mehr sein, als von der KMK ursprünglich berechnet (Bertelsmann 2017). Neben diesem infrastrukturellen Problem, ist es aber vor allem das System selbst, welches zunehmend in der Kritik steht. So liegt die letzte große Bildungsreform Jahre zurück und die meisten deutschen Schulsysteme orientieren sich noch immer an der Dreigliedrigkeit des Hamburger Abkom- mens von 1964 (vgl. Precht 2013, S. 51) und an der preußischen Schulreform, als der Zweck der Schule aber noch ein ganz anderer war. So fordert Precht wie einige andere:

„Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!“ (Precht 2013, S. 1, Lotter 2017).

Zeit für mehr Gelder und ein zentrales Bildungs-Hub?!

Bestrebungen Wissen im Bereich relevanter Zukunftstechnologien zu bündeln und einen Strukturwandel durch neue, spannende Formate und vor allem bundesweite Programme anzustoßen ist ja nicht vollkommen neu für Deutschland. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist da z.B. mit der Digital Hub Initiative, einem digitalen Ökosystem, bereits gut unterwegs. Warum hat Deutschland nicht auch ein Hub für Bildungsinnovationen? Dabei gehts nicht nur um Bildung im engen Sinne, also Lehrpläne und Schulentwicklung, sondern um übergreifendes Lernen, Entwicklung und Weiterbildung. Denn, 1. ist Lernen eine gesamtgesellschaftliche und 2. eine lebenslange Aufgabe:

In Gesellschaften, „die nicht vorrangig durch Religion zusammengehalten werden, stellt Bildung eine der wichtigsten Zutaten für den sozialen Kitt“ dar (Precht 2013, S.45).

Bei der UN findet sich die Forderung, dass alle Menschen Zugang zu Möglichkeiten des lebenslangen Lernens haben sollen,

„damit sie sich das Wissen und die Fertigkeiten aneignen können, die sie benötigen, um Chancen zu nutzen und uneingeschränkt an der Gesellschaft teilhaben zu können.“ (Generalversammlung Resolution 70/01, S. 8/38).

Neben der eigenen Motivation, bedarf die Fähigkeit des lebenslangen Lernens vor allem einer strukturellen Unterstützung und das passende Know-How. Bildung umschließt also weitaus mehr, als nur junge Menschen auszubilden. Vielmehr bedeutet Bildung wie die Zukunft unserer Gesellschaft und unsererer Wirtschaft aussieht:

“Changing the path of economic development: Decisions about education by both policy makers and individuals will influence how the future will unfold“ (Wilson 2013).

Für das Thema Künstliche Intelligenz werden relativ fix 3 Milliarden Euro frei gemacht. Klar, es ist eine zukunftsweisen Technologie, die vor allem für den wirtschaftlichen Standort Deutschland viel Potential birgt, neue Arbeitsplätze bringt und nötig ist, um internaional mit Größen wie China mitzuhalten. Aber dennoch: Technologie voranzutreiben ohne Menschen mitzunehmen erscheint nicht besonders nachhaltig.

Gründer-freundliche Landschaft für Bildungsinnovationen statt ein paar Gelder für Technik!

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Nachdem gezeigt wurde, wofür das Geld des Digitalpakts ausgegeben werden soll, stellt sich noch die Frage: Und wie kommt man überhaupt an das Geld? Komplexe Förderanträge, lange Bewerbungszeiträume und eine gewisse Vormachtstellung bestimmter Systemakteure werden nicht dafür sorgen, dass das Geld immer die Richtigen erreicht. Im Gegenteil eine solche Förderlandschaft wird viele Innovationen, Bildungsstartups und neue Ansätze relativ früh an am Erfolg hindern. Dabei sind es vor allem die didaktischen Bildungsinitiativen, die es aktuell braucht, jedoch schwer haben, ihren Platz in dieser Förderlandschaft zu finden. So sind sie oft “weder Fisch noch Fleisch”, wenn es um die Frage nach der Einordnung des Zwecks geht, der aber im wesentlichen die Finanzierungsstruktur bestimmt. Das bedeutet, öffentliche Gelder und Stiftungen setzten oft eine Gemeinnützigkeit voraus. Investoren aus der Wirtschaft hingegen einen klaren kommerziellen, skalierbaren Fokus. Was aber, wenn man beides versucht? Gerade Bildungsinnovationen setzen deshalb all ihre Hoffnungen auf den Digitalpakt, um Schulen und Lehrende dabei zu unterstützen die digitale Transformation erfolgreich umzusetzen. So wie dieser aber aktuell gestrickt ist, wird er wohl nicht zur Zielerreichung beitragen.

Wir finden, es ist Zeit für bisschen Disruption im Bildungssektor und innovative Lösungen und Formate für unsere Schulen!

Gemeinsam mit unseren Partnerinitiativen GrowbeYOUnd, EduHeros und Social-Innovation-Meets-School haben wir deshalb das Netzwerk #BildungmachtZukunft ins Leben gerufen. Mehr Infos folgen bald… :-Nachweise:

NACHWEISE

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2017): Schüler-Boom: Zehntausende zusätzliche Lehrer undKlassenräume notwendig, in: Internetseite: bertelsmann-stiftung.de. Online verfügbarunter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldun- gen/2017/juli/schueler-boom-zehntausende-zusaetzliche-lehrer-und-klassenraeume-not- wendig/, zuletzt abgerufen am 07.04.2018.

DeStatis (2015): Öffentliche Bildungsausgaben steigen 2015 auf über 123 Milliarden Euro, in: Internetseite: destatis.de, Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Pressemitteilung Nr. 472 vom 17.12.2015. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseSer- vice/Presse/Pressemitteilungen/2015/12/PD15_472_217.html, zuletzt abgerufen am 07.04.2018.

Facer, K. (2017): Kery Facer bei HKW 100 Years of Now Learning Futures: Education, Technology and Social Change, YouTube, Januar 2017, Web, 08.04.2018 um 17:36 Uhr, in: https://www.youtube.com/watch?v=NLoW1WhI3BY.

Generalversammlung Resolution 70/01, Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, A/RES/70/1 (21. Oktober 2015), online verfügbar unter: http://www.un.org/depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf, zuletzt abgerufen am: 04.03.2018.

Lotter, W. (2017): Der Entwicklungshelfer, in: Brandeins. Bildung war immer die Währung Schwerpunkt Lernen, 19 Jg., Heft 09 September 2017, S. 28–36.

PISA (2015): Results (Volume V). (n.d.). Organisation for Economic Co-operation and Development.

Precht, R. (2013): Anna, die Schule und der liebe Gott : Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern, (Orig.-Ausg., 1. Aufl. ed.). München: Goldmann.

Wilson, R. (2013). Skills anticipation — The future of work and education. International Journal of Educational Research, 61, 101–110.

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Aileen
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Futurist, visionary & strategic mind, founder & activist, transformation, innovation and imagination @dieZukunftsbauer & @DasZukunftsbauerInstitut