Bitcoin und das Versprechen unabhängiger Eigentumsrechte

janpaul
Aprycot Media
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7 min readMay 8, 2020

Bitcoin für Skeptiker, Teil III

Übersetzung von “Bitcoin and the Promise of Independent Property Rights” von Hasu und Su Zhu

Foto: Thought Catalog auf Unsplash

Im zweiten Teil unserer Reihe haben wir gezeigt, dass Bitcoin eine neuartige soziale und ökonomische Institution ist. Es bleibt aber noch die Frage zu beantworten: Wer wird Bitcoin benutzen? Gibt es zwischen all den anderen Institutionen einen Platz für Bitcoin? Falls ja, wo ist er? Ist Bitcoin nicht viel mehr als ein furchtbar ineffizienter Wettbewerber von Visa und PayPal, wie es uns die Medien glauben machen möchten? Oder ist es doch mehr?

Um Bitcoin zwischen den anderen Institution richtig einordnen zu können, müssen wir zuerst verstehen, warum Menschen soziale Institutionen einrichten.

Menschen können nicht skalieren. Wir können zwar lernen, aber wir können unsere Gehirne und Körper nicht wie Festplatten und Prozessoren in unseren Computern aufrüsten. Tatsächlich haben sich unsere physischen und mentalen Fähigkeiten seit den Zeiten, als wir als Jäger und Sammler die Welt erkundeten, kaum verändert. Wir skalieren durch Kooperation. Alle wissenschaftlichen Durchbrüche, alle Steigerungen von Produktivität und Wohlstand können auf unsere Fähigkeit zur Kooperation untereinander zurückgeführt werden.

Kooperation hat ein Skalierungs-Problem

Aber weil unsere Welt grundsätzlich unsicher ist, fällt uns Kooperation nicht leicht. Wir verwenden sehr viel Zeit dafür darauf, die Reaktionen unserer Mitmenschen auf unsere Handlungen vorherzusehen, und ob uns unsere Handlungen auf die Füße fallen könnten.

Wenn wir keine verlässlichen Aussagen über das Verhalten anderer machen können, verwandelt sich unser Leben in ein Gefangenen-Dilemma. Ist es besser, wir kooperieren um einen Hirsch zu erlegen, oder ist es besser, alleine einen Hasen zu jagen? Wie können wir darauf vertrauen, dass unser Gefährte uns nicht mit einem Knüppel niederstreckt und den Hirsch stiehlt? Um “skalieren”, wachsen und gedeihen zu können, müssen Menschen einen Weg finden, der das Gefangenen-Dilemma aufbricht und uns dennoch kooperieren lässt.

Die Spieltheorie gibt uns zwei mögliche Lösungen für das Gefangenen-Dilemma. Die erste Lösung ist, wiederholt (“iteriert”) zu spielen statt nur einmal zu spielen. Wenn du und dein potenzieller Gefährte sich morgen wieder zur Jagd treffen, ist man eher geneigt sich gut zu benehmen, denn beide müssen nun die Vergeltung des anderen fürchten. Aber solche sich wiederholenden sozialen Interaktionen — oder Erfahrungen — sind nur innerhalb einer begrenzten Anzahl von Menschen möglich, wie es der Anthropologe Robin Dunbar vorschlagen hat.

Die Dunbar-Zahl ist das angenommene kognitive Limit der Anzahl von Menschen, mit denen man stabile soziale Beziehungen unterhalten kann. Die Anhänger dieser Theorie behaupten, dass wenn die Anzahl der Menschen größer ist als die Dunbar-Zahl, für eine stabile und zusammenhaltende Gruppe restriktive Regeln, Gesetze und mit Zwang durchgesetzte Normen erforderlich sind.

Kooperation durch Institutionen

Die zweite Regel, auf die Dunbar hinweist, ist “uns selbst die Hände binden”, also von Handlungsoptionen mit negativen Folgen abzusehen, die andere verletzen könnten. Eine Möglichkeit ist das Etablieren gemeinsamer Sitten, wobei sichergestellt wird, dass diese Sitten auch sozial durchgesetzt werden. Aber für Gruppen, die größer sind als die Dunbar-Zahl, sind wir auf Institutionen angewiesen.

Das Gewaltmonopol ist die fundamentale Institution. Indem man eine spezialisierte Gruppe von Menschen dazu ermächtigt, sich auf den Schutz der eigenen Kommune zu konzentrieren, kann sich der Einzelne in produktiven Geschäften betätigen, weil er sich nun nicht länger um den Schutz der Früchte seiner Arbeit kümmern muss. Ein starkes und wohlwollenden Gewaltmonopol stärkt auch die gemeinsamen Sitten und formalisiert sie in einer Rechtsordnung. Die Regeln werden schließlich glaubhaft verlässlich, wenn eine Partei stark genug ist, um jeden zu überwältigen und damit sicherstellt, dass keiner “über dem Gesetz” steht.

Auf den Schultern von Gewaltmonopol und Rechtsordnung ruht die wichtigste Institution von allen: das Recht auf privates Eigentum. Eine Privateigentums-Ordnung, geschützt vom Staat, gibt jedem das exklusive Recht auf seine eigenen Ressourcen und diese so zu benutzen, wie es ihnen beliebt. Die Forschung hat gezeigt dass Wohlstand und Eigentumsrechte untrennbar miteinander verbunden sind.

Eigentumsrechte

Wohldefinierte und geschützte Eigentumsrechte sind die Grundlage für alle höherrangigen Institutionen: Märkte sind Vermittlungssysteme zwischen Käufern und Verkäufern, die Spezialisierung und Arbeitsteilung möglich machen, wobei Geld als präzises Preissignal für Produzenten und Konsumenten fungiert.

Das Gewaltmonopol ist notwendig, um ein Rechtssystem zu haben, und ein Rechtssystem ist notwendig, um Eigentumsrechts zu haben. Eigentumsrechte sind notwendig, um Märkte und Firmen zu haben, Märkte und Firmen sind notwendig, um Kapitalismus zu haben. Der Fortschritt der Zivilisation ist die Erfindung neuer Institutionen, die auf existierenden aufbauen. Hier ist ein vereinfachtes Schaubild der institutionellen Gebäudes:

Soziale Institutionen können das Gefangenen-Dilemma auflösen, da sie menschliche Interaktionen kanalisieren, so dass wir uns weniger darüber Sorgen machen müssen, ob uns jemand Schaden zufügen könnte. Das Ergebnis ist eine Verbesserung der gegenseitigen Berechenbarkeit, die es uns dann erlaubt, unser Vertrauen auf Fremde auszuweiten und auch jenseits der Dunbar-Zahl zu kooperieren.

Die Bitcoin-Institution

Wenn Bitcoin eine neuartige Institution ist, welche Rechte erschließt es uns? Wir erinnern uns an die Regeln von Bitcoins Gesellschaftsvertrag: Jeder kann das Bitcoin-Netzwerk ohne Erlaubnis benutzen (keine Zensur) und nur der Besitzer des Geldes kann es ausgeben (keine Konfiskationen). Darüber hinaus gibt es keine zentrale Partei, die außerplanmäßig mehr Geld drucken kann und damit die Kaufkraft aller anderen mindern kann (keine Inflation). Und zuletzt: bevor man eine Zahlung akzeptiert kann jeder verifizieren, dass die Regeln befolgt werden (keine Fälschungen).

Halten diese Regeln einem Realitäts-Test stand? In seinem exzellenten Aufsatz “Wie Bitcoin als Eigentumsrecht funktioniert” hält Eric D. Chason fest, dass “Satoshi Nakamoto eine Form von Eigentum geschaffen hat, die unabhängig von Staat, zentraler Autorität oder anderen traditionellen Rechtsordnungen existiert.”

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass das Bitcoin-Netzwerk und sein Geld-Token die höchste Form eines Eigentumsrechts ermöglicht hat, das es jemals in einer sozio-ökonomischen Institution in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.

Eine neue Ära für Eigentumsrechte

Die Schlüssel-Innovation von Bitcoin liegt hierin: Es hat Eigentumsrechte vollständig vom Rechtsordnung und Gewaltmonopol entkoppelt. Wir können zum ersten Mal überhaupt Eigentum haben, das nicht auf eine lokale Autorität angewiesen ist zur Durchsetzung und Schutz des Eigentumsrechts. Es ist leicht zu verbergen, verteidigen, schützen, bewegen und verifizieren — das kann jeder selbst, was einem das höchste Maß an persönlicher Souveränität beschert.

Bisher waren Eigentumsrechte von den darunter liegenden Ebenen des institutionellen Gebäudes abhängig, insbesondere vom Gewaltmonopol und der Rechtsordnung. Wenn das Fundament wackelig ist, kann man darauf keine starken Eigentumsrechte haben. Aber weil Bitcoin ganz auf eigenen Füßen steht, kann es jedem auf der Welt das höchste Maß an Eigentumsrechten bringen, die Qualität der anderen Institutionen wie Regierung und Rechtsordnung spielen keine Rolle.

Bitcoin erschließt eine ganz andere Dimension von Wert. So wie Boote den Transportweg über Wasser erschlossen haben, und Flugzeuge den durch die Luft, erschließt Bitcoin eine neue, alternative Ebene zum Aufbewahren und Verschicken von Wert — als das erste nativ digitale Asset. Es ist die Fähigkeit, ausschließlich in der digitalen Welt zu existieren, aus der Bitcoin alle seine Eigenschaften zieht. Es kann nicht in derselben Art und Weise im physischen Raum angegriffen werden wie andere physische Assets.

Die Konsequenzen daraus werden sich erst mit der Zeit zeigen, aber wir können bereits heute darüber Vermutungen anstellen, für wen Bitcoin sehr nützlich sein wird:

  1. Jeder, der an einem Ort mit schwachen Eigentumsrechten lebt.
  2. Jeder, der vom existierenden Finanzsystem diskriminiert wird.
  3. Jeder, der an einem Ort mit einer schwachen lokalen Währung lebt, mit hoher Inflation oder hohem Risiko für hohe Inflation.
  4. Jeder, der einen bedeutenden Betrag an Wert aufbewahren und versenden will (sehr hohe Werte erfordern ein Höchstmaß an Sicherheit).

Bitcoin zu verwenden gibt diesen Menschen eine Möglichkeit zur effektiven Kooperation, steigert ihre Produktivität und bringt ihnen Wohlstand. Es erlaubt ihnen, Geld für die Zukunft zu sparen und Kapital aufzubauen, das in produktive Unternehmen investiert werden kann und ihnen damit die Teilhabe am globalen Handel mit allen anderen ermöglicht.

Fortschritt durch Wettbewerb

Bitcoin kann auch für die nützlich sein, die es niemals benutzen. Als Schutz gegen Fehler der Zentralbanken macht es das globale Finanzsystem widerstandsfähiger. Ironischerweise kann es auch andere Geld- und Eigentumssysteme auf der ganzen Welt verbessern. Was? Ja, das ist ein Effekt, den der Wettbewerb auf den Markt hat. Wenn man Kunde von Apple ist, profitiert man von Samsungs Veröffentlichung eines neuen Mobiltelefons, weil es Apple dazu zwingt, seine Produkte zu verbessern um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben.

Im Ergebnis könnten wir Zeuge werden einer Verbesserung der Qualität aller Geld- und Eigentumssystem, weil Bitcoin das Tor für Wettbewerb geöffnet hat und einen Markt erschaffen hat. Diese Einsicht sollte auch unser Verständnis dafür schaffen, was Bitcoin nicht ist: es ist kein Wettbewerber von VISA oder PayPal. Bitcoin steht in einem Wettbewerb mit lokalen Regierungen, Rechtsordnungen und Eigentumsrechten — den Grundbausteinen des institutionellen Gebäudes — nicht mit den Zahlungsdienstleistern, die auf dem Dach des institutionellen Gebäudes sitzen.

Zivilisation skaliert durch Kooperation, aber Kooperation zwischen Fremden ist von Natur aus schwierig. Soziale Institutionen können das Gefangenen-Dilemma auflösen und erlauben es uns, in größerem Maßstab zu kooperieren. Als Fundament brauchen wir ein stabiles und wohlwollendes Gewaltmonopol, das die Regeln der Rechtsordnung durchsetzt und Eigentumsrechte ermöglicht. Bisher war es nicht möglich, an Orten mit schwachen lokalen Regierungen starke Eigentumsrechte zu haben. Bitcoin ist vollkommen unabhängig von den existierenden Ordnungen und kann uns trotzdem das höchste Maß an Eigentumsrechten gewährleisten, egal wo und wer man ist

Dieser Artikel ist Teil der Artikel-Serie “Bitcoin für Skeptiker”.

Danksagung

Dank für ihre Mitarbeit gilt Yassine Elmandjra, Nic Carter und Miles Suter

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