Coronavirus: Virusvarianten kontra Impfstoffe

Das Rennen zwischen der Schildkröte und dem Hasen

Torsten Cordes
Torsten Cordes
13 min readFeb 8, 2021

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Deutsche Übersetzung und Lektorat dieses Originalartikels von Tomas Pueyo.

Vielen Dank an meinen geschätzten Kollegen Tomas Pueyo, dass ich Teil seines internationalen Teams sein darf. Seine Coronavirus-Artikel wurden über 60 Millionen Mal angesehen und in über 40 Sprachen übersetzt. Ich bin dankbar für die zahlreichen Inspirationen und dafür, dass ich in den letzten Monaten mit diesen lektorierten Übersetzungen dazu beitragen durfte, das allgemeine Wissen über die Umgangsmöglichkeiten mit dem Coronavirus zu verbessern:

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Das Jahr 2021 sollte uns retten. Die Impfstoffe waren endlich da. Es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit bis zur neuen Normalität. Dann kam die Virusvariante B117, explodierte in England, brachte das dortige Gesundheitssystem nahezu zum Kollabieren und verbreitete sich über die ganze Welt.

Jedes Land befindet sich nun in einem Wettlauf zwischen neuen Varianten — der englischen, der südafrikanischen und der brasilianischen — und Massenimpfungen, um sie aufzuhalten. Was wird in deinem Land passieren? Wird es dank der Impfstoffe vor dem Ausbruch verschont bleiben? Oder wird es wie Großbritannien eine neue Welle von Todesopfern zu verkraften haben?

Wann wird die neue Normalität beginnen?

Um das zu beantworten zu können, müssen wir verstehen, was in Großbritannien passiert ist, das Wissen über B117 zusammentragen, einen Blick auf die Impfstoffe werfen und prognostizieren, was bis zum Sommer passieren kann.

Was geschah in Großbritannien?

So hat es der Londoner Analyst Alex White in der Mitte der 3. Welle formuliert:

Auf dem Höhepunkt der Entwicklung wurde täglich bei einem von 1.000 Briten COVID diagnostiziert. Und das lag nicht an den besseren Tests.

Woher kamen diese Fälle?

Nahezu alle neuen Fälle kamen aus England. Und sie greifen immer noch um sich.

Dieser neue Stamm, genannt B117, war in England so gut wie nicht mehr vorhanden und hat sich dann in nur wenigen Wochen ausgebreitet. So schnell ist das passiert:

Eine andere Möglichkeit, die gleichen Daten zu betrachten:

Dieses Wachstum ereignete sich dort während eines Lockdowns.

Übersetzung: Ende Dezember 2020 wurden Hinweise bekannt, dass eine neue SARS-CoV-2-Variante, die “Variant of Concern 202012/01” (nachfolgend “VOC 202012/01”), in mindestens drei Regionen Englands, nämlich im Südosten, in London und im Osten Englands, weit verbreitet ist und bereits vorhandene Varianten rasch verdrängt. Diese Variante scheint während der letzten Phase des landesweiten Lockdowns (5. November — 2. Dezember 2020) vermehrt aufgetreten zu sein und hat nach dem Lockdown weiter zugenommen, obwohl viele der betroffenen Gebiete in der (damals) höchsten Einschränkungsstufe (“Tier 3”) lagen. Die Besorgnis über diese Variante veranlasste die britische Regierung, Teile dieser drei Regionen am 20. Dezember unter “Tier 4”-Einschränkungen zu stellen, ein Paket von Bekämpfungsmaßnahmen, das im Großen und Ganzen denjenigen entspricht, die während des landesweiten Lockdowns in England im November in Kraft gesetzt wurden. Unser derzeitiger Wissensstand über wirksame medizinische und nicht-medizinische Maßnahmen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 entspricht nicht den potenziellen epidemiologischen und klinischen Eigenschaften von VOC 202012/01. Frühzeitige Abschätzungen der Übertragbarkeit und des Schweregrads der Erkrankung für diese neue Variante sind entscheidend, um schnelle politische Reaktionen auf diese potenzielle Bedrohung zu ermöglichen. / Quelle: “Geschätzte Übertragbarkeit und Schweregrad der neuen SARS-CoV-2-Variante 202012/01 in England”, Zentrum für mathematische Modellierung von Infektionskrankheiten, Hochschule für Hygiene und Tropenmedizin in London.

So beschrieb die Wirtschaftszeitung “The Economist” die Situation:

“Während der Weihnachtsferien entsprachen die Einschränkungen in London dem nationalen Lockdown, die Schulen waren über die Feiertage geschlossen und die meisten Büros verschlossen — und trotzdem stiegen die Fälle.”

Die Fallzahlen gingen erst nach einem noch strengeren Lockdown zurück. Das sagt uns, dass wir die neue englische Variante besiegen können. Aber um genau zu verstehen, wie und wann wir in der Lage sein werden, sie zu stoppen, müssen wir die Varianten besser verstehen.

B117, die englische Virusvariante

Sie vermehrt sich 50% bis 70% schneller

Die besten Schätzungen gehen davon aus, dass sie sich zwischen 50% und 70% schneller verbreitet als die bisherigen Mainstream-Varianten.

Das hört sich nicht viel an, bis man erkennt, dass das ca. 60 % mehr Infektionen in dieser Woche bedeutet, und noch einmal 60 % mehr in der nächsten Woche, und noch einmal in der übernächsten… Innerhalb von ein paar Monaten hat man 70 Mal mehr Fälle.

Von der Traumvorstellung zum potentiellen Albtraum

Wenn die Staaten es schon vorher schwer hatten, das Virus zu stoppen, werden sie es jetzt noch viel schwerer haben. Wenn es 60% infektiöser ist, steigt die Übertragungsrate R0 im Durchschnitt von 2,7 auf ca. 4,3: Ohne jede Maßnahme und ohne immunisierte Menschen steckt eine infizierte Person 4,3 andere an. Wenn ein Staat nur wenige Fälle hat, weil er Maßnahmen ergriffen hat, die die Übertragungsrate R0 von 2,7 auf, sagen wir, 0,9 gesenkt haben, dann liegt die Übertragungsrate R0 jetzt mit denselben Maßnahmen nur noch bei ca. 1,4 (ein Anstieg von 60% gegenüber 0,9). Der Unterschied zwischen 0,9 und 1,4 ist vergleichbar mit dem Unterschied zwischen Tag und Nacht:

Es ist schwieriger, diese Variante zu stoppen

Eine Senkung des R-Wertes von 2,7 auf 1 entspricht einer Reduzierung um 60 %.
Eine Senkung des R-Wertes von 4,3 auf 1 entspricht einer Reduzierung um 75 %.

Diese 15 zusätzlichen Prozentpunkte mögen vielleicht nicht viel erscheinen, aber sie sind es. Die meisten Länder beginnen immer mit den effizientesten Maßnahmen: billig und wirkungsvoll, wie z. B. die Begrenzung von Menschenansammlungen oder die Vorschrift von Masken. Je mehr Maßnahmen zur Reduzierung des R-Wertes ergriffen werden, desto teurer werden sie bei geringerer Wirkung. So sind die ersten 15 % Reduzierung des R viel, viel billiger, als wenn man von 60 % Reduzierung auf 75 % Reduzierung geht.

In vielen westlichen Ländern kommt es dann zu Ausgangssperren und der Schließung von nicht lebensnotwendigen Geschäften (auch wenn es viel kostengünstigere Maßnahmen gibt).

Die Herdenimmunität ist noch weiter entfernt

Wir haben gerade den Schwellenwert für die Herdenimmunität von ca. 60 % der Bevölkerung (durch Impfungen oder Genesungen) auf 75–80 % erhöht.

Wenn in einem Land 20% der Bevölkerung immun sind, nachdem sie sich irgendwann infiziert haben, hätte man bei der vorherigen Variante nur ca. 40% der Bevölkerung zusätzlich impfen müssen, um die Schwelle von 60% Herdenimmunität zu erreichen.

Jetzt, mit einem Schwellenwert von 75%, sind es statt zusätzlicher 40% der Bevölkerung, die geimpft werden müssen, 55%. Das sind 35% mehr Impfstoffe (55% sind 35% mehr als 40%), und das zu einer Zeit, in der Impfstoffe knapp sind.

Das ist nicht nur schwieriger. Es braucht auch mehr Zeit. Wenn ein Staat durchschnittlich 5 % seiner Bevölkerung pro Monat impfen kann, würde es mit der bisherigen Variante 8 Monate dauern, bis die Herdenimmunität erreicht ist (also wäre es im August 2021 geschafft). Aber mit der neuen Variante würde es 3 weitere Monate dauern, also bis zum November.

Und das setzt voraus, dass diejenigen, die in der Vergangenheit infiziert wurden, auch weiterhin immun sind. Wie man in Manaus, Brasilien, gelernt hat, ist das vielleicht nicht der Fall: Man dachte, man hätte eine Herdenimmunität erreicht, da bis zu 75 % der Menschen infiziert worden waren. Dann gab es eine zweite Welle, wahrscheinlich mit der neuen brasilianischen Variante, der Sauerstoff ging aus, und die Menschen starben wie die Fliegen.

Das Virus ist tödlicher.

Als B117 zum ersten Mal auftauchte, sagten die meisten Leute: “Wir sollten uns keine Sorgen machen. Normalerweise, werden Viren, wenn sie mutieren, weniger virulent.”

Ich war einer der wenigen, die darauf aufmerksam machten, dass es wohl leider noch tödlicher ist.

Dies war die gängige Denkweise: “Wenn ein Virus schneller tötet, hat es weniger Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Das ist Wechselspiel zwischen Übertragung und Virulenz.” Leider war das zu simpel.

Die Evidenz für die Theorie diese Übertragungs-Virulenz-Gleichgewichtes ist dabei gar nicht so offensichtlich. Dieses fantastische Wissenschaftsdokument erklärt es gut:

Übersetzung: Aus dieser Theorie ergibt sich eine ziemlich klare Prognose: Solange die Virulenz die Sterblichkeit nicht aus anderen Gründen beeinflusst, führt eine erhöhte Sterblichkeit des Wirts zu einer verstärkten Virulenz. Trotz der großen Anzahl an theoretischen Studien zu dieser Frage und dem relativ einfachen Experiment, das zur Überprüfung der Prognosen eingesetzt wird, gibt es erstaunlich wenige empirische Beweise für diese Vorhersagen. Experimentelle Evolutionsstudien zeigen Hinweise auf eine erhöhte und verringerte Virulenz als Reaktion auf eine erhöhte Wirtssterblichkeit. Experimente zur fortlaufenden Anpassungsfähigkeit, bei denen die Lebensdauer des Wirts experimentell manipuliert wurde, haben gezeigt, dass sich Erreger unter Auswahlbedingungen durch frühe Wirtssterblichkeit vermehren können.

Der Teufel steckt dabei im Detail. Zum Beispiel ist die Virulenz in den frühen Stadien einer Pandemie, wenn die meisten Menschen nicht infiziert sind (wie jetzt bei COVID), tendenziell am höchsten. Das gilt auch jetzt, da wir sehr weit von der Herdenimmunität entfernt sind.

Übersetzung: EPIDEMIOLOGISCHE DYNAMIK — Der primäre theoretische Rahmen für die Untersuchung der Virulenzentwicklung konzentriert sich auf langfristige Vorhersagen und geht im Wesentlichen von einer Trennung der Zeitskalen zwischen epidemiologischer und evolutionärer Dynamik aus. In Anbetracht der Tatsache, dass die Evolution bei vielen Erregern wahrscheinlich recht schnell verläuft, mit kurzen Generationszeiten, großen Populationsgrößen und (insbesondere bei Viren) hohen Mutationsraten, ist diese Annahme wahrscheinlich zu restriktiv. Darüber hinaus ignoriert dieser Rahmen notwendigerweise potenzielle evolutionäre Veränderungen der Virulenz, die auftreten könnten, wenn Epidemiologie und Evolution mit ähnlichen Raten ablaufen. Eine Reihe von Autoren hat jedoch untersucht, wie sich die Virulenz während der epidemischen und nicht der endemischen Phase der epidemiologischen Dynamik entwickelt (Lenski und May, 1994: Day und Proulx, 2004: Day und Gandon, 2007: Bull und Ebert, 2008: Bolker et al. 2010). Der Konsens aus dieser theoretischen Arbeit ist, dass unter einem Abgleich von Übertragung und Virulenz die Virulenz in den frühen Phasen einer Epidemie höher ist, wenn die Anzahl der empfänglichen Wirte hoch ist, und sich zu niedrigeren Werten entwickelt, wenn das endemische Gleichgewicht erreicht ist. Anders ausgedrückt: Während einer Epidemie wird die Erregerpopulation von virulenteren Erregern dominiert, als man auf der Grundlage des theoretischen Standardansatzes erwarten würde. Dies hat wichtige Implikationen für das Verständnis der Dynamik von aufkommenden Infektionskrankheiten (Bemgruber et al. 2013).

Die Virulenz nimmt auch tendenziell zu, wenn die Population stark vernetzt ist, wie es bei COVID mit seiner weltweiten Verbreitung der Fall ist.

Übersetzung: AUFBAU DER RÄUMLICHEN STRUKTUR — Der allgemeine Konsens in der theoretischen Literatur ist, dass sich eine geringere Virulenz in Populationen mit eingeschränkter räumlicher Bewegung und eine höhere Virulenz in Populationen mit größerer Konnektivität entwickeln wird (Claessen und de Roos, 1995: Lipsitch et al. 1995a: Stiefel und Sasaki, 1999. 2000: Haraguchi und Sasaki, 2000: Boots et al. 2004: Caraco et al. 2006: Kamo et al. 2007: Messinger und Ostling, 2013): diese Vorhersage gilt auch dann, wenn die Virulenz eher die Reproduktionsleistung des Wirts als die Mortalität beeinflusst. Die Erklärung für diese Vorhersage ist vielschichtig (Lion und Boots, 2010). Geht man von einer positiven Korrelation zwischen Virulenz und Übertragung aus, …

Genau das geschah bei der Pandemie von 1918. Die erste Welle, im März-Mai, war weniger tödlich als die zweite Welle im Winter.

Wenn ein Virus besser in Zellen eindringen kann (wie es bei dieser Variante der Fall ist), bedeutet das, dass es wahrscheinlich viel mehr Zellen infiziert, sich schneller vermehrt und sich schneller im Körper ausbreitet, was bedeutet, dass es schwieriger zu stoppen ist, was wiederum bedeutet, dass es mehr tötet. Also sind die tödlicheren Varianten diejenigen, die gewinnen. Diese Anpassungsfähigkeit war schon vor 150 Jahren bekannt.

Übersetzung: Nach fünfundzwanzig Durchgängen waren die Bakterien im Blut so virulent geworden, dass weniger als 1/1.000.000 eines Tropfens töteten. Diese Virulenz verschwand, wenn die Kultur eingelagert wurde. Sie war auch artenspezifisch. Ratten und Vögel überlebten große Dosen des gleichen Blutes, das Kaninchen in verschwindend geringen Mengen tötete. Davaine’s Versuchsreihe markierte die erste Demonstration eines Phänomens, das als “Passage” bekannt wurde. Dieses Phänomen spiegelt die Fähigkeit eines Organismus wider, sich an seine Umgebung anzupassen. Wenn ein Organismus mit schwacher Pathogenität von einem lebenden Tier auf ein anderes übergeht, vermehrt er sich besser, wächst und verbreitet sich effizienter. Dies erhöht oft die Virulenz. Mit anderen Worten, er wird zu einem besseren und effizienteren Killer. Eine Veränderung der Umgebung kann sogar im Reagenzglas denselben Effekt haben. Wie ein Forscher feststellte, wurde ein Bakterienstamm, mit dem er arbeitete, tödlich, als das Medium, in dem das Organismus gezüchtet wurde, von Rinderbrühe zu Kalbsbrühe wechselte. Aber das Phänomen ist komplex. Der Anstieg der Tötungseffizienz hält nicht unbegrenzt an. Wenn ein Erreger zu effizient tötet, gehen ihm die Wirte aus.

Um vorherzusagen, ob dieses Virus noch tödlicher werden würde, mussten wir uns mit den Besonderheiten befassen.

Die Art und Weise, wie sich COVID verhält, machte es zu einem ungünstigen Kandidaten für die Verstärkung der Ansteckungsfähigkeit. Werfen wir einen Blick auf diese Grafik zu den Ansteckungen pro Tag nach der Erstinfektion. Die meisten Infektionen finden statt, bevor Symptome auftreten oder früh danach.

Wenn sich eine Variante schneller vermehrt, werden die Symptome früher und intensiver auftreten, was eine frühere Übertragung bedeutet. Die blauen und grünen Bereiche würden hier höhere Spitzenwerte aufweisen.

Außerdem machen asymptomatische Personen ca. 50 % der Infektionen aus, verursachen aber nicht mehr als 5 % der Infektionen. Ein Virus, das sich schneller vermehrt, würde viel mehr von ihnen infektiös machen. Das bedeutet, dass der Bereich, der heute orange ist, dramatisch größer werden würde.

Umgekehrt, weil die Menschen schneller krank werden und sterben, werden sie später weniger Menschen infizieren, was die rechte Seite dieser Grafik schmälert.

Die Kombination dieser beiden Faktoren führt zu dieser Verschiebung der Kurve, von blau nach orange:

Was ist insgesamt gesehen größer? Die Zunahme der Ansteckung an der Spitze würde die Verringerung der Ansteckung auf der rechten Seite überwiegen.

Mehr kranke Menschen würden mehr Todesfälle bedeuten. Aber Todesfälle treten Wochen nach der Infektion auf, so dass das beschleunigte Sterben von Menschen die Ansteckungsrate nicht verringern würde. Tod und Ansteckungsfähigkeit sind bei COVID so unabhängig voneinander, dass es keinen Druck für das Virus gibt, weniger tödlich zu werden.

Und das ist der Grund, warum die neue Variante tatsächlich 30 % tödlicher ist.

Das Rennen: Virusvariante kontra Impfstoff

Weltweite Verbreitung

Die Variante B117 befindet sich mittlerweile in über 80 Staaten, Tendenz steigend. Es ist sehr schwer, genau zu sagen, wie viel davon in jedem Land vorhanden ist, da abgesehen von Großbritannien und Dänemark nur wenige Länder ein gutes Sequenzierungssystem haben. Aber dies ist das, was ich am ehesten herausfinden konnte.

In einigen Ländern wie Großbritannien, Israel, Irland oder Österreich ist B117 so weit verbreitet, dass sie die Auswirkungen bereits zu spüren bekommen. Doch wann werden die restlichen Länder damit konfrontiert?

B117 verdoppelt sich fast jede Woche. Bis Ende Februar wird es die Mehrheit der Fälle in Schweden, Frankreich, Belgien, Deutschland, Spanien, den Niederlanden, Italien, Irland, Luxemburg, Portugal, der Schweiz und Dänemark ausmachen. In diesen Ländern wird die Ansteckungsrate im Laufe des Monats um bis zu 50 % ansteigen. In den USA dürfte es Mitte März soweit sein.

Wer wird also gewinnen, die Virusvariante oder der Impfstoff? In einem Land ist der Gewinner bereits der Impfstoff gewesen.

Israel

Israel hat bereits pro 100 Personen 60 Impfstoffdosen verabreicht. Die Übertragungsrate hat sich um etwa 40 % verringert. Die ersten Auswirkungen waren Mitte Januar zu spüren, als etwa 30 % der Bevölkerung eine Impfung erhalten hatten.

Israel konnte dies als kleines entwickeltes Land mit einem effizienten, zentralisierten Gesundheitssystem erreichen. Oh, und sie zahlten fast das Doppelte pro Impfstoffdosis. Pfizer sah den Vorteil von viel Geld und einem schnellen Praxistest mit einem Land, das liefern konnte, und es war für sie ein leichtes, ihre Impfstoffe dorthin zu schicken.

Die anderen Staaten können leider nicht so schnell folgen.

Impfstoffe

Großbritannien und die USA sind nicht so schnell wie Israel, aber sie machen Fortschritte. Bei diesem Tempo könnte Großbritannien in 3–4 Monaten die meisten Menschen geimpft haben. Die USA werden wahrscheinlich bis zum Sommer brauchen. In den Industrienationen sind die Europäer die Nachzügler.

Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir die einzelnen Impfstoffe verstehen. Es gibt 5 Impfstoffe mit Phase-III-Studien in den westlichen Ländern. Alle von ihnen sind im Großen und Ganzen sehr wirksam.

Auch der russische Impfstoff scheint wirksam zu sein, aber die Daten stammen von russischen Forschern aus Studien, die nur in Moskau durchgeführt wurden. In Anbetracht Russlands Erfolgsbilanz von politisch motivierten Nachrichten, kann ich diesen Daten nicht vertrauen, bis sie von einer unabhängigen Quelle verifiziert worden sind. Das Gleiche gilt für den chinesischen Impfstoff. Anscheinend hält der Impfstoff von AstraZeneca die südafrikanische Variante nicht auf, aber er ist gut genug für die englische Variante. Generell scheint es, dass wir es mit der südafrikanischen Variante schwerer haben werden als mit der englischen.

Die 5 Impfstoffe verhindern fast alle schweren Erkrankungsfälle, auch bei den neuen Varianten. Sie unterbinden auch die meisten Symptome für die traditionelle Variante, und im Allgemeinen verhindern sie mindestens 50% der Krankheitsfälle für jede Variante. Die einzige Variante, die im Moment mehr Probleme macht, ist die südafrikanische Variante, aber auch dagegen gibt es gute Impfstoffe.

Selbst wenn neue Impfstoffe bei neuen Varianten nicht gut funktionieren würden, wäre es jetzt ziemlich einfach, sie anzupassen. Da wir den genetischen Code der Varianten kennen, würden kleine Änderungen an den Impfstoffen wahrscheinlich ihre Wirksamkeit erhöhen, während die Nebenwirkungen beim Menschen gleich blieben. Meiner Meinung nach ist das nichts, worüber wir uns Sorgen machen sollten. Worüber wir uns Sorgen machen sollten ist die Tatsache, dass wir nicht schnell genug impfen können.

Wo liegt das Problem? Wurden nicht genug Impfstoffe gekauft? Nein.

Quelle

Die meisten Industrienationen haben viel mehr Impfstoffe gekauft, als sie brauchen. Es ist nur so, dass die Pharmaunternehmen sie nicht schnell genug produzieren können.

Die Impfstoffproduktion ist eine weitere Pannenstory der Pandemie. Der Impfstoff von Moderna wurde im Januar 2020 entwickelt, 2 Tage nachdem der genetische Code des Coronavirus veröffentlicht wurde. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis wir ihn getestet, zugelassen, produziert und verteilt hatten. Wir hätten so vieles besser machen können.

Zum Beispiel hätten wir Testläufe durchführen können: Menschen dafür bezahlen, dass sie den Impfstoff bekommen und sich dann infizieren — anstatt darauf zu warten, dass die Infektion bei einigen auf natürliche Weise erfolgt. Wir hätten die Leute dafür bezahlen können, dass sie sich entscheiden, an den Tests teilzunehmen. Wenn einige Leute es tun möchten und sich für die anderen aufopfern, während sie Geld verdienen, warum sollte man sie daran hindern? Das hätte die Zulassung des Virus um Monate vorgezogen, Hunderttausende von Leben gerettet und der Wirtschaft Milliarden eingespart.

Die Liste der Pannen bei der Impfstoffeinführung ist lang.

  • Warum Produktionskapazitäten nach der Zulassung ausbauen, statt frühzeitig mit öffentlichen Geldern zu finanzieren? Gerade jetzt hat ein Pfizer-Werk in Europa die Produktion von Impfstoffen eingestellt, um die Produktionskapazität zu erweitern.
  • Warum die Impfstoffdosen mit öffentlichen Geldern bezahlen, anstatt ihre Formeln zu kaufen, so dass wir dann alle Pharmaunternehmen dazu bringen könnten, sie zu produzieren? Warum bringt man Wettbewerber nicht dazu, erfolgreiche Impfstoffe sofort nach der Zulassung zu produzieren?
  • Warum entscheiden wir erst nach der Zulassung der Impfstoffe, wer in welcher Reihenfolge geimpft werden soll, und nicht schon vorher, in all den Monaten, die wir hatten?
  • Die EU hat die Zulassung ihrer Impfstoffe um mindestens einen Monat verzögert, weil sie mit den Pharmafirmen darüber diskutierte, wer die Haftung hat, wenn die Impfstoffe nicht funktionieren. Aber warum? Der eingesparte Geldbetrag ist verschwindend gering im Vergleich zu den wirtschaftlichen Verlusten, die durch die Verschiebung der Impfungen um einen Monat entstehen.
  • Warum haben wir uns nicht direkt die Ergebnisse der Impfstudien angeschaut, sobald sie vorlagen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit mittels der sogenannten Bayes’schen Schätztheorie laufend zu aktualisieren? Hätten wir erkannt, wie gut die Ergebnisse damals schon waren, als sie erschienen, hätten wir den Zulassungsprozess, die Impfstoffproduktion, den Ablauf der Verteilung starten können.

Wegen all dieser Pannen hängen wir jetzt mit Milliarden von gekauften Impfstoffdosen aber nur ein paar Millionen verfügbaren Dosen fest. Es wird bis zum Sommer dauern, bis ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in den Industrienationen geimpft sein wird.

Die Schildkröte und der Hase

In dem Wettlauf zwischen den Virusvarianten und den Impfstoffen sind die Varianten der Hase und die Impfstoffe die Schildkröte.

Wir alle wissen, dass am Ende die Impfstoffe gewinnen werden. Wie die Schildkröte. Bis zu diesem Sommer werden die Impfraten in den Industrienationen wahrscheinlich zwischen 50 und 80 % liegen. Da es auch eine gewisse Herdenimmunität geben wird und der Sommer in der nördlichen Hemisphäre bedeutet, dass man sich im Freien aufhält, ist es wahrscheinlich, dass die Pandemie irgendwann im Laufe des Sommers abklingen wird.

Die Frage ist: Werden die Impfungen auch rechtzeitig verteilt, um zu verhindern, dass die neuen Varianten die Oberhand gewinnen? Jetzt haben wir die Antwort: Leider nein.

Die B117-Variante wird wahrscheinlich zwischen Februar und März in den meisten Industrienationen die Führung übernehmen. Dabei sind die brasilianischen und südafrikanischen Varianten noch nicht berücksichtigt.

Die Schwellenländer sind in einer noch schlechteren Position: Sie werden nicht nur die 3 Virusvarianten bekommen. Sie werden die Impfstoffe auch viel später erhalten. Und in der südlichen Hemisphäre genießen sie jetzt den Sommer. Der Winter, mit mehr Varianten und nicht genügend Impfstoffen, könnte weniger glimpflich verlaufen.

Bleibt also noch ein paar Monate dran. Lasst eure Wachsamkeit nicht sinken. Das Ende des Tunnels ist nah. Lasst euch impfen, wenn ihr schon könnt. Wenn nicht, wartet bis zum Sommer. Im September werden wir in den Industrienationen wahrscheinlich zur neuen Normalität zurückkehren. Und in den Schwellenländern hoffen wir, dass mehr Impfstoffe und eine schnelle Verteilung eine Wiederholung von 2020 verhindern.

Bleibt stark — wir müssen noch etwas durchhalten.

Melde dich gerne für eine automatische Email-Erinnerung nach Veröffentlichung des nächsten Beitrages an: Hier für die englische Originalversion von Tomas Pueyo, hier für meine deutsche Übersetzung.

Übersetzungen dieses Beitrages:
Englisch (Original)

Vielen Dank an Tomas Pueyo und Christina Mueller.

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Torsten Cordes
Torsten Cordes

German journalist, editor and author since 1991 /// Publishing, Selfpublishing, Coronavirus /// My Amazon author page: https://amzn.to/37T9bgv