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5 Dinge, die Medienmacher:innen von Startups lernen können

Eine Reise in die Welt der Einhörner

Christiane Miethge
BR Next

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Den typischen Startup-Slang wie „Seed-Round“, „scaling“, „equity“, hört man selten auf öffentlich-rechtlichen Fluren. Dabei können gerade wir von Startups und milliardenschweren Investmentfonds viel lernen. Auf der SXSW zieht es mich daher zu Titeln wie „How to Disrupt Billion Dollar Industries“ oder „Female-Founded Startups: The COVID-19 Effect“. Fünf Learnings.

Illustration: BR

1. Die Probleme der kleinen Leute machen die Milliarden

Wer will sie nicht haben die Milliarden? Dollar, Euro, Zuschauer:innen, Kund:innen — egal! Hauptsache viele. Entrepreneur Jim McKelvey, der mit dem Finanzdienstleister Square genau das erreicht hat, teilt im Panel How to Disrupt Billion Dollar Industries einen einfachen Trick: Konzentriert euch auf die Probleme der kleinen Leute. Sie werden von allen anderen übersehen.

Jim McKelvey selbst war mal Glasbläser. Heute ist er Milliardär. Sein Geschäftsgeheimnis: Er ärgerte sich darüber, dass Kleinstunternehmer keine Kreditkarten annehmen konnten. McKelvey hört sich um, der Blumenladen um die Ecke, der Kiosk gegenüber, alle haben das gleiche Problem. Die großen Finanzdienstleister interessieren sich nicht für sie, zu klein, zu wenig lukrativ. Scheinbar. Der Glasbläser gründet Square und macht sich daran, die Finanzwelt auf den Kopf zu stellen. Denn: Um endlich Kreditkarten annehmen zu können muss er eine Konvention nach der anderen ändern. McKelvey nennt das „Innovationsstapel“ und begründet genau darin seinen Erfolg. Er habe einfach keine Wahl gehabt als zu innovieren. McKelvey schafft lange Verträge mit Originalunterschrift ab genauso wie teure Abrechnungsmodelle. Heute ist Square nicht nur viele Milliarden wert sondern gilt als eines der innovativsten Unternehmen der Finanzwelt. McKelvey selbst ist schon wieder einem neuen Problem auf der Spur: Windeln. Er habe beobachtet, dass viele Eltern in den USA sich selbst die billigsten davon nicht leisten können. Es wird interessant sein zu beobachten, welchen „Innovationsstapel“ er für diese neue Unternehmung erfinden wird.

Die kleinen Probleme der kleinen Leute. Das könnte fast schon im Rundfunkstaatsvertrag stehen. McKelvey liefert Argumente warum es sich auch in Sachen Reichweite lohnen wird, sich im Detail mit ihnen zu beschäftigen.

2. Produkte sind out. Es geht um „Erfahrungen“

Einen anderen Blick auf die Bedürfnisse der Milliarden nimmt das Panel Pivot to Growth The Business of Experience. Presenter Baiju Sha beobachtet ausgelöst durch die Pandemie eine „Renaissance der Erfahrungen“. Um Menschen in der neuen Realität überhaupt noch zu erreichen, braucht es mehr als Produkte. Die Startups der Zukunft verkaufen keine Autos, Waschmaschinen oder Computer. Sie verkaufen Mobilitäts-, Sauberkeits- oder Kommunikationserfahrungen. Ein Beispiel ist der chinesische E-Auto-Hersteller NIO (nicht mehr ganz ein Startup, aber egal, sie sind innovativ!). NIO fühlt sich als Mobiliäts-Erfahrungs-Verkäufer verantwortlich für ALLE Pain-Points von der Haustür bis zum Zielort: Unterhaltung im Auto, Navigation, Stau, Unfälle. Das Auto ist fast schon Nebensache, im Vordergrund steht ein Rundum-Sorglos-Paket. Wer als NIO-Autobesitzer:in einen Unfall hat, muss zumindest in China nicht lange auf Polizei und Versicherung warten. Das erledigt ein:e Mitarbeiter:in und wartet bei jedem Wetter am Straßenrand. Hinter solchen Konzepten stünden, so Baiju Sha, eine “Obsession” mit den Kunden:innen und ihren Problemen.

Was würde es für uns Medienmacher:innen bedeuten, weniger in Inhalten und mehr in Erfahrungen zu denken? Wissenschafts-, Kultur-, Politikerfahrungen? Welche Pain-Points gilt es hier aus dem Weg zu räumen? Wahrscheinlich weit mehr als wir sie bisher mit unserem Fokus auf Inhalte-Produktion im Blick haben.

3. Vergesst nutzerzentriertes Arbeiten - Wir müssen nutzer-besessen werden

Voraussetzung für das neue Geschäft mit den Erfahrungen sind Mitarbeiter:innen, die von den Bedürfnissen der Nutzer regelrecht besessen sind. Wie bekommt man die? Allison Peterson, mit dem fancy klingenden Titel „Chief Customer Officer“ bei Best Buy, gibt einige Tipps. Erstens: Tägliches Pulsfühlen bei den Kund:innen, um sofort zu merken, wenn sich Bedürfnisse ändern und neue Potentiale entstehen. Zweitens: Daten, Daten, Daten. Wichtig seien dafür auch neue Technologien wie KI und ein tiefes Verständnis wie Daten immer wieder neu geclustert und ausgewertet werden können. Drittens: Hart Durchgreifen. Vergesst Abteilungsgrenzen, Zuständigkeiten, Befindlichkeiten. Was nicht zum Kunden und seinen Bedürfnissen passt muss weg. Daher arbeitet Peterson besonders eng mit der Personalabteilung zusammen. Denn: Kundenobsession braucht Mitarbeiterobession. Wenn sich Mitarbeiter:innen von ihrem Unternehmen gut behandelt fühlen, werden sie diese Fürsorge auch an die Kunden weitergeben wird.

Was wir davon lernen können? Eigentlich alles. Auch Medienunternehmen sollten sich nicht nur für die Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen interessieren. Sie sollten eine Obsession dafür entwickeln. Baiju Sha präsentiert die Zahlen dazu, warum das auch für eine Milliarden-Reichweite wichtig ist: “Unternehmen, die als ‚Business of Experience‘ operieren wachsen sechsmal schneller als alle anderen.“

4. Diversität lohnt sich: Frauen wirtschaften nachhaltiger

Bisher sind meistens Männer für Milliarden-Geschäfte zuständig. Das gilt für die Medienbranche wie für die Startup-Welt. In Deutschland sind nur knapp 16 Prozent aller Startups weiblich. Frauen haben wie alle anderen Menschen, die nicht aussehen wie der typische weiße Startup-Dude, handfeste Nachteile. Sie bekommen weniger Investmentgelder ab, weniger Öffentlichkeit, weniger Vertrauen. Sie sind auch von Covid19 überproportional hoch betroffen wie Kimberly Whitler von der University of Virginia auf dem Panel Female-Founded Startups: The COVID-19 Effect eindrücklich darlegt. Das liegt auch an der Kinderbetreuung. Während fast 25 Prozent der Gründerinnen täglich über 6 Stunden mit „Aufgaben zu Hause“ beschäftigt seien, müssten nur 11 Prozent der Männer diese Zeit aufbringen, so Whitler.

Doch das wird sich ändern, so der Tenor einiger Panels mit Titeln wie Entrepreneurship Equals Empowerment oder Democratizing Excess to Investment. Investmentfonds haben Frauen, People of Color und andere Minoritäten der Geschäftswelt entdeckt. Mit Quote hat das wenig zu tun. Eher mit knallharten Geschäftsinteressen. Von Frauen gegründete Startups generieren höhere Gewinne, diverse Startups sogar 19 Prozent mehr. Ein Coporate Investment Fond, der auf dieses ungenutzte Geschäftspotential setzt ist Proctor & Gamble Ventures. Betsy Bluestone erklärt warum der Fokus auf Frauen wichtig ist, statt Finanzentscheidungen möglichst unabhängig vom Geschlecht zu machen. „Es braucht sehr gezielte Anstrengungen Frauen zu finden und zu fördern“, erklärt sie. Ihre Bedürfnissen seien einfach anders. Dafür sei das Potential groß: „Frauen lösen andere Probleme als Männer“, so Betsy Bluestone.

Wenn rein finanzgetriebene Investmentfonds die Vorteile der Diversität erkannt haben, warum hinken dann gerade viele Medienunternehmen hinterher? Konkrete Anregungen, was wir machen könnten, hat meine Kollegin Julia Pater.

5. Sind grüne Startups die neuen Einhörner?

Erstaunlich viele Investment-Panels auf der SXSW beinhalten Wörter wie „grün“, „nachhaltig“, „CO2-neutral“. Wird Umweltschutz gerade lukrativ oder ist es einfach nur ein angesagtes Buzzword? Kasper Sage von BMW i Venture erzählt auf dem Panel The Future of Corporate Venture Capital: Navigating Shifts in Accelerated Innovation wo er die Investment-Chancen der Zukunft sieht. Das neue Buzzword heißt Climate Tech. Sei es der Motor, der nur halb so viel Elektrizität verbraucht als herkömmliche Modelle oder neue Recycling-Technologien, die Plastikmüll lukrativ machen. Wahrscheinlich, so Kasper, gebe es irgendwann feste KPIs in den Geschäftsberichten, die ein holistisches Bild des gesamten Produktentwicklungszyklus abbilden: Wie umweltfreundlich ist das Material, wieviel Elektrizität verbraucht die Herstellung, wieviel CO2 entsteht beim Transport? Der Erfolg eines Unternehmens liege in Zukunft eben nicht mehr nur darin wie gut ein Produkt ankommt, sondern auch wie umweltfreundlich es produziert sei.

Natürlich können auch Medienunternehmen solche Metriken übernehmen. Warum neben KPIs für Reichweite und Quote nicht auch welche für die Umweltfreundlichkeit der Produktion?

Fazit: Diversität, Nachhaltigkeit, ein Fokus auf die kleinen Leute: Vieles was da in der Startup- und Investmentwelt diskutiert wird, klingt sehr idealistisch. Das mag auch am Spirit von SXSW selbst liegen. Es wird wohl auch eine Aufgabe von uns Medienmachern sein, ein Auge darauf zu haben, wieviel von den großen Versprechungen auch umgesetzt werden. Und: Wie viele wir davon selbst übernehmen wollen.

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