SXSW 2021 | SOUTH BY SOUTHWEST

Enter the Metaverse

Trends, Innovation und ganz viel Zukunft

Katie Nachbar
BR Next

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Wie immer blickt die SXSW weit in die Zukunft und beleuchtet die neuesten Trends und Innovationen. Amy Webb launcht ihren Emerging Tech Trend Report und Yuval Noah Harari spricht über Innovation und warum wir uns davor fürchten. Katie Nachbar verschafft sich für BR Next einen ersten Überblick und fragt sich: Was ist eigentlich dieses Metaverse, von dem alle sprechen?

Illustration: BR

Zwei Jahre ist es her, dass ich in Austin war. Die SXSW ist ein großartiges Festival, eine großartige Konferenz. Ich konnte Monate lang von dem Wissensvorsprung zehren, den ich mir dort zugelegt hatte.

Ich erinnere mich noch genau, dass ich mir neben all den Panels, Talks und Konzerten auch die Wellness Expo angeschaut habe. Eine Halle voller Achtsamkeit. Ich war auch morgens beim Yoga, in einem der großen Hochhäuser, die über die ganze Stadt verteilt die verschiedenen Konferenzräume beherbergen. In Austin hab ich auch das erste Mal von Adriene Mishler gehört. Adriene kennen wohl die meisten durch ihren Youtube-Kanal „Yoga with Adriene“. Knapp zehn Millionen Abonnent:innen hat sie inzwischen. Adriene kommt aus Austin und hat ihre ganze Jugend beim SXSW volontiert.

Adriene hat mich dann ein Jahr nach meinem Besuch in Austin mit ihrer „30 Day Yoga Challenge“ durch den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gebracht. Und sie begleitet mich auch weiter durch die Pandemie. Ich geh nicht mehr ins Yoga-Studio, sondern ich geh nur noch zu Adriene.

Achtsamkeit, virtuelles Erleben, Neubeginn

Dieses Jahr hat Adriene die Opening Remark bei der SXSW Online 2021 gehalten und schon in den ersten 25 Minuten der Konferenz ein paar der wichtigsten Trends klar gemacht.

  • Mentale Gesundheit & Achtsamkeit (ja, it’s a buzzword, aber in dieser Pandemie wichtiger denn je)
  • Gemeinsames virtuelles Erleben (in allen Facetten)
  • der Neubeginn nach der Pandemie (denn in großen Krisen werden die Weichen neu gestellt)

Ich habe ein Tränchen verdrückt bei der Opening Remark und bin lieber ganz schnell eingetaucht in die Tiefen des SXSW Universums.

Konzerterlebnisse der Zukunft

“Gemeinsam virtuell Erleben“ kann man auf der SXSW auf die unterschiedlichsten Arten. Beispielsweise im Rahmen der SXSW Online XR im Social VR-Netzwerk „VR Chat“. Das legendäre Paramount Theater wurde in Virtual Reality nachgebaut. Hier gibt es VR Documentaries, XR Art oder Musik-Performances wie die von Tuba-Spieler Theon Cross, der als 3D Avatar (also dreidimensional virtuell nachgebaut) auftritt. Seine Performance wurde in den Abbey-Road-Studios in London aufgezeichnet und künstlerisch inszeniert. Sie ist die erste ihrer Art im Music-Business.

Amy Webb blickt in die Zukunft

Zukunft pur gibt es wie jedes Jahr seit 15 Jahren von Amy Webb und dem Future Today Institute. Manchmal belächelt man die Gadgets: eine intelligente Matratze, die über Temperatur den Schlaf steuert, oder eine smarte Toilette, die gleich den Stuhlgang und Urin und damit die Gesundheit checkt. Schnell wird es aber auch ernster: Amazon patentiert ein Armband, das Handbewegungen so genau tracken kann, dass die Tätigkeit der Picker — so heißen die Mitarbeiter bei Amazon — besser kontrolliert und optimiert werden kann. Oder ein Projekt von Microsoft, das aus Social Media Profilen Verstorbener digitale Avatare erstellt.

Und was für Verstorbene funktioniert, geht natürlich auch für die Lebenden: „Digital Extensions“ von einem selbst könnten bald die Norm werden. Und so einen digitalen Avatar kann man selbst gestalten, es kann aber natürlich auch jemand anderer eine synthetische Variante einer lebenden Person als Fake erstellen.

Die drei Trend Cluster, die Amy Webb auf der SXSW 2021 vorgestellt hat.

Den kompletten Report des Future Today Institutes gibt es wie jedes Jahr gratis und zum Download hier: http://futuretodayinstitute.com/trends/

Besonders spannend für Medienmenschen ist dieses Jahr der Subreport „New Realities“. Hier zum Download: https://www.dropbox.com/s/3esdwureqa5458f/FTI_2021_Tech_Trends_Volume_3_NewRealities_SynthMedia.pdf?dl=0

Zwei Begriffe, die im Report auftauchen, möchte ich hier kurz herausgreifen, weil sie gerade immer wieder auftauchen:

1. Diminished Reality oder auch DR

Diminished Reality ist quasi sowas wie das Gegenteil von Augmented Reality. Es werden existierende Teile der Realität ausgeblendet, das können Geräusche sein, aber auch visuell sichtbare Dinge. In Shopping-Apps können so beispielsweise nicht nur per AR Möbel in einen Raum gestellt werden, sondern zuvor auch Möbel herausgelöscht werden, damit man ein optimaleres Bild erhält. Diese Technik birgt aber natürlich auch durchaus Gefahren: So könnten auch Livebilder mit DR manipuliert werden und so bestimmte Geschehnisse verändert werden.

2. Das Metaverse

Dieser Begriff wird gerade etwas inflationär benutzt. Gemeint ist damit virtueller Raum, den Menschen gemeinsam nutzen. Wichtig dabei: Das Metaverse existiert andauernd, man kann es also nicht an oder abschalten, es ist für die Nutzer:innen frei zugänglich und sie können dort interagieren. Im Grunde sind damit alle virtuellen Räume gemeint, die man gemeinsam benutzt. Das können VR-Plattformen sein, aber auch Games oder das Internet an sich. Der Begriff stammt aus dem Sci-Fi-Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson aus dem Jahr 1992.

What’s Next in Social? Enter the Metaverse

Mit diesem Metaverse muss man sich also mal beschäftigen, dachte ich mir bei der Auswahl dieses Panels: What’s Next in Social? Enter the Metaverse. Hochkarätig besetzt mit Minecraft und Facebook. Man merkte aber sehr deutlich, dass hier die Marketingabteilungen am Start waren. Es gab keinerlei kritische Beleuchtung, dafür aber durchaus spannende Einblicke in die Entwicklungsarbeit bei Facebook Horizon und bei Minecraft.

Grundlage des Panels: Beziehungen von Menschen basieren auf drei Säulen. Positivity, Consistency und Vulnerability. Die Plattformen versuchen diese drei Säulen abzudecken in ihren Features, in ihrer Gestaltung. In Facebook Horizon soll es beispielsweise so genannte Safety Bubbles geben, durch die man sicher stellen kann, dass einem virtuell niemand zu nahe kommt. Außerdem denken sie über ein Feature nach, immer die letzten Minuten aufzuzeichnen, damit Opfer negative Erlebnisse nicht nochmal erzählen müssen. Ob das nun datenschutztechnisch wirklich positiv zu sehen ist, überlasse ich den geneigten Leser:innen lieber selbst.

Connection in Disconnection — Die Kraft der Community

Kollegin Katharina Kulzer hat sich die Kraft der Community nochmal etwas näher angeschaut. Wie müssen virtuelle Räume aussehen, in denen wir uns gerne aufhalten? Hier, was Katharina auf der South by Southwest 2021 dazu gelernt hat über die Connection in Disconnection:

Virtuelle Erlebnisse als bessere Realität?

Das nächste Panel auf meiner Liste sieht das komplett anders. In Introspection + Empathy: Building a Kinder Future sprechen drei Professoren u.a. von Standford und Yale darüber, wie die Pandemie unser Gemeinschaftsgefühl verändert hat. Wir erleben eine für die Menschheit sehr ungewöhnliche Krise. In Krisenzeiten (Krieg, Terror, Naturkatastrophen,…) suchen die Menschen besonders eines: Gemeinschaft. Sie helfen einander, sie handeln empathisch und helfen sich dadurch selbst.

Doch in dieser Krise ist Gemeinschaft keine Hilfe, sondern die Ursache der Krise. Unsere natürlichen Reaktionen werden somit auf den Kopf gestellt. Die drei Wissenschaftler blicken aber auch nach vorne und finden an dieser Krise auch etwas Positives: Dem schon vor der Pandemie vorherrschenden Einsamkeitstrend wird ihrer Meinung nach eine Gegenbewegung folgen. Durch die Potenzierung der Einsamkeit während dieser Pandemie werden die Menschen danach soziale Kontakte erhöhen und Gemeinschaft umso mehr zu schätzen wissen — und das vor allem in der analogen Welt.

!!! das Panel Introspection + Empathy: Building a Kinder Future ist durchaus eine Empfehlung !!!

Why do we fear innovation?

In einem ähnlichen Fahrwasser bewegt sich auch das Panel von Yuval Noah Harari & Mayim Bialik: Why do we fear innovation.

Wir Menschen haben Angst vor Veränderung, weil wir bei Veränderung immer zuerst an Verschlechterung denken. Wir haben Angst, den Status Quo zu verlieren.

Yuval Noah Harari

Harari empfindet die derzeitige Situation auch eher als Verschlechterung: Als das Internet erfunden wurde, galt es als demokratisierend. Alle konnten plötzlich Teil davon sein und die Welt beeinflussen. Doch nun ist das Internet in Teilen der größte Feind von Demokratien. Technologien können immer in die eine oder in die andere Richtung benutzt werden. Als Beispiel führt er hier das Radio an: Einerseits war es Plattform für Musiker und Kreative, andererseits wurde es monopolisiert und missbraucht.

Hararis Forderung: Wir brauchen eine Ethik für KI & Co

  • Warum muss jeder Arzt, jede Ärztin medizinische Ethik studieren, aber als Coder:in kann man machen, was man möchte?
  • Wenn ihr innoviert, denkt daran, was der schlimmste Herrscher damit anstellen könnte.

Regeln oder eine Ethik für Technologien nutzen aber nur wirklich etwas, wenn sie global verhandelt werden. Wenn ein Land ausschert wird der Marktdruck sonst zu groß und die anderen knicken ein.

!!! Anmerkung: Der Bayerische Rundfunk hat sich selbst eine Ethik der künstlichen Intelligenz formuliert. !!!

Diversity — Trendthema oder Chance?

Diversity und Inklusion sind dieses Jahr natürlich auf der SXSW sehr präsent: Wie sieht der Arbeitsmarkt aus? Ist Diversity nur ein Buzzword oder eine echte Chance? Wie stehen eigentlich Serien-Macher:innen zur LGBTQ+ Community? Kollegin Julia Pater hat hier im BR NEXT Blog ihre Learnings über Diversity & Co von der South by Southwest 2021 zusammengefasst.

HBO Panels sind wohl immer toll

Apropos Diversity: Das all-female Panel mit vier tollen Frauen von HBO muss ich hier unbedingt erwähnen. Driving Innovation Through Emerging Tech with HBO ist der Titel — und es sei jedem ans Herz gelegt, der sich auch nur irgendwie ein kleines bisschen für neue Arten des Storytelling oder neue Plattformen wie AR und VR interessiert. Spannend daran fand ich nämlich nicht nur die Projekte und Produkte, die sie vorgestellt haben, sondern vor allem auch die Einblicke in die Arbeitsweisen.

VR Event: Lovecraft Country: Sanctum

Aber der Reihe nach: Auch bei HBO wurde die Pandemie natürlich dafür genutzt, Marketing-Event-Bombast ins Digitale zu übersetzen. Zur Serie Lovecraft Country gab es ein Social-VR-Erlebnis, bei dem 100 Influencer eingeladen wurden, die in einer den Schauplätzen in der Serie nachempfundenen VR wohl so einiges erlebten. Die VR-Brillen hat HBO den Influencern zugeschickt und das Ganze wurde dann bei Youtube gestreamt. Verknappung ist auch sexy.

His Dark Materials: My Daemo‪n

Zur Serie His Dark Materials gab es die passende AR-App, mit der man einen kleinen Dämon (oder wie Kollegin Eva Deinert es nennt: ein kleines Krafttier) als Begleiter bekommt. Er begleitet den Nutzer durch den Tag (durch die Pandemie und durch das Homeoffice) und regt ihn an, Dinge zu tun, zum Beispiel spazieren zu gehen, mal ein Buch zu lesen. Personalisiert wird die App (die es nur für iOS und Apple Watch gibt) unter anderem durch die Apple Health App, aus der sie zum Beispiel Bewegungsdaten zieht, oder auch durch Spotify (Musik- und Podcast-Geschmack ist wohl auch eine gute Grundlage für Personalisierung).

Wenn sie solche großen und sehr teuren Marketing-Projekte machen, legen sie folgende Prinzipien zugrunde:

  • Es muss immer die Vision des Showrunners verfolgt werden.
  • Die Fans müssen die Sache “mitgehen”. (Bei der My Daemon-App waren die Krafttiere nur ein kleiner Seitenaspekt in der Serie, die aber von den Fans schon vor der App sehr stark penetriert wurden.)
  • Der innovative Content muss wirklich authentisch zur Show passen.
  • Es soll schon gerne auch “vorne dran” sein. (Sie wollen hier führend sein im Innovations-Bereich; das ist Teil der Marke HBO.)
  • Tech & Storytelling müssen zusammenpassen (für die Technologie designen; keine Kompromisse).
  • Prioritäten sind wichtig: Manchmal ist es nur ein kleiner Aspekt der Story, der eingesetzt wird.

TikTok — Let’s go viral!?

Kollegin Vanessa Schneider war es übrigens, die sagte: HBO Panels sind jedes Jahr toll. Sie ist ein SXSW-Dauergast und dieses Jahr besonders traurig, nicht dort zu sein. Sie hat sich einen Trend des letzten Jahres, der aber auch dieses Jahr wohl noch weiter bleiben wird, zur Brust genommen: TikTok. Die chinesische Plattform ist dieses Jahr Sponsor der SXSW und kritische Stimmen gibt es daher eher wenige. Für euch aber Fünf Take Aways von der South by Southwest 2021 zu TikTok.

Die virtuelle Realität ist der Corona-Gewinner

Die SXSW vermittelt in den verschiedenen Sessions den Eindruck: XR ist der große Pandemie-Gewinner. XR wird als Oberbegriff für Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR) gebraucht.

Was sind also die wichtigsten Learnings aus den Diskussionen und Projektvorstellungen? Kollegin Eva Deinert hat sie zusammengefasst in ihren Artikel XR — Headliner der SXSW 2021.

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Für alle, die ein SXSW Ticket haben, hier die Links zu den oben im Text erwähnten Panels:

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Katie Nachbar
BR Next
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