SXSW 2021 | SOUTH BY SOUTHWEST

TikTok — Let’s go viral!?

Die Pandemie hat der Social Media Plattform einen Boost gegeben, aber wie geht’s weiter?

Vanessa Schneider
BR Next

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2020 war das Jahr für TikTok — massiver Nutzungszuwachs, diverse Musikhits und globale Tanztrends. Ein Grund dafür: Große Marken und die älteren “Zoomer” haben die Social Media Plattform für sich entdeckt. Wohin geht’s also 2021? Fünf Take Aways von der South by Southwest 2021 von Vanessa Schneider.

Illustration: BR

TikTok ist Sponsor der SXSW 2021 — und so natürlich auch im Konferenz-Programm sehr präsent. Besonders spannend für mich, weil Medien sich bisher nur zaghaft auf TikTok ausprobieren — dabei erreicht keine andere Social Media Plattform ein so junges Publikum (über 60% der User sind jünger als 29 Jahre) und bietet gleichzeitig schier unbegrenzte Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken und in hunderten TikTok-Bubbles eine Community von Gleichgesinnten aufzubauen.

Die meisten von TikTok gehosteten Panels richten sich zwar vor allem an Brands und Marketing-Strateg:innen, nicht an Creators selbst oder die Medien. Trotzdem konnte ich aus deren Erfahrungen einiges für Medienmacher:innen ableiten:

1. Lasst die Jungen machen!

Wer auf TikTok aktiv sein will, sollte diejenigen ran lassen, die dort eh schon sind. Sprich: junge Leute mit einer eigenen TikTok-Präsenz. Die Studentin und Autorin Morgan Smith hat von ihrem TikTok-Account aus mit einer stetig wachsenden Community ein riesiges, medienübergreifendes Story-Universum rund um die fiktive Stadt “Averno” geschaffen. Statt für ihr Publikum arbeitet sie kollaborativ mit den anderen Usern zusammen — off- und online. Aus Smiths Idee einer verwunschenen Stadt sind ein halbes Dutzend Musicals, Webserien, Bücher und ein virtuelles Alternate Reality Game entstanden, an dem über 4.000 Menschen teilgenommen haben.

Dass die jüngeren TikTok-User:innen ein intuitives Gespür dafür mitbringen, was bei Gleichaltrigen ankommt, wissen auch die Marketingabteilungen großer Brands: Katie Soo vom Streamingdienst HBO Max übergibt deshalb den TikTok-Account an ihre Praktikant:innen, die sich mit ihren TikToks um die Stelle beworben haben. Die Praktis kommunizieren alle auf ihre Weise mit den User:innen bei TikTok und dürfen entscheiden, ob und wie sie welche HBO-Serien/Film-Titel (z.B. “Game of Thrones”) in ihren TikToks unterbringen.

Große Unternehmen springen meist einfach auf bestehende Trends auf, und schauen, wie die eigene Marke in TikToks auftaucht. Hier bieten sich oft ganz natürliche Anknüpfungspunkte für eigenen Content und natürlich auch Kooperationen. So wie bei Nathan Apodaca aka @420doggface208, der Skateboard fahrend zu “Dreams” von Fleetwood Mac seinen Lieblingssaft trinkt, viral geht und prompt vom Safthersteller als Werbegesicht angeheuert wird.

Fleetwood Mac haben von dieser unerwarteten Paarung übrigens langfristiger profitiert als Apodeka (dessen Views schnell wieder auf das Niveau vor dem viralen Hit fielen): Mit Millionen Streamingabrufen ihres über 40 Jahre alten Hits innerhalb weniger Tage und einer Top10 Platzierung in den Billboard Album Charts für die dazugehörige LP “Rumors”. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

2. Nostalgie zieht (#rareaesthetic)

Egal ob Großmutters Eintopfrezept (natürlich nur mit der Geheimzutat einer *random* Marke), Styling-Tipps aus vergangenen Jahrzehnten oder altes Archivmaterial mit Kultpotenzial (Sportereignisse, Nachrichten etc.): Das heimelige und verbindende Gefühl von Nostalgie funktioniert bei denen, die es miterlebt haben, und bei denen — die diese Momente auf TikTok zum ersten Mal erleben. Das ist für Brands und Medien interessant, aber auch für Musiker:innen und Musikverlage.

Das Revival von Fleetwood Macs “Dreams” bei sehr jungen Musikfans ist kein Einzelfall (andere Beispiele sind “Just the Two of Us” von Grover Washington Jr. und Bill Withers und “Zanzibar” von Billy Joel). TikTok ermöglicht es User:innen, Musik-Klassiker in einem neuen Kontext wiederzuentdecken, die sonst vermutlich im Plattenschrank ihrer Großeltern verstauben. Findet ein Songschnipsel Erfolg bei TikTok überträgt sich dieser sehr häufig auch auf Abrufe bei den Streamingdiensten. Das wiederum lockt die Bands hinter diesen Songs auf die Plattform (siehe Mick Fleetwood und Stevie Nicks) — die bei diesem Schritt von TikToks Musikteam unterstützt werden.

Und apropos Musik:

3. Musik erzählt die (halbe) Geschichte

Musik dient bei TikTok als Storytelling-Tool: Die Lyrics können in wenigen Sekunden Kontext, Emotionen und sogar die Handlung eines Clips erzählen. Der TikTok-Musiker Tai Verdes berichtet seit Monaten aus seinem Leben in Los Angeles, tauscht sich darüber mit seinen Follower:innen aus — und nimmt in seinen Songs Bezug auf seine Erlebnisse.

Dieser Austausch mit dem Publikum im kreativen Prozess ist für Musiker:innen neu und wichtig, sagt die Bassistin und Songwriterin Blu DeTiger (1 Mio. Follower, 15,3 Mio. Likes). Sie nutzt TikTok als Tool, um neue Songideen zu testen und zu experimentieren.

Mick Fleetwood vergleicht diesen sofortigen Feedbackloop zwischen Creators und User:innen mit der kreativen Zusammenarbeit in einer Band, nur dass man eben nicht mehr im Studio steht. Für ihn — wie auch für viele Labels und Musikjournalist:innen ist TikTok eine Art Newcomer-Stage, wo man neue Talente entdecken und weiterentwickeln kann.

Mick Fleetwood über das “Dreams”-Revival bei TikTok

Dieser Mechanismus kann natürlich auch zu berechnender Fabrikware führen — wie “Toosie Slide” von Drake zeigt: Der liefert in den Lyrics direkt die Tanzchoreo mit: “It go right foot up, left foot slide / Left food up, right foot slide”. Perfekt abgestimmt auf die Nutzung bei TikTok und ein garantierter Hit (insgesamt 6,8 Mrd. TikTok-Views, davon eine Mrd. innerhalb von drei Tagen).

Musiker:innen können mit den speziellsten Interessen und Instrumenten extrem erfolgreich werden — wenn sie damit einen Nerv beim Publikum treffen. Ob Shanty Songs, oder Cover-Versionen von trending Popsongs mit Bass, so hat z.B. Blu DeTiger ihre TikTok-Karriere gestartet.

4. News sind keine Einbahnstraße

Interessant zu hören war im TikTok-unabhängigen Panel “How GenZ Duets the News on TikTok”, dass junge Creators wie Jackie James das Gefühl haben, mit politischen Inhalten ein Tabu zu brechen. Öffentlich über Politik zu sprechen ist nicht überall auf der Welt so üblich, wie es Medienmenschen vorkommt.

In den regulären, linearen Medien werden die Nachrichten dem Publikum einfach nur mitgeteilt — dabei bieten Nachrichten bekanntlich Gesprächsanlässe. Medien, die bei TikTok mit politischen Inhalten erfolgreich sind (Washington Post, Now This — aber auch die Tagesschau und BR24), wissen das und suchen den Austausch und die Diskussion.

Dave Jorgenson, vom TikTik Account der Washington Post, trifft oft den richtigen Ton bei der jüngeren Zielgruppe — muss bei Vorgesetzten aber immer wieder für seine Umsetzungsideen kämpfen. Zum Beispiel für diesen selbstkritischen Clip, in dem er mit einer Kollegin auf das Gender-Pay-Gap aufmerksam macht.

Jorgenson plädiert dafür, bei sensiblen Themen Expert:innen hinzuzuholen — auch vor die Kamera. Besonders dann, wenn spezifische Perspektiven und Erfahrungen gefragt sind, wie bei den Black Lives Matter Protesten im vergangenen Jahr.

5. Omnipräsent aber undurchsichtig

TikTok war als einer der Sponsoren des SXSW dieses Jahr überall: Ein halbes Dutzend von TikTok moderierte Panels zu diversen Marketing-relevanten Themen, ein viel zu schnell ausgebuchter Creators-Workshop und als Randnotiz in vielen andere Sessions.

Dabei vermied die chinesische Plattform es erfolgreich wirkliche Einblicke in die Funktionsweise der App, die Logik der Algorithmen, Streits um Musiknutzungsrechte, Datenschutz und Zensurvorwürfe zu geben. Genauso schade ist es, dass wir nur wenig von Creators selbst gehört haben: Über die Herausforderung nach einem Hit mit ebenso erfolgreichen Clips anzuschließen (was Nathan Apodaca nicht gelungen ist) oder wie und mit welchem Aufwand sie ihren Content produzieren.

Alles kritische Fragen, die beim SXSW vor Ort spätestens vom Publikum gestellt worden wären. Aber wo kein Live-Publikum ist, können sich die Panelist:innen – und Marken – vor unangenehmen Fragen drücken. So blieben die meisten TikTok-Panels genau das, was sie wohl sein sollten: launige Werbepräsentationen.

Der Bayerische Rundfunk hat auch zwei erfolgreiche TikTok Accounts: Der News-Kanal BR24 und DeinPuls vom jungen Content Netzwerk PULS.

Für alle, die ein SXSW Ticket haben, hier die Links zu den oben im Text erwähnten Panels:

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Vanessa Schneider
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journalistin & Data Lover 📺Serien-Podcast Skip Intro bei @BR_Kultur⭐️ she/her