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Mit Hero-Podcasts neues Publikum gewinnen

Wie wir die Podcast-Strategie des BR entwickeln

Philipp Grammes
BR Next

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29 Prozent mehr Podcast-Abrufe als vor einem Jahr! So eine frische BR-Bilanz des Jahres 2020 ist natürlich eine ideale Vorlage für einen Text über unsere Podcast-Strategie. Doch neben diesem quantitativen Erfolg ist genauso wichtig, dass unsere Strategie mehr Fokus und Vernetzung, viel Austausch mit unserem Publikum und mehr Motivation bringt — und zur digitalen Transformation des BR beiträgt.

Frau liegt auf dem Boden, ihre Augen sind mit ihren Haaren bedeckt und sie trägt Kopfhörer.
Photo by Elice Moore on Unsplash

Vom Radio zum Podcast

Der BR war eines der ersten Medienhäuser, das 2005 einen “Podcast” veröffentlicht hat. Das Thema ist also eigentlich nicht neu für uns. Allerdings waren es lange Zeit ausschließlich lineare Radio-Sendungen, die wir über einen RSS-Feed zum Nachhören anbieten. Über 200 verschiedene Podcast-Feeds sind beim BR auf diese Weise entstanden.

Sie bringen uns millionenfache Abrufe, doch darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Denn:

  1. Wir erreichen vornehmlich ein Publikum, das unsere Radio-Sendungen schon kennt und nutzt.
  2. Hier ist kaum noch Wachstum zu generieren, zumal man als Hörer:in oft unser Programmschema kennen muss, um Sendungsnamen und -formate zu verstehen.

Gleichzeitig zeigt uns ein weltweit boomender Podcast-Markt, dass wir eigentlich deutlich mehr dieser Inhalte bräuchten: unterhaltsames Gelaber von mehr oder weniger prominenten Leuten; amerikanisch beeinflusstes serielles Storytelling; True-Crime- und Special-Interest-Formate.

Zum Glück haben wir beim BR wache Kolleg:innen, die diese Trends frühzeitig erkannt haben und mit Verve in diese Richtung gegangen sind: Unser junges Content-Netzwerk PULS hat originäre Podcasts wie Schacht & Wasabi oder Im Namen der Hose an den Start gebracht.

Unsere Doku-Spezialist:innen haben serielle Formate wie Transformer oder 4 Tage Angst produziert, die als Podcast ebenso wie im Radio funktionieren.

Und mit dem Wettbewerb “Call for Podcast” hat sich der BR schon 2016 mit vielen Partner:innen aus der Podcast-Szene vernetzt und neue Ideen gesucht, die dann u.a. mit Ein Mann für Mama auch in Serie gegangen sind.

Podcast-Nutzerin: Junge Frau mit Smartphone und Kopfhörern
Foto: BR

Drei Leitplanken für unsere Podcasts

Wir mussten also diese Ansätze nur systematisieren, als wir vor knapp anderthalb Jahren begonnen haben, uns als Teil der BR-Digitalstrategie im Podcast-Bereich neu aufzustellen. Seitdem gibt es im Wesentlichen drei Vorgaben:

  1. Podcasts werden grundsätzlich nur Web-first entwickelt, müssen also in erster Linie im Podcast-Markt mit seinen ganz eigenen Anforderungen funktionieren. Die Gesetzmäßigkeiten der Ausstrahlung im Radio sind zweitrangig.
  2. Podcasts müssen auf neue Zielgruppen ausgerichtet sein, die wir gemäß unserer Content-Strategie für den BR erreichen wollen. Dabei handelt es sich um digital affine Menschen, die in vergleichsweise hohem Maß Podcasts als eigenständiges Medium nutzen.
  3. Jeder Podcast verfügt über ein Veröffentlichungskonzept, in dem wir festlegen, mit welchen Maßnahmen (Marketing, Crosspromotion, Social Seeding) wir ihn in den Markt bringen. Das BR-Distributionsmanagement gibt hier die Linien vor, welche Inhalte auf den unterschiedlichen Plattformen nachgefragt sind und ausgespielt werden.

Weil klar ist, dass wir diesen Aufwand nicht für alle der mehr als 200 Feeds des BR betreiben können, haben wir in unserem Portfolio rund 35 erfolgsversprechende, sogenannte “Hero”-Podcasts identifiziert, mit denen wir aktiv in den Markt gehen und auf die wir unsere Maßnahmen zur Reichweitensteigerung konzentrieren.

Mit ihnen generieren wir rund zwei Drittel aller Abrufe, hier findet unser Wachstum statt. Den Use-Case “Sendung verpasst” werden wir künftig zudem größtenteils in unserer neuen BR Radio App abdecken.

Podcast-Cover
Ein Teil unserer Hero-Podcasts.

Unsere Hero-Podcasts: Mehr Spitze neben der Breite

Das “Hero”-Portfolio setzt sich im Wesentlichen aus drei Teilen zusammen:

  • Etablierte, reichweitenstarke Zweitverwertungen linearer Sendungen;
  • Podcasts, die Mega-Trends im Markt bedienen;
  • Nischen-Angebote für spitze, Podcast-affine Zielgruppen.

Etablierte Sendungen und Archiv-Schätze

Die Basis unseres Portfolios bilden nach wie vor Sendungen, die zwar aus dem Radio kommen, sich aber durch ihr Format gut im Podcast-Markt behaupten und dort seit langer Zeit etabliert sind.

Neben unseren reichweitenstärksten Wissensangeboten radioWissen und IQ - Wissenschaft & Forschung sind das Talk-Sendungen wie die Blaue Couch oder Eins zu Eins - Der Talk sowie öffentlich-rechtliche Kernkompetenz, wie der Hörspiel Pool, und das radioFeature.

Pumuckl in seiner Schaukel (BR/Infafilm GmbH/Original-Entwurf Pumuckl-Figur: Barbara von Johnson)
Den Pumuckl gibt’s auch als Podcast (Foto: Infafilm GmbH/Original-Entwurf Pumuckl-Figur: Barbara von Johnson)

Nicht immer müssen wir komplett neue Formate erfinden, oft erzielen wir gute Erfolge mit kreativer Zweitverwertung: Im BR-Archiv finden sich Serien wie Paul Temple oder der Pumuckl sowie die Sketche von Karl Valentin, die als Podcasts mit Kult-Charakter neue Zielgruppen ansprechen.

Und mit dem radioWissen-Spin-off Alles Geschichte bedienen wir den großen Markt der History-Podcasts, indem wir bestehende Inhalte klug neu zusammenstellen.

Mega-Podcast-Trends

Verena Fiebiger und Diplom-Psychologin Lena Schiestel
Verena Fiebiger und Diplom-Psychologin Lena Schiestel, Hosts des PULS-Podcasts “Die Lösung”.

Zweiter tragender Pfeiler unseres Hero-Portfolios sind Podcasts, die die Mega-Trends im Markt bedienen: Die Lösung zielt auf die Nachfrage nach Psychologie-Angeboten, Igor Levits 32x Beethoven ist in Zusammenarbeit mit einem “Influencer” entstanden und mit BAYERN 3 True Crime sowie dem seriell erzählten Der Mörder und meine Cousine bedienen wir das Interesse an realen Verbrechergeschichten. Hier werden 2021 weitere Formate folgen.

In der Nische finden wir Platz

“Primamuslima”-Host Merve Kayikci
“Primamuslima”-Host Merve Kayikci.

Als Drittes gehen wir gezielt auf spezifische Zielgruppen zu, die eigene Bedürfnisse haben, was Themen und Ansprache angeht.

Beispiele wären hier Die neue Norm, Eltern ohne Filter, Primamuslima, Willkommen im Club oder PULS Musikanalyse. Wie wir solche Formate nutzerzentriert entwickeln, hat meine Kollegin Katharina Kestler für die “Bergfreundinnen” beschrieben.

Hier ist für uns besonders viel Wachstum bei BR-fernen Nutzer:innen zu holen und es zahlt zusätzlich auf unsere Bekanntheit und Akzeptanz bei diesem Publikum ein.

Podcast-Plattformen und ARD Audiothek

Dank des RSS-Feeds sind Podcasts ein sehr freies Medium: Die Nutzer:innen können selber entscheiden, mit welcher App sie diese Angebote nutzen.

Nicht zuletzt durch Anbieter wie Spotify ändert sich der Markt gerade hin zu “Walled Gardens”, also Plattformen, die ihr Publikum möglichst lange in ihrem geschlossenen Ökosystem halten wollen. Damit besteht die Gefahr, dass ein Stück der freien Zugänglichkeit von Inhalten verloren geht.

Auch wenn ich diese Entwicklung mit Sorge sehe: Als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt müssen wir auch auf diesen Drittplattformen präsent sein, um deren Nutzer:innen unsere Inhalte verfügbar zu machen.

Deshalb bieten wir unser Hero-Portfolio grundsätzlich auf allen Podcast-Plattformen an, wenn es keine rechtlichen Grenzen gibt. Allerdings ist es daneben ein wichtiges Ziel, die ARD Audiothek als eigene Plattform zu stärken, die für alle Nutzer:innen kostenlos ist. Aus diesem Grund werden wir künftig einen Teil unserer Podcasts dort zuerst oder exklusiv anbieten.

Mit am wichtigsten: Austausch und Vernetzung

Wenn der BR wüsste, was der BR alles weiß”, ist ein schönes Bonmot dafür, dass Kompetenzen und Know-how in unserem Haus oft über viele Bereiche und Standorte verteilt sind. Deshalb ist es wesentlicher Teil unserer Strategie, das Wissen über Podcast-Produktion und -Distribution zu vernetzen und alle Stellen miteinander in Austausch zu bringen.

Dafür haben wir einerseits ein “Podcast-Board” eingerichtet, in dem sich die übergeordneten Stellen regelmäßig abstimmen, also neben den Redaktionen auch unsere Stabsstelle Hörfunk, die digitalen Entwicklungsredaktionen, das Distributionsmanagement, das Marketing, die Produktionstechnik und die Softwareentwicklung. Das Board legt auch die BR-Podcast-Roadmap fest und diskutiert die strategischen Leitlinien.

Neben dem Board gibt es den “Podcast Think-Tank”, in dem sich die Podcast-Spezialist:innen des Hauses, vor allem aus den verschiedenen Redaktionen, alle paar Wochen treffen. Hier tauschen wir Learnings und Beobachtungen aus, geben Feedback zu unseren Formaten, sondieren den Markt und stoßen Entwicklungen an. Ein kleines Team von Podcast-Expert:innen steht zudem bereit, um als Berater:innen in einzelne Redaktionen zu gehen, wenn diese ein neues Format entwickeln.

Foto: BR

Ein Podcast-Netzwerk, das einen Sog erzeugt

Dass wir inzwischen viel besser darin geworden sind, neue Podcasts nutzerzentriert zu entwickeln und erfolgreich zu launchen, ist ganz wesentlich diesem Wissenstransfer zu verdanken.

In einem vertikal strukturierten Haus wie dem BR, kann nur ein solches Netzwerk agil zu flexiblen, operativen Veränderungen an vielen Stellen führen.

Für mich ist ein wesentliches Erfolgskriterium dieser Aufstellung, dass der Austausch und die Vernetzung einfach Freude machen. Wir stoßen Veränderungen nicht durch Druck “von oben” an, sondern motivieren durch den Sog, den Zusammenarbeit und Inspiration durch gelungene Beispiele erzeugen.

Dabei können wir auf eine Kultur der Offenheit und des vertrauensvollen Miteinanders setzen, die vor allem im BR-Hörfunk schon immer gelebt wird.

Podcasts als Hebel für digitale Transformation

Das soll aber nicht einfacher klingen, als es ist: Die Redaktionen bekommen nicht mehr Budget dafür, dass sie jetzt auch noch Podcasts produzieren, sondern müssen sie durch Umsteuerung linearer Mittel finanzieren.

Da ist es zunächst eine beruhigende Erkenntnis, dass Web-first entwickelte Podcasts das Radio-Programm keinesfalls schlechter machen, wenn man sie ausstrahlt — im Gegenteil: Es ist kein Nachteil, wenn eine etablierte Sendung dank Podcast-Verwertung auch mal jünger und anders klingt.

Zum anderen sind Podcasts aber auch Treiber der Transformation hin zum Digitalen: Sie folgen anderen Gesetzmäßigkeiten als das Radio, bringen einen stärkeren Austausch mit einer Community und benötigen oft flankierende crossmediale Inhalte, zum Beispiel für Social Media. Das ist zunächst eine echte Herausforderung für klassische Radio-Redaktionen, macht aber auch eine steile Lernkurve möglich.

Wir brauchen diese Transformation, um zukunftsfähig zu sein. Deshalb hat der BR nicht einfach eine neue Podcast-Redaktion gegründet, sondern wir trauen unseren Radio-Kolleg:innen zu, dass sie sich — mit etwas Unterstützung — vom rein linearen Denken lösen und “Podcast können”.

Das ist wesentlicher Teil der digitalen Strategie, um unser Haus zukunftssicher zu machen. Wie die bestehenden Strukturen langfristig an sich wandelnde Märkte angepasst werden müssen, wird die Zukunft zeigen.

Podcasts and beyond

Denn auch wenn Podcasts momentan boomen und der augenfälligste Audio-Trend im Digitalen sind, können wir uns nicht darauf ausruhen, dieses Thema einigermaßen im Griff zu haben. Audio im Netz wird sich mehr Richtung Social entwickeln, sich mit Video mischen, ein immersives Erlebnis werden, neue Apps und Tools entstehen lassen. Die Integration von Standortdaten macht neue Audio-Erlebnisse möglich.

Nichts davon ist heute schon klar, aber durch die Veränderungen, die wir im Podcast-Bereich angestoßen haben — inhaltliche Konzentration, Nutzer*innen-Orientierung, Wissenstransfer und ein BR-internes Audio-Netzwerk — rüsten wir uns für die Zukunft.

Für gute Geschichten, spannend und nah von Mensch zu Mensch, wird es immer einen Bedarf geben. Und wir sind es, die sie erzählen.

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Philipp Grammes
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Writer for

Digitalchef @bayern2 und Podcast-Beauftragter @br-presse.