Eine sinnvollere Wirtschaft gestalten — Teil 6

Andrea Demaria
7 min readApr 19, 2023

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Faire Beteiligung

Was macht eine gute Arbeit aus? (unsplash.com, Markus Spiske)

Für Pioniere, die sich engagieren

Engagierst du dich auch in Vereinen oder Initiativen und fühlst dich manchmal wie David gegen Goliath: wirksam, ja, aber nie genug, um die großen Herausforderungen anzugehen? Bist du bereit, alte Denkmuster zu überwinden und neue Wege zu beschreiten?

Wir von One-X glauben, dass das aktuelle Wirtschaftssystem die Probleme, die es verursacht, kaum lösen kann und haben uns in den letzten Jahren mit der Entwicklung eines neuen, praktikablen Wirtschaftssystems beschäftigt. In unserem ersten Artikel haben wir die Herausforderungen und Grundlagen dieses neuen Paradigmas beschrieben, und wir möchten dich hier weiter in das Konzept einführen und dich einladen, an dieser Arbeit mitzuwirken.

Wir suchen Mitgestalter, die One-X in realen Kontexten zum Leben erwecken, wo das neue Wirtschaftssystem getestet und angewendet werden kann. Nach zwei Jahren Proof-of-Concept glauben wir, dass One-X nun ein ausgereiftes Konzept ist, bei dem die meisten Aspekte ausgearbeitet sind.

Fünf Qualitäten zur Lösung unserer Herausforderungen

Die dringlichsten Probleme des bestehenden globalen Wirtschaftssystems sind zum einen die wachsende soziale Ungleichheit und zum anderen die übermäßige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

One-X bietet Menschen und Vorhaben ein offenes Netzwerk an, um gemeinsam unsere Herausforderungen zu lösen. In One-X arbeiten wir auf Augenhöhe zusammen, ohne jeglichen Zwang. Je mehr Vertrauen wir untereinander aufbauen, desto wirksamer kann die Zusammenarbeit werden.

Das langfristige Ziel von One-X ist es, gemeinsam die Bedürfnisse aller Menschen auf der Welt zu erfüllen. Dies klingt zunächst nach einem utopischen Ziel, aber One-X bietet uns den idealen Experimentierraum, um durch fünf neue Qualitäten diesem Ziel Schritt für Schritt näherzukommen:

Die Qualitäten werden durch die konsequente Implementierung von zehn Prinzipien erreicht, zwei für jede Qualität, die wir in dieser Artikelserie ausführlich beschreiben.

Die fünfte Qualität, auf die wir jetzt näher eingehen werden, sorgt für eine sinnvolle Beschäftigung und einen angemessenen Wohlstand bei jedem Mitglied. Individuelle Arbeit und Vergütung stehen damit im Gleichgewicht mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Gemeinschaft. Die beiden hier folgend beschriebenen Prinzipien ermöglichen es, diese Qualität zu erreichen.

Entspannt und “in Flow” arbeiten bringt die besten Ergebnisse (unsplash.com, Thought Catalog)

9. Prinzip: Gib, was du kannst

Wir alle streben nach einem Leben in Wohlstand und wissen, dass dies nur durch Zusammenarbeit möglich ist. Wenn wir unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten koordiniert einsetzen, können wir das Gemeinwohl kontinuierlich vergrößern.

Im heutigen Wirtschaftssystem konzentrieren wir uns oft auf unsere individuellen Ziele, um eine möglichst hohe Gegenleistung zu erhalten. Einige von uns arbeiten weniger als sie könnten, weil sie bereits alles haben, was sie brauchen. Andere wiederum überfordern sich in dem Bemühen, das Nötigste zu erreichen. Viele sind nicht mehr engagiert in ihrer Arbeit, aber zeigen es nicht offen, um ihre finanzielle Sicherheit nicht zu gefährden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen in diesem System oft im grundsätzlichen Konflikt, da Arbeitgeber möglichst viel Einsatz für wenig Geld anstreben, während Arbeitnehmer genau das Gegenteil wollen. In diesem System wird es akzeptiert, arbeitslos zu bleiben, wenn keine ausreichende Entlohnung für die Arbeit gefunden werden kann.

In One-X sehen wir Arbeit als jede Handlung, die bewusst dazu beiträgt, der Gemeinschaft Nutzen zu bringen, ohne dass es notwendigerweise finanziell belohnt wird. Durch die Übernahme dieser Verantwortung für das Gemeinwohl können wir gleichzeitig unser eigenes Leben erfüllen und uns selbst verwirklichen. Wir verstehen jedoch auch, dass Über- oder Unterforderung sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft negative Auswirkungen haben können. Aus diesem Grund setzen wir uns fair und mit unseren individuellen Fähigkeiten und Ressourcen für das Gemeinwohl ein. Wir vertrauen darauf, dass dadurch mehr Wohlstand für alle geschaffen wird und die Lasten gerechter aufgeteilt werden.

Wie haben wir dieses Prinzip konkret umgesetzt?

In One-X hat jedes Mitglied die Verpflichtung, seine Fähigkeiten mit einer fairen Auslastung einzusetzen und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dabei geht es nicht um ein bestimmtes Ergebnis oder eine bestimmte Leistung, sondern um den gezielten Einsatz der eigenen Aufmerksamkeit.

Die Fairness der Auslastung wird sowohl durch die individuellen Fähigkeiten und Energie im Vergleich zu anderen Mitgliedern als auch durch den Bedarf an Unterstützung in der Gemeinschaft bestimmt. Um diese Verpflichtung zu erfüllen, wird jedes Mitglied von der Institutionellen Entität Gutes Leben dabei unterstützt, eine für jede individuelle Situation passende Auslastung festzulegen. Außerdem hilft die Institutionelle Entität Markt jedem Mitglied dabei, die Tätigkeiten zu finden, bei denen es am besten seine Fähigkeiten einsetzen und weiterentwickeln kann, um eine sinnvolle und angemessene Beschäftigung zu fördern.

Manche glauben, dass das nicht gut funktionieren würde. Sie sagen uns:

  • “Die Mitglieder werden sich nicht bemühen, wenn keine klaren Ergebnisse belohnt werden”. Wir antworten: Das individuelle Engagement ist in der Gemeinschaft transparent und wir beobachten, dass die intrinsische Motivation oft stärker als die extrinsische ist.
  • “Die Mitglieder müssen also immer weiter arbeiten und können sich nicht ausruhen”. Wir antworten: Eine faire Auslastung berücksichtigt auch die derzeitige Energie der Mitglieder zur Erreichung des gewünschten Wohlstands, mehr wird nicht erwartet.

Stell dir aber jetzt vor, wir alle arbeiten freiwillig an dem, was am dringendsten benötigt wird und wir am besten tun können — ohne Über- oder Unterforderung:

  • Dann gäbe es keine Arbeitslosigkeit und keine Überlastung. Wir würden nicht mehr voneinander erwarten, als wir liefern können und möchten.
  • Dann wäre unsere Arbeit wirklich bedeutsam, frei gewählt und intrinsisch motiviert. Keiner könnte uns zwingen, etwas aus unserer Sicht nicht Sinnvolles zu tun.
  • Dann wäre die Arbeit für den Einzelnen leichter, weil auf allen Schultern verteilt und wir hätten ein Gefühl der Gerechtigkeit und gegenseitigen Unterstützung.
Bedürfnisse und die Mittel, um sie zu erfüllen, ändern sich mit der Zeit (unsplash.com, Yoav Aziz, Lucas Ludwig)

10. Prinzip: Bekomme, was du brauchst

Um das zu bekommen, was wir brauchen und ein gutes Leben führen zu können, benötigen wir in verschiedenen Lebenslagen mal mehr, mal weniger finanzielle Mittel. Im derzeitigen System wird oft empfohlen, früh anzufangen, für die Zukunft Kapital anzuhäufen, um für mögliche Krisen oder den Ruhestand abgesichert zu sein. Allerdings führt dies manchmal dazu, dass wir mehr ansammeln, als wir tatsächlich brauchen. In solchen Situationen tendieren wir dazu, unser Geld für teure und nicht notwendige Produkte und Dienstleistungen auszugeben, die kostbare Ressourcen verschwenden und unsere Umwelt belasten können. Auf der anderen Seite, wenn wir zu wenig finanzielle Mittel haben, sind wir oft gezwungen, billige und nicht nachhaltige Produkte zu kaufen. Dies kann auch zu einer Verschwendung von Ressourcen führen, da diese Produkte oft von geringerer Qualität sind und häufiger ersetzt werden müssen.

In One-X möchten wir, dass jedes Mitglied die finanziellen Mittel bekommt, die es braucht, um ein erfülltes Leben zu führen, nicht mehr und nicht weniger. Wenn jedes seinen fairen Arbeitsbeitrag leistet, wie im neunten Prinzip hier oben beschrieben, dann wird die Gemeinschaft auch die passenden Mittel erwirtschaften können, die dann zwischen allen Mitgliedern aufgeteilt werden. Die verteilten Mittel sind für die derzeitigen Bedürfnisse jedes Mitglieds bestimmt und verfallen, wenn sie nicht kurzfristig verwendet werden, ohne Möglichkeit als Individuum Kapital anzusammeln. Dabei ist es unerheblich, welchen Beitrag ein Mitglied in der Gemeinschaft leistet oder woher es stammt. So kann jedes Mitglied für sich das in Anspruch nehmen, was es gerade braucht, ohne Mittel anhäufen zu müssen.

Wie haben wir dieses Prinzip konkret umgesetzt?

In One-X werden alle finanziellen Mittel, die in der Gemeinschaft erwirtschaftet werden, fair aufgeteilt. Jedes Mitglied erhält dabei das Geld, das es aktuell benötigt, um gut leben zu können. Die Institutionelle Entität Balance kümmert sich um die Verwaltung der Mittel und führt zur Entscheidung, wie viel Geld für den Lebensunterhalt der Mitglieder verwendet werden soll, anstatt es für Investitionen oder als Rücklage aufzusparen. Danach sorgt die Institutionelle Entität Gutes Leben für eine faire Verteilung dieser Anteile, basierend auf den individuellen Bedürfnissen. Die Verteilung folgt dabei einheitlichen und transparenten Logiken. So können alle Mitglieder in der Gemeinschaft gut leben, ohne dass jemand benachteiligt wird.

Manche glauben, dass das nicht gut funktionieren würde. Sie sagen uns:

  • “Die Mitglieder würden das System ausnutzen, d.h. einfach wenig tun und trotzdem kassieren”. Wir antworten: So ein Verhalten würde das Vertrauen der anderen Mitglieder verletzen und letztendlich zum Ausschluss aus der Gruppe führen.
  • “Man kann nicht Engagement und Bedürfnisse von jedem Mitglied genau messen und kompensieren”. Wir antworten: Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Bestimmung der Mittel basierend auf Vertrauen, Transparenz und Dialog i.d.R. als fair genug empfunden wird.

Stell dir aber jetzt vor, jedes Mitglied bekommt stetig so viel, wie es tatsächlich braucht:

  • Dann sind in der Gruppe Armut und soziale Ungleichheit komplett gelöst. Wir erleben uns als gleichwertige Mitglieder, Neid und Angeberei nehmen ab.
  • Dann brauchen wir Almosen und Entwicklungshilfe genauso wenig wie Steuern und Versicherungen. Das Sozialsystem wird radikal vereinfacht.
  • Dann brauchen wir nicht individuell für die Zukunft vorzusorgen bzw. nichts mehr anzuhäufen. Wir sorgen in der Gemeinschaft füreinander.

Gemeinsam das neue System gestalten

Wir haben in den letzten Jahren den Mehrwert der fünf Qualitäten immer deutlicher erfahren, und wir wissen, es bleibt noch viel mehr zu entdecken. Siehst du auch dieses Potenzial?

Wenn diese Themen für dich relevant sind, laden wir dich ein, weitere Artikel dieser Serie zu lesen. Alle Artikel sind unten verlinkt.

Wenn du dir noch nicht sicher bist, ob diese Themen für dich relevant sind, haben wir die Möglichkeit einer kurzen persönlichen Reflexion vorbereitet und bieten sie jedem Leser an. Kontaktiere uns auch gerne persönlich unter info@one-x.org und wir werden zügig antworten.

Wir freuen uns über Pioniere, die ihre Prinzipien, Praktiken und Erfahrungen mit uns teilen und gemeinsam an der Entwicklung eines neuen Wirtschaftssystems für eine breitere Anwendung arbeiten wollen. Wir laden dich ein, dich uns im One-X Workshop anzuschließen, einem virtuellen Raum, in dem Pioniere des neuen Systems experimentieren, voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen können.

Wir freuen uns, von dir zu hören!

Andrea Demaria & Tobias Bantzhaff

Artikel der Serie Eine sinnvollere Wirtschaft gestalten:
- Teil 1: Auf dem Weg zu einer neuen Vision
- Teil 2: Freiwilliges Engagement
- Teil 3: Peer Empowerment
- Teil 4: Respekt vor der Umwelt
- Teil 5: Zweckgerichtete Investitionen
- Teil 6: Faire Beteiligung (dieser Artikel)
- Teil 7: Ein Weg zur neuen Wirtschaft
- Teil 8: Grundlagen von One-X (noch nicht veröffentlicht)

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Andrea Demaria

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