Das Portrait einer Königin

Karl-Maria de Molina
17 min readFeb 4, 2022

Portraits von Adligen

In früheren Zeiten war es in den Adelshäusern üblich, sich portraitieren zu lassen. Eine gern gemalte Kaiserin war z.B. Sissi.

Heute ist es mit dem Fotoapparat oder mit Aquarell viel einfacher und preiswerter ein Portrait anzufertigen. Früher wie heute haben Portraits immer etwas gemeinsam, man will die portraitierte Person in einem guten Licht erscheinen lassen. Retuschieren des Bildes gehört häufig dazu.

Ich möchte heute jemanden portraitieren, die keine Retuschen braucht: Maria, die Königin des Himmels und der Erde. Ihr Portrait müssen wir nicht retuschieren, weil sie in ihrem Leben den Plan Gottes vorbildlich umgesetzt hat, wie Fulton Sheen (1954) treffend bemerkte.

In einem Portrait wollen die Künstler die Eigenschaften der portraitierten Person zur Geltung bringen. Im Bild will der Künstler die äußeren Merkmale, aber auch die Charaktereigenschaften abbilden. Das Aussehen Mariens ist uns völlig unbekannt, da es damals keine Technik gab, Menschen abzubilden. Daher werden wir uns auf ihre inneren Werte konzentrieren. „Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (1 Samuel 16,1–13).

Laudatio der eigenen Mutter

Aufgrund von Erfolgen im Sport, in der Arbeit oder in der Kultur werden Menschen prämiiert. Den Gewinnern des Preises wird in vielen Fällen eine besondere Ehre zuteil: Eine Laudatio. Dieser wird von einem Laudator vorgetragen, der dem Gewinner nahesteht und in der Gesellschaft einen hohen Bekanntheitsgrad genießt.

Vor kurzem wurde einer der erfolgreichen Skifahrer aller Zeiten prämiiert: Marcel Hirscher. Der Laudator war sein Freund und Mitkonkurrent Felix Neureuther. Dieser hat die Laudatio lustig und unterhaltsam gestaltet, mit viel Witz und Humor. In so einem Fall bringt der Laudator die Glanzleistung des Preisgekrönten zum Vorschein.

Heute wollen wir der Mutter Gottes für ihre Treue zur Berufung und für ihre Glanzleistung, eine Laudatio aussprechen. Viele Heilige und Päpste haben im Laufe der Jahre die Rolle des Laudators übernommen: Pius XII, Bernhard von Clairvaux, Luis-Marie Grignion de Montfort, Josemaría Escrivá. Sie alle hatten im Laufe ihres Lebens eine besondere Beziehung zur Mutter Gottes entwickelt. Ihre Liebe zu Maria „drängte“ sie dazu, Lobeshymne auf Maria einzustimmen.

Ich muss zugeben, dass ich trotz meiner Sündhaftigkeit auch diesen inneren Wunsch verspüre, Lobeshymne auf Maria einzustimmen. Und daher erlaube ich mir, hier die Rolle des Laudators zu übernehmen. Damit geht ein Lebenstraum in Erfüllung. Es ist eine Art Gedicht an die eigene Mutter anlässlich ihrer Geburtstagsfeier.

Wenn wir den Papst Johannes Paul II fragen würden, ob so eine Laudatio angebracht wäre, würde er womöglich auf seine Lieblingsantwort zurückgreifen: „Si doveva“. Ja. Es ist angemessen, die Mutter Gottes für Ihr Lebenswerk zu prämiieren. Die Heiligste Dreifaltigkeit hat sie bereits vor ihrer Geburt prämiiert: Mit der Fülle der Gnaden! Die Kirche hat den Faden übernommen und hat mehrere Feste ins liturgische Jahr eingebaut.

Die Theologen haben sich häufig ähnlich ausgedrückt, um diese Gnadenfülle zu erfassen, mit der wir Maria bekleidet sehen, und die sich mit der Aufnahme in den Himmel vollendet. Sie sagen: Es war angemessen, Gott konnte es tun, also tat Er es“ (Zitat aus Johannes Duns Scotus im Buch Escrivá (1972)

Papst Pius XII. hat seinerzeit am 1. November 1954 zum Abschluss des Marianischen Jahres das Fest Maria Königin eingeführt und auf den 31. Mai festgesetzt. Ich weiß nicht, ob es korrekt wäre, es als Zufall zu bezeichnen, dass ich einige Tage nach diesem Festakt geboren wurde, und sieben Jahre später gerade am 31. Mai meine Erstkommunion gefeiert habe.

In einem Wallfahrtsort südlich der Pyrenäen in der Provinz Huesca sollte in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Altarbild angefertigt werden. In der Region ist es üblich, die Altarbilder von großen Kirchen als 3D, d.h. als Reliefbild, aufzubauen. Fürs Altarbild wurde ein Bildhauer aus der Nähe von Barcelona ausgesucht. Sein Name ist Joan Mayné. Seine Idee war, fürs Reliefbild Bilder von lebenden Menschen zu verwenden. Und wen hat er ausgewählt für die Darstellung Mariens? Sie erraten es…seine leibliche Mutter. Als ist diese Anekdote hörte, füllte sich mein Herz mit einer großen Freude. Ich dachte, er hat es verstanden! Die Mutter Gottes ist wahrhaftig seine Mutter und so war es nahliegend, seine leibliche Mutter abzubilden.

Wer hat uns als Kind den Weg zu Maria gewiesen? Mit großer Wahrscheinlichkeit unsere leibliche Mutter. Die Liebe zur Mutter Gottes entspringt in den meisten Fällen aus der Liebe zur leiblichen Mutter. Diese bereitet den Weg zu ihr und macht diesen gangbar.

Die Schönheit kommt aus dem Herzen

In einer Laudatio an einer Frau darf ein Hinweis auf ihre Schönheit nicht fehlen. Der Theologe Herbert Haag (1997) schreibt „Im Neuen Testament hören wir nicht, Maria sei schön. Erst die spätere Kunst hat versucht, aus ihr die schönste Frau zu machen“. Wir haben zwar keinen Beweis dafür, dass Maria schön war. Die Logik kann hier helfen. Wenn wir das Zitat von Duns Scotus richtig interpretieren, dann kann die Dreifaltigkeit der Mutter Gottes nicht nur die Gnadenfülle, sondern ihr auch eine „elegante Schönheit“ schenken. Eine Schönheit, die sie genetisch an ihren Sohn weitergegeben hat. Persönlich kann ich mir nicht vorstellen, dass sie „ein habsburgisches Kinn“ à la Karl V oder „eine Nase“ à la Maximilian I hatte.

Ich stelle mir vielmehr eine „elegante Schönheit“ vor, die die Männer den Kopf nicht verdreht und die Frauen nicht neidisch macht. Letztlich, die Schönheit einer Frau kommt aus dem Inneren, aus ihrer Seele, aus der Fähigkeit, zu lieben, zu verzeihen. Hier passt das Zitat von Willam (1953) sehr gut: “Der hl. Petrus schildert in seinem ersten Brief die vorbildliche Frau…”ihr Schmuck ist nicht ihr Aussehen, die Frisur, Goldschmiede und Modekleider, sondern was im Herzen den Menschen ziert. Das ist kostbar in den Augen Gottes”

Vor kurzem lief im Fernsehen ein Dokumentarfilm über die Royals von England und konkret über die Herzogin von Cambridge, Kate Middleton. Im Rahmen des Films wurde ein Bild von der weltberühmten Agentur Getty gezeigt. Die Aufnahme wurde beim Begräbnis von Prinz Philipp gemacht. Die Herzogin trug passend zum Ereignis eine schwarze Maske und ein schwarzes Kleid. Im Bild sitzt sie im Auto und schaut auf die Kamera. Vom Gesicht sind nur die Augen zu sehen. Der Fotograph hat einen exakten Moment erwischt. Die Frau ist schön anzusehen (vgl. Blick.ch). Als ich das Bild sah, dachte ich mir: Wenn Gott eine Herzogin so schön macht, wie schön wird er seine eigene Mutter, die Königen des Himmels und der Erde, gemacht haben.

Kehren wir zurück zum obigen Diskurs: Die Schönheit kommt aus dem Inneren. Damit leiten wir zum nächsten Kapitel über die Charaktereigenschaften Marien über.

Charaktereigenschaften Mariens

Wenn wir uns in diesem Kapitel mit den Charaktereigenschaften Mariens befassen, dann tut sich die Frage auf: a) Welche Quellen werden dafür herangezogen und b) Wer hat die Fähigkeit, aus den Quellen Persönlichkeits- und Kompetenzattribute abzuleiten?

Wir werden hier ausschließlich von der Kirche anerkannte Quellen verwenden, d.h. Neues Testament und Texte von anerkannten Erscheinungen Mariens.

Wir werden die Eigenschaften auch Tugenden und Kompetenzen auflisten, Quellen angeben und kommentieren.

Als Personaldiagnostik bin ich gewohnt durch meine Arbeit verhaltensbasierte Kompetenzen und Eigenschaften zu analysieren und zu validieren.

Nachfolgend kommentiere einige der Eigenschaften und Tugenden Mariens.

Demut

In all den Wortmeldungen Mariens, die uns das Evangelium tradiert, kommt die Demut zum Vorschein: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Verkündigung), „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“ (Magnificat), „sie haben keinen Wein mehr“ (Cana), „nimm das Kind und seine Mutter“ (Flucht nach Ägypten).

In der Szene in der Hochzeit zu Cana hätte die Mutter ihr Anrecht geltend machen können und sagen: „Als Mutter trage ich Dir den Auftrag vor, für mehr Wein zu sorgen“. Mit diesen oder ähnlichen Worten hätte (fast) jede Mutter auf Erden ihren Sohn einen Auftrag erteilt. Maria hingegen stellt sich nicht höher als ihr Sohn. Sie respektiert vielmehr seine Freiheit.

Maria spricht ihren Sohn an. Sie weiß zugleich, dass ihr Sohn eine zweite Natur hat: Die göttliche. Seit dem Ereignis im Tempel mit dem zwölfjährigen Sohn hat Maria erkannt, dass sie die zweite Natur Jesu berücksichtigen soll, wenn sie sich an ihn wendet.

Die Demut Mariens wird uns bei weiteren Kommentaren begleiten. Daher beenden wir abrupt hier diesen Abschnitt. Dieser Abschnitt könnte ein ganzes Buch füllen.

Beenden wir diesen Abschnitt über die Demut mit folgenden Worten: „Maria ist eine Super-Promi ohne die Allüren einer Diva“!

Klugheit

In der Verkündigung lesen wir aus dem Text von Lukas (1,29) „(sie) überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe“. Bevor sie handelt, bevor sie antwortet, überlegt sie. Sie beherzigt den Spruch „Erst denken, dann handeln“. Diese überlegte Art des Reagierens wird eher den Mitteleuropäern zugeschrieben und weniger den Menschen im Abendland. Maria verfügt bereits in jungen Jahren über diese Fähigkeit, wo Jugendliche eher spontan agieren. Damit zeigt sie die notwendige Reife, um ihrem Auftrag der Mutterschaft Gottes gerecht zu werden. Die nachfolgende Handlung: Joseph nicht direkt zu informieren, sondern es Gott zu überlassen, ist ein zweiter Beweis ihrer Klugheit.

Gesprächsfähigkeit

Der Dialog mit dem Erzengel Gabriel (Lukas 1,26–38) zeigt, wie sie ihre Einwände vortragen und bei überzeugenden Argumenten die Meinung ändern kann. In zwei weiteren Szenen das gleiche Bild: Bei der Tempelauffindung und bei der Hochzeit zu Cana. In beiden Fällen zieht sie aus den Aussagen Jesu die richtigen Konsequenzen. Sie erkennt in Jerusalem, dass nicht die menschliche Natur Jesu, sondern die göttliche geantwortet hat. Daraus zieht sie die Konsequenz zu schweigen. Es ist eine Art „overrule“. „Gegenüber dem Sohn Gottes habe ich zu schweigen“. Welche Lehre für uns, die wir häufig Jesu „Paroli“ bieten wollen.

Entschlossenheit

Just hat Maria von der Schwangerschaft ihrer älteren Base erfahren, reist sie eilends nach Judäa „cum festinatione“ sagen die Lateiner. Die Entfernung von ca. 150 km schreckt sie nicht. Manche Autoren meinen, Joseph wäre auch mitgereist. Andere eher nicht. Für die erste Option spricht die reine Logik einer Verlobten. Für die zwei Option die Logik, dass Joseph von der Schwangerschaft Mariens nichts wusste, obwohl das Thema von Elisabeth angeschnitten worden ist. Wie dem auch sei, Maria will eine Reise antreten und nimmt die Risiken auf sich.

Glaube

Nach der Liebe und der Demut, rangiert für mich der Glaube Mariens an dritte Stelle in der Liste der wichtigsten Tugenden. Bei der Verkündigung wird ihr ein Wunder angekündigt. Wer kann glauben, dass es ohne Zutun eines Mannes eine Frau Schwanger werden kann? Die Kirche und viele Autoren haben zurecht immer den Glauben Mariens betont. Ich zitiere Daniel-Rops (1950) „Die wahre Größe Mariens bestand darin, jeden Schritt, den die Gestalt ihres Sohnes in ihrer Unbegreiflichkeit tat, aus der Kraft des Glaubens mitzutun“. Der bekannter Autor Scott Hahn (2004) schreibt dazu „So ist dieses Jawort (Mariens) zugleich eine Bekundung ihres unerschütterlichen Glaubens. Dieser spielt in der Messiasmutterschaft eine so wesentlich rolle, dass das Muttersein Marias genauso von der Macht des Glaubens bestimmt ist wie von den körperlichen Kräften. Es ist eine Mutterschaft im Geiste wie im Leibe“.

Mut

Der Mut Mariens bestand darin, dem Erzengel Gabriel und letztlich der Dreifaltigkeit, zum Plan Gottes, in der Verkündigung ja zu sagen. Dieser Plan beinhaltete, ein Kind zu empfangen, das nicht von ihrem Verlobten stammte. Damit begab sich Maria außerhalb des jüdischen Gesetzes und setzte sich der Gefahr aus, gesteinigt zu werden. Gott hatte sie in diese brenzliche Situation gebracht und sie hat den Mut und den Glauben, Gott die Lösung der Lage zu überlassen. Wir kennen die Gedanken Mariens in diesem Zeitabschnitt zwischen Verkündigung und Information an den Heiligen Joseph nicht. Wir wissen nicht, ob sie sich an Gott mit der Bitte gewandt hat, er möge Joseph informieren. Glaube und Mut kommen hier zusammen.

Gott hat erlaubt, dass ihr diese erdrückende Last erleidet. Es wäre ein leichtes gewesen, Joseph wenig später zu informieren, wie es bei Elisabeth geschah. Aber nein. Gott hatte andere Pläne. In einem Artikel habe ich den möglichen Sinn dieser Verzögerung erklärt. Auch wenn diese Verzögerung einen Sinn hatte, war sie für Maria -auch für Joseph- nicht schmerzfrei. Die geistlichen Autoren kommentieren diese Zeitspanne aus der Sicht des Heiligen Josephs, aber selten (bis nie) aus der Sicht Mariens. Man möge sich vorstellen, wie wir in so einer Situation reagiert hätten. Was hätten wir Gott für Vorwürfe gemacht. Nicht so Maria. Sie hat zum Engel und zum Leiden ja gesagt. Die Haltung Mariens hier ist eine Blaupause für unser Leben, wie wir auf die Widerwertigkeiten reagieren müssen: Mit Mut und Glauben.

Empathie & Dienstbereitschaft

Empathie bedeutet, sich in die Lage der anderen zu versetzen, in ihren Nöten und Bedürfnissen. Im Neuen Testament wird die Mutter Gottes selten erwähnt. Und trotzdem werden zwei Szenen beschrieben, wo die Empathie Mariens zum Vorschein kommt: Besuch bei Elisabeth (Heimsuchung) und Hochzeit zu Cana. In beiden Fällen erkennt sie die Not der Personen: Die Base, die im vorgeschrittenen Alter ein Kind erwartet und das Ehepaar bei der Hochzeit, wo der Wein auszugehen droht.

Empathie bedeutet, die eigenen Bedürfnisse hintan zu stellen. Im Falle der Base Elisabeth hätte sie sich damit ausreden können, dass auch sie ein Kind erwartet und deswegen besser in Nazareth bei ihrem Verlobten bleiben sollte. Und in Cana war sie nicht der Speisemeister. Sie war nicht für die Beschaffung der Waren zuständig. Ihr liebendes Auge erkennt die Gefahr eines Malheurs. Mit ihrer Handlung erspart sie dem Ehepaar eine peinliche Situation. Mehr nicht. Allein diese Kleinigkeit ist für Maria Grund genug zu handeln. Und die Handlung war nicht ohne. Es bedürfte eines Wunders.

Neulich fragte ich einen Freund, welche Lehren er von Cana gezogen hat. Seine Antwort: „Maria kann ihren Sohn dazu bringen, Wunder zu wirken, auch wenn sein Plan ein anderer war“. Stimmt.

Die Empathie führt Maria zu weiteren Tugenden: Dienstbereitschaft. Sowohl bei Elisabeth und in Cana kommt diese zum Vorschein. Und gepaart dazu die Hilfsbereitschaft.

Reflektionsfähigkeit

Durch die Digitalisierung ist unser Leben sehr dynamisch. Vorgänge sind sehr kurzlebig. Darunter leiden die notwendigen Reflektionspausen. Bevor wir zum Reflektieren kommen, ist der nächste Trigger da: WhatsApp, Handy, Twitter, E-Mail usw.

Mehrere Szenen, vier an der Zahl, erzählen uns von diesen Reflektionsmomenten bei Maria: Bei der Verkündigung (Lk 1,29), beim Besuch der Hirten nach der Geburt Jesu (Lk 2,8), bei der Darstellung im Tempel (Lk 2,34) und bei der Auffindung im Tempel (Lk 2,51). Der Evangelist Lukas verwendet immer den Satz: „Und Maria bewahrte alles in ihrem Herzen“. Das ist die Haltung der Glaubenden, die die Größe Gottes akzeptieren und aus der Situation Lehren für ihr Leben ziehen wollen.

Ich wünsche mir für Sie und für mich auch so eine Gewohnheit der Reflektion. Insbesondere dann, wenn uns Gott leiden lässt.

Lassen wir Joseph Ratzinger (2012) zu Wort kommen „Maria überlegt, was der Gruß des Gottesboten zu bedeuten hat. So tritt hier schon ein Charakterzug der Mutter Jesu hervor, der uns in ähnlichen Situationen im Evangelium noch zweimal begegnet: das innere Umgehen mit dem Wort (Lk 2,19–51)“.

Freude

Ich stelle mir, die Heiligste Dreifaltigkeit und die Heilige Familie von Nazareth als Personen mit einer frohen Natur. Im Himmel wird m.E. viel gelacht. „Spätestens seitdem Loriot da ist“ lautete eine Nachricht am Todestag vom Komiker.

Ich stelle mir die Freude Mariens nach ihrem Ja zum Erzengel Gabriel. Diese natürliche Reaktion lässt sich bei jungen Mädels feststellen. Maria war (und ist) bei all den großartigen Tugenden ein Mensch. Und Freude, auch eine natürliche Freude gehört dazu. Bei Maria kommt die göttliche Freude dazu. Die Freude, die Gott denen schenkt, die ihn über alles lieben. Diese Freude stellen wir bei allen Heiligen fest. Eine unerschütterliche Freude, die kein Leiden auslöschen kann. Das Leiden kann die Freude überdecken, aber nicht auswischen.

Das Magnifikat ist eine vulkanartige Explosion der Freude. Maria trug in ihrem Inneren eine immense Freude. Die Freude des Ja zum Plan Gottes. Sie hatte aber seitdem keinen passenden Kontext gefunden, wo sie ihre Freude zum Ausdruck bringen konnte. Und der Moment kam. Elisabeth war im Bilde. Sie wusste vom Wunder der Menschwerdung. Freude ist mitteilsam. Maria trägt den Wunsch in sich, diese Freude mitzuteilen. Und dann sprudelt aus ihr das Magnifikat. Für mich der beste Text der Menschheitsgeschichte: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1,46).

Die Freude, die im Magnifikat zum Ausdruck kommt, hat sie ihr Leben lang begleitet. Auch unter dem Kreuz. Es ist der „Balsam der Zärtlichkeit“, der Gott denen schenkt, die ihm lieben. Und Maria liebte (und liebt) Gott über alles.

Ich möchte diese Passage mit einem Zitat der Schauspielerin Alissa Jung „Die Freude erscheint in diesen Texten als die eigentliche Gabe des Heiligen Geistes, als das wahre Geschenk des Erlösers“.

Leidensfähigkeit

Maria hat von Beginn ihrer Berufung an, Leiden und Sorgen tragen müssen. Bei der Tempelauffindung erwähnt sie ihre Schmerzen: „Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht“ (Lk 2,51). Man kann sich sehr gut vorstellen, welchen Leidensdruck sie zusammen mit dem Ehemann gespürt haben muss. Der Druck war doppelt. Zum einen als Mutter und zum zweiten als Mitwirkende am Erlösungsplan. Ein etwaiger Tod Jesu hätte für sie den Verlust eines geliebten Sohnes. Für die Menschheit wäre der Verlust des Erlösers. Ich wage zu sagen, dass der zweite Punkt bei ihr überwog.

Die Perikope der Tempelauffindung ist uns von Kindesbeinen an vertraut. Und trotzdem. Das Wort „mit Schmerzen“ habe ich tausendmal überlesen. Erst von wenigen Jahren bin ich darüber „gestolpert“. Und erst dann bin ich tiefer in den Kontext der Szene eingestiegen. Vielleicht ist Ihnen lieber Leser, liebe Leserin, ähnlich ergangen.

Im Gotteslob Nr. 458 lesen wir einen Text von Friedrich Karl Barth und Peter Horst (1979) “Selig seid ihr, wenn ihr Leiden merkt“. Man könnte meinen, Maria hat diesen Satz verinnerlicht. Ihre Leidensfähigkeit war getragen durch die Freude aus dem Magnificat.

Stärke & Standhaftigkeit

Maria schöpft ihre Stärke aus der Liebe heraus“ sagte Frau Alissa Jung (2013) in einem Interview, nachdem sie einen Film gedreht hatte. In diesem Film übernahm sie die Rolle der Maria. Dieser Satz hat deswegen eine große Kraft, weil Schauspieler in die „Haut“ der gespielten Personen eintauchen müssen. Erst dann erkennen die Schauspieler, welche Eigenschaften notwendig sind, um solch ein Leben zu führen.

Maria hat Stärke in all den Widerwertigkeiten gezeigt: Von Anfang bis Ende ihrer Berufung. Man möchte meinen, sie hat den Satz verinnerlicht: „Macht euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,2). Die Freude des Magnifikat verleiht ihr diese Stärke.

Escrivá schreibt in seinem Buch Kreuzweg „Maria, die Schmerzensreiche, harrt aus neben dem Kreuz“. Sie rebelliert nicht, wenn sie sehen muss, wie ihr Sohn (für uns Menschen) „geschlachtet“ wird. Sie ist eins mit dem Erlösungsplan. Dafür ist Stärke nötig. Sie hat sie!

Joseph Kardinal Ratzinger (2012) kommentierte ihre Standhaftigkeit so: „Nach dem Besuch des Gottesboten bleibt Maria allein zurück mit dem Auftrag, der eigentlich über jedes menschliche Vermögen hinausgeht…Sie muss den Weg weitergehen, der durch viele Dunkelheiten hindurchführt — angefangen mit dem Erschrecken Josephs über ihre Schwangerschaft bis zu dem Augenblick, in dem Jesus für verrückt erklärt wird (vgl. Mk 3,21 und Joh 10,20), ja bis zur Nacht des Kreuzes hin“.

Dankbarkeit

Kehren wir wieder zum schönen Gebet des Magnifikat: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“ und weiter „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan“. Maria und Jesus zeichnet eine unermessliche Dankbarkeit auch für den kleinsten Akt der Liebe.

In den überlieferten Texten im Neuen Testament finden zwar keine Hinweise auf Dankbarkeit Mariens. Wer so liebt, wie sie, wer so demütig ist, diese Person ist dankbar.

Wir wissen wie Jesus auf die Veronika reagiert hat. Escrivá kommentiert es so „Auf das Ganze der Passion gesehen, bedeutet diese Hilfeleistung nur sehr wenig. Aber Jesus genügt ein Lächeln, ein Wort, ein Zeichen, eine Spur Liebe, um die Fülle seiner Gnade über die Seele des Freundes auszugießen“. Jesus ist „aus demselben Holz“ geschnitzt wie Maria. Daher passt für mich zum Persönlichkeitsprofil Mariens eine große Dankbarkeit. Folgerichtig darf sie bei einer Erscheinung in Salzburg im Jahr 1985 folgenden Satz formulieren: “Er (Jesus) hat alles getan, was ein Mensch für den anderen tun kann, und hat dafür nicht einen kleinen Funken Dankbarkeit von euch erhalten”. Ein Satz, der unser Herz aufrütteln sollte!

Selbstsicherheit

Oben haben wir die Gesprächsfähigkeit Mariens erklärt. Diese fußt auf einer natürlichen Selbstsicherheit. Sie konnte mit den einfachen Leuten wie die Hirten und wenig später mit den hochstehenden Sterndeutern aus dem Morgenland ein Gespräch führen.

Gerade die Sterndeuter sind gekommen, um den König Israels zu huldigen. Maria nimmt stellvertretend für ihren Sohn als Königin Mutter -wie Willam (1953) es trefflich kommentierte- die Gaben entgegen.

Konsequenz

Bei der Verkündigung (Lk 1,29) sprechen abwechselnd Maria zwei Mal und der Erzengel Gabriel auch zwei Mal. Direkt nach der Begrüßung verkündet Gabriel die Pläne Gottes. Diese passen nicht Lebensentwurf Mariens. Sie hatte Gott auf Betreiben des Heiligen Geistes ein Leben in Jungfräulichkeit versprochen. Und jetzt wird ihr eine Mutterschaft in Aussicht gestellt. Das passt nicht zusammen. Sie erwartet, dass sich Gott treu bleibt.

Maria ist konsequent und erwartet auch diese Haltung von Gott.

Manche geistlichen Autoren führen den Wunsch Mariens (auch Josephs) jungfräulich zu bleiben, auf ihre die Zugehörigkeit zu den Essenern. Für mich stellt sich die Situation anders dar. Und zwar wie folgt: Maria hatte vor der Verlobung Gott die Jungfräulichkeit versprochen. Dies geschah nicht aus eigener Initiative. Es war viel mehr der Heilige Geist, der Maria dazu bat, jungfräulich zu bleiben.

Und nun hört Maria aus dem Mund des Erzengels einen konträren Plan. Daher ihr Einwand. Welche Stärke, welche Selbstsicherheit musste die junge Maria haben, um diesen Einwand bzw. diese Bitte um Klärung vorzutragen! Weil sie konsequent ist, erwartet auch von Gott, dass er konsequent ist.

Treue

Treue aus Liebe ist für mich persönlich eine sehr schöne Tugend. Maria sagt nach Klärung der Sachlage dem Erzengel ein uneingeschränktes Ja. Sie stellt Gott einen Blankoscheck aus. Das wäre ein Leichtes, hätte sie nicht vor gehabt, diesen „Scheck einzulösen“. Maria sagte aus voller Überzeugung und Stärke ja zu den Plänen Gottes.

Die nötige Stärke entstammt aus der Gnade Gottes, wie der Erzengel sagte: „Du voll der Gnade“.

Maria wird von ihrem Sohn für ihre Treue zu den Plänen Gottes gelobt: „Jesus (Mk 3,34) lehnt den Lobpreis seiner Mutter keineswegs…Er rückt das Lob Marien in die rechte Ordnung. Es geht darum, Maria nicht wegen ihrer menschlichen Mutterschaft zu verehren, sondern wegen der Erfüllung des Willens Gottes“, vgl. Scott Hahn (2004).

Das ganze Leben Mariens ist ein ununterbrochener Akt der Treue. Treue aus Liebe. Die Liebe war der Antrieb, die Treue das Ergebnis.

Reinheit

Und wieder befinden wir uns in der Szene der Verkündigung (Lk 1,34). Die erste Wortmeldung Mariens: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Und Escrivá kommentiert dazu „die Stimme unserer Mutter ruft mir dagegen alle Unreinheit der Menschen in Erinnerung“. Unter anderem ist gerade die Reinheit, die Maria die Stärke verleiht, die wir oben kommentiert haben.

Verliebte Menschen behalten ihren Körper für den Verliebten. Maria hat ihren Körper, ihre Jungfräulichkeit, Gott geschenkt. Und sie hat diesen Körper rein für Gott bewahrt.

Ein geistlicher Autor hat es so formuliert: „Nur wenn wir das Herz mit Liebe füllen, können wir die Sicherheit haben, dass es sich nicht empört und verirrt, sondern der ganz reinen Liebe Gottes treu bleiben wird”.

In der Erscheinung von Guadalupe 1531 stellt sich die Mutter Gottes dem Indio Juan Diego mit dem Worten vor: „Ich bin die heilige Maria, die ewige Jungfrau, die Mutter des wahren Gottes“.

Tochter Davids

Beenden wir dieses Portrait Mariens mit einigen Überlegungen über ihre Zugehörigkeit zum Hause Davids.

Die Kirche hat in ihrem Lehramt dazu nicht Stellung genommen. Viele geistliche Autoren wie Ratzinger, Willam, Rops vertreten die These, dass auch Maria aus dem Hause Davids stammte.

Hier ein Zitat von Rops (1950) „Joseph und Maria -so scheint es- beide aus der Nachkommenschaft Davids“…Die Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft David ist traditionsgut: Der hl. Paulus scheint zu bestätigen (Röm. I, 3). Die Kirchenväter seit dem 2. Jahrhundert haben diese Lehre verteidigt, für die der bei den Juden sehr häufige Brauch spricht, dass Ehen in der derselben Familie geschlossen wurden“.

Für Willam (1953) ist die Sache so klar, dass er den Grund dafür nur beiläufig erwähnt: „Man heiratete damals innerhalb des Stamms“.

Kardinal Ratzinger (2012) formuliert so: „„Was Maria betrifft, so ist ihre Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Davids Traditionsgut: der Hl. Paulus scheint es zu bestätigen (Röm. I, 3)“.

Für mich gibt es einen weiteren Grund. Wenn es für Gott so wichtig war, dass Jesus aus dem Hause Davids stammen sollte, dann musste neben dem Adoptivvater auch die Mutter aus dem Hause Davids entspringen. Auch aufgrund der Würde Mariens sollte sie sich mit dem Titel Tochter Davids schmücken können.

Beenden wir diesen langen Artikel mit einem Zitat des Heiligen Paul VI (1973) „Die Muttergottes ist ein ausgezeichnetes Modell…für die ganze Menschheit“.

Literatur

Sheen, F. (1954) Du bist gebenedeit unter den Weibern, Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg

Jung, Alissa (2013) YouTube https://www.youtube.com/watch?v=89xfw5bMj4c

Ratzinger, J. (2007) Jesus von Nazareth, Freiburg, Herder

Hierzenberger, G., Nedomansky, O. (1993) Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria, Weltbild

Paul VI (1973) Audienz am 30.5.1973

Scott Hahn (2004) Die Königin des Himmels — Maria suchen und finden, Sankt Ulrich Verlag

H. Daniel-Rops (1950) Jesus — der Heiland in seiner Zeit, Abendländische Verlagsanstalt Freiburg

Scotus, J. D. Sententiarum, dist. III, q. 1

Escrivá, J. (1972) Christus Begegnen, Madrid

Haag, H. et al. (1997) Maria — Die Gottesmutter in Glauben, Brauchtum und Kunst, Freiburg, Herder

Barth, F.-K., Horst, P. (1979) in Gotteslob 458, 3

Willam, F. M. (1953) Das Leben Marias, der Mutter Jesu, Herder

Escrivá, J.M. (1992) Der Rosenkranz, Adamas Verlag, Köln

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie seit der Erstkommunion; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte aller sieben Tage; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage;

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