“The Corporate To Do List” — Wie können Unternehmen die Transformation zu einer Wellbeing Economy Organisation schaffen?

Franziska Winterling
Leadership und Organisation
5 min readMar 25, 2021
Abbildung 1: Kate Raworths Corporate To Do List (Quelle: Eigene Darstellung)

Wie unsere vorherigen Artikel zeigen, sind die Strukturen und Rollen in Wellbeing Economy Unternehmen sehr individuell und Teil eines andauernden Prozesses. Um dort hinzukommen und sich als Unternehmen mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, spielt der Anstoß für eine Transformation eine umso wichtigere Rolle. Wir wollen uns in diesem Artikel genauer damit beschäftigen, wodurch diese Transformationsprozesse angestoßen werden können und was Führungskräfte — insbesondere in größeren Unternehmen — dazu bringen könnte, ihr Unternehmen zu transformieren.

Im Rahmen unserer Recherche sind uns vor allem zwei Trigger für diese Arten der Transformation begegnet: Druck von außen — beispielsweise durch Gesetzgebungen — durch den nachfolgend intern ein neues Mindset entstehen kann oder die inhärente Motivation eines oder mehrerer Geschäftsführender, die die Transformation anstoßen und in ihrer Organisation ausrollen.

Allgemein haben unsere Interviewpartner*innen — unter anderem Lisa Jaspers und die Stiftung Verantwortungseigentum — das externe Regelwerk als aktuell dringlicher wahrgenommen, um möglichst zeitnah einen bedeutungsvollen Umbruch schaffen zu können. Thomas Marschall, Facilitation Partners, beschrieb die Situation wie folgt: “Es geht jetzt um die Durchsetzung von Veränderungen. Ein unternehmerischer Antrieb allein reicht dafür noch nicht. Es sind Gesellschaft und Politik, die zumindest einen ordnungspolitischen Rahmen stecken müssen. Es braucht strenge Regulatorik, in der dann unternehmerisch neue Ideen und Erfindungen entstehen können. Erst die Regeln, dann das Unternehmerische.”

Ein Schritt in diese Richtung könnte das neue Lieferkettengesetz in Deutschland sein: Das Bundesentwicklungsministerium hat sich gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium im Februar 2021 auf den Entwurf für ein Lieferkettengesetz geeinigt, welches im März verabschiedet wurde. Vielleicht ist dieses Gesetz ein notwendiger regulatorischer Anstoß für Unternehmen.¹

Auch in der Forschung werden Konflikt oder ein externer Trigger häufig als essentielle Elemente für gesellschaftliche oder unternehmerische Veränderung eingeordnet. Der Philosoph John Dewey schrieb dazu: “Conflict is the gadfly of thought. It stirs us to observation and memory. It instigates invention. It shocks us out of sheep- like passivity, and sets us at noting and contriving…. Conflict is a sine qua non of reflection and ingenuity.”² Er bezieht sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf gesellschaftliche Veränderung, die durch beispielsweise Proteste angestoßen werden kann.

Doch auch in einem Organisationskontext spielen externe Trigger oder Konflikte eine Rolle, wie Frederic Laloux in “Reinventing Organisations” aufführt: “According to the research, the trigger for vertical growth always comes in the form of a major life challenge that cannot be resolved from the current worldview.”³ Er beschreibt hier eine ähnliche Situation wie Thomas Marschall: Der externe Druck wird zunächst als etwas Negatives wahrgenommen, regt dann jedoch zum Umdenken an und schafft Raum für neue Entwicklungen und Ideen.

Wie reagieren Unternehmen auf neu Paradigmen?

Kate Raworth, Initiatorin des Doughnut Economy Prinzips, beschreibt in ihrem Video “When Business meets the Donut”⁴ wie Unternehmen darauf reagieren, wenn sie mit dieser Art von externem Druck konfrontiert sind und erkennen, dass sich an ihren ökologischen und sozialen Prinzipien sowie ihrer Kultur etwas ändern muss. Raworth spricht hierbei von der “Corporate To Do List”, die Unternehmen durchlaufen.

Diese besteht nach ihrer Erfahrung aus den folgenden Stufen:

1. Nichts tun und die Situation ignorieren.

2. Tun, was dem Unternehmen unmittelbare Vorteile bringt wie finanzielle Einsparungen oder die Erschließung neuer Zielgruppen.

3. Den eigenen Anteil beitragen, wobei stark fragwürdig ist, wie weit die eigene Verantwortung dabei tatsächlich geht.

4. Mission Zero mit der Unternehmen beispielsweise zero carbon emissions oder zero human rights violations anstreben.

5. Das Doughnut Prinzip steht für Raworth am Ende der Liste, Unternehmen fragen sich in diesem Modell nicht nur, wie sie negativen Einfluss minimieren, sondern wie sie selbst zu einem positiven Einfluss werden können.

Am Ende der Liste stehen somit Unternehmen, die in ihrem Kern regenerativ und distributiv sind. Sie gehen von der Frage: How much financial value can we extract from this enterprise? zur Frage: How many benefits can we generate in the way we design this enterprise? Für Raworth werden in dieser Entwicklung die folgenden Bereiche des Unternehmens hinterfragt und neu definiert:

1. Purpose — was ist das Ziel des Unternehmens?

2. Networks — wer ist Teil des Unternehmens und von dessen Handlungen betroffen?

3. Governance — wer steuert das Unternehmen und trifft Entscheidungen?

4. Ownership — wem gehört das Unternehmen, wer profitiert von dessen Gewinnen?

5. Finance — wie können aus schnellen Gewinnen, langfristige Sicherheiten werden?

Diese von Kate Raworth beschriebenen Bereiche ähneln auch stark den sieben Dimensionen, die die Wellbeing Economy Alliance als Handlungsfelder für Unternehmen sieht, die sich hin zu einer Wellbeing Economy entwickeln wollen.

Wo liegen die Hürden für Transformation?

In unserer Gruppe haben wir uns in einem Workshop damit beschäftigt, wo es in diesem Rahmen zu Konflikten kommen könnte, derer sich Geschäftsführende sowie Mitarbeitende bewusst sein sollten. Neben der individuellen Motivation und Überzeugung sowie klarer Maßstäbe und Zielsetzungen, sehen wir hier vor allem drei Ängste, die die Transformation hin zu einer Wellbeing Economy gefährden könnten:

  1. Die Angst vor Kontrollverlust: Was kommt nach Hierarchien? Wer trifft Entscheidungen und werden diese wirklich noch “zum Wohle” des Unternehmens sein? Geben bestehende Hierarchien nicht auch ein Gefühl von Sicherheit?
  2. Die Angst vor Konkurrenzdruck: Wie beweise ich mich in meiner Arbeit, wenn mein Titel nichts mehr über meinen Stand im Unternehmen verrät? Überholen uns andere Unternehmen, die nach rein kapitalistischen Prinzipien agieren und so vielleicht billiger oder effizienter sein können?
  3. Die Angst vor Entscheidungsdilemma: Wer trifft in akuten oder Konfliktsituationen schnelle Entscheidungen? Braucht es hier nicht doch eine Führungskraft, die hart durchgreifen kann? Und wenn es diese Person und diese Befugnisse immer noch gibt, kann dann von “echter Selbstorganisation” die Rede sein?

Sicher müssen diese Ängste in jedem Unternehmenskontext individuell angesprochen und bewältigt werden. Was wir jedoch als eine mögliche Hilfe sehen, sind kleine Pionierunternehmen wie Social Start-Ups, die Inspiration schaffen, ihre Business Modelle teilen und Best Practices zugänglich machen. Sie schaffen für die Themen nicht nur eine höhere Sichtbarkeit sondern auch eine gewisse Begehrlichkeit, indem sie als Vorbilder agieren. Selbstverständlich reicht allein diese Inspiration nicht, sondern muss einhergehen mit einem konkreten Plan und einer Priorisierung des Themas in der Organisation selbst.

Wir stimmen abschließend dem Cradle to Cradle Ansatz für Transformation zu: es braucht Regelwerke wie Gesetze und Zertifizierungen, genauso aber auch Mindset Shifts bei Führenden und Mitarbeitenden, sowie eine Vision, wie dieses neue Denken und Arbeiten funktionieren kann:

“Wir brauchen eine Mischung aus Regelwerken wie einer Zertifizierung, Mindset Shifts und Orten der Inspiration, die zeigen, wie dieses neue Denken und Arbeiten funktionieren können.” — Jana Mätz, Referentin Geschäftsführender Vorstand, Cradle to Cradle e.V.

¹ BMZ (2021), Lieferkettengesetz — Mehr Fairness in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten. Bundesentwicklungsministerium. Berlin https://www.bmz.de/de/themen/lieferketten/index.html [abgerufen am 24.03.2021]

² Dewey, J. (1930), Human Nature and Conduct, N.Y., The Modern Library, p. 300

³ Laloux, F. (2015), Reinventing Organizations — A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness, Vahlen

⁴ Raworth, K. (2020), Business Meets the Doughnut, Doughnut Economics Action Lab, https://www.youtube.com/watch?v=J_WPzDVpKvw [abgerufen am 24.03.2021]

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