Das hat Maria für uns gelitten — Teil 1

Karl-Maria de Molina
14 min readFeb 24, 2022

Die Leiden Mariens

Die Tochter Davids, Maria von Nazareth, wurde von der Heiligsten Dreifaltigkeit auserwählt, um eine herausragende Rolle am Erlösungsplan Gottes zu übernehmen.

Für die Erfüllung ihrer Rolle wurde sie zu den höchsten Würden erhoben, die je einem Menschen zuteilwurden: Tochter, Braut und Mutter Gottes; voll der Gnade und frei von der Erbsünde. Das ist die Schokoladenseite der Medaille. Die Medaille hat bekanntlich eine zweite Seite: Maria hat nach Jesus so gelitten, wie kein anderer Mensch.

Kardinal Newman (1937) schreibt dazu „…nichts Großen in der Welt geschieht ohne Leiden“.

Escrivá sagt ergänzend dazu: „Gott erwidert das Leiden großzügig mit viel Gnade und Liebe“. Im Originalton: „Dios es un buen pagador“.

Und diese Leiden Mariens waren (und sind) gekoppelt mit ihrem Auftrag als Mitwirkende am Erlösungsplan und aufgrund ihrer besonderen Gnaden -wie wir sehen werden.

Viele Katholiken neigen zu einer süßen Frömmigkeit zur Mutter Gottes. Mit diesem Artikel möchte ich auf den zweiten Aspekt ihrer Berufung aufmerksam machen: Ihre Leiden. Nicht nur am Kreuz. Sondern von Beginn an. Und noch heute.

Der Sinn und Zweck dieses Artikels ist es, die Liebe zur Mutter Gottes in uns zu entfachen. Passend dazu sagt Ida Friederike Görres (1948): “Es ist gut und schön, von ihren Vorzügen und Vorrechten (der Muttergottes) zu reden, aber man darf sich nicht darauf beschränken. Man muss so reden, dass die Menschen sie lieben können”.

In diesem Artikel werden wir uns auf folgende Quellen beschränken: Altes und Neues Testament, Texte aus Erscheinungen, Lehre der Kirche und kirchenkonforme Autoren. Texte aus Visionen wie z.B. Therese Neumann, werden hier keine Verwendung finden genauso wenig wie „Apokryphe Evangelien“.

Die Kirche spricht von den sieben Leiden und sieben Freuden Mariens. Ich werde mir erlauben, die Zahl der Leiden zu verdoppeln. Viele davon sind bislang unter dem Radar der geistlichen Autoren geblieben.

Zum Ende dieser Einführung möchte ich ein Zitat von Thérèse von Lisieux einfügen “Wie gerne wäre ich Priester gewesen, um über die seligste Jungfrau zu predigen. Ich hätte vor alle gezeigt, wie wenig wir eigen von ihrem Leben wissen” (aus Görres 1948). Genau das sind meine beiden Anliegen: Über Maria zu predigen und zu zeigen, dass wir von ihrem Leben sehr wenig wissen. U.a. weil wir unser Leben getrennt von ihr leben. Sonst würde sie uns „eine Menge erzählen“.

“…nichts Großes in der Welt geschieht ohne Leiden und Verdemütigung” schreibt Kardinal Newman (1937). Nur wer -wie Maria- diesen Satz verinnerlicht, ist in der Lage, Leiden in Freuden zu verwandeln.

Das deutsche Gotteslob ist ein Schatz an Texten über den Umgang mit Gott. Barth und Horst (1979, Text aus dem Lied 458.3) haben für uns folgenden Text geschrieben: „Selig seid ihr, wenn ihr Leiden merkt“.

Den Sinn und Zweck des Leidens aus Gottes Sicht habe ich bereits in einem anderen Artikel erläutert. Daher werde ich mich hier auf die Beschreibung der Szenen fokussieren, wo Maria enormes Leid erlebt hat.

Zum Abschluss dieses Abschnitts folgender Satz: “Wir verstehen Gott nicht, weil für ihn unsere Leiden heilsnotwendig sind”.

Nachfolgend werden wir die Szenen betrachten, die Maria Schmerzen zugefügt haben.

Die Zeit vor der Verkündigung

Maria war -und ist- voll vom Heiligen Geist erfüllt. Daher wurde sie vom Erzengel Gabriel mit dem Grußwort „Du Begnadete“ (Lk 1,26) begrüßt.

Dieses Begnadet sein bedeutet, im Besitz der Tugenden im höchsten Maße, u.a. die Tugend der Liebe.

Dieses hohe Maß an Liebe verlieh der Mutter Gottes bereits in ihrer Jugend die Fähigkeit, Ungerechtigkeiten aufzuspüren, die wir in Folge der Erbsünde niemals erkennen würden.

Um das zu erklären, brauchen wir nur Künstler zu beobachten. Sie erkennen in einem Sonnenuntergang eine Schönheit, die uns „normale Bürger“ abgeht. Künstler, Poeten, Musiker haben eine Sensibilität für ihre Themen, die ihnen ermöglicht, Phänomene zu entdecken, die wir nicht im Entferntesten erahnt hätten.

Ähnlich müssen wir uns die heilige Sensibilität Mariens vorstellen. Sie musste inmitten einer Gesellschaft leben, die über ein ganz anderes Niveau an Tugenden verfügte. Jesus erging es eben ähnlich. Und auch den Heiligen wie Thérèse von Lisieux “…ihre außerordentliche Empfindlichkeit und ihr zartes Gewissen waren die Hauptquellen ihrer Leiden, die sie übrigens ertrug, ohne sich zu beklagen” (Görres 1948).

Dieses Leiden hat Maria unseretwegen getragen, weil sie aufgrund ihrer Berufung voll der Gnade war. Im Klartext: Sie trug an diesen Leiden keine Schuld. Dieses Leiden war und ist Teil ihrer Berufung, damals wie heute.

Wen Gott liebt, den züchtigt er” schreibt Aurelius Augustinus (1985). Und Gott hat seine Tochter, Braut und Mutter außerordentlich geliebt. Daher waren ihre Leiden „inbegriffen“.

Sie empfing vom Heiligen Geist

Der Evangelist Lukas hat uns einige Auszüge aus dem Leben der Heiligen Familie geschildert, und zwar noch vor dem öffentlichen Leben Jesu.

Maria wurde von der Heiligsten Dreifaltigkeit auserwählt, Mutter des Messias zu werden. Gott hat für sie einen Zimmermann namens Joseph als Ehegatten vorgesehen. Joseph war ein Nachkommen des Königs Davids. Aufgrund einer Eingebung des Heiligen Geistes hatte seine Braut Maria Gott versprochen, die Jungfräulichkeit zeitlebens zu bewahren. Dieses Faktum war Bestandteil der Vermählung. Sonst wäre diese unwirksam.

Wir kennen die Lebenspläne der frisch Vermählten nicht. Aufgrund der berufungsbedingten Kinderlosigkeit würden sie mehr Zeit haben, um sich den Verwandten, den Nachbarn und den Mitmenschen zu widmen. Es kann sein, dass sich Maria fragte, warum Gott von ihr wollte, dass sie Jungfrau bleibe. Aufgrund ihrer Gnade ließ sie sich vom Glauben und vom Vertrauen an Gott leiten. Und so vergingen einige Monate.

Und bevor Joseph Maria zu sich nach Hause nahm, wie es im damaligen Israel üblich war, tritt gewissermaßen eine Planänderung oder vielmehr eine Planpräzisierung auf dem Plan: Maria sollte Mutter Gottes werden, und zwar unter Wahrung der Jungfräulichkeit. Das Kind sollte nicht durch das Zutun eines Mannes, sondern durch den Heiligen Geiste zustande kommen. Das bedeutete, im jüdischen Gesetz ein Ehebruch, weil nicht Joseph, sondern ein „Fremder“ der Vater ist.

Nach der Verkündigung und der unmittelbaren Zeugung Jesu besucht Maria ihre Base Elisabeth. Diese war über die Ereignisse, d.h. über die wunderbare Mutterschaft, im Bilde. Aus Sicht Mariens käme logischerweise der nächste Schritt, dass Gott eine Botschaft an ihren Gatten sendet und die Kunde tut, Maria erwartet ein Kind vom Heiligen Geist.

Da geschieht aber nichts. Gott lässt sich Zeit. Maria leidet unter dieser Situation. Joseph auch. Nur Gott kann diese verworrene Situation lösen. Es ist geschieht weiterhin nichts.

Für uns Menschen, die wir uns dauernd bei Gott beklagen, weil es uns „schlecht geht“, ist es sehr heilsam zu sehen (Aurelius Augustinus 1985), wie Maria mit der Situation umging. Auf einmal entdecken wir eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Leben Mariens und dem unseren. Eine optimale, von Gott gewollte Gelegenheit, von Maria zu lernen.

Wir kennen nicht die Gespräche zwischen Maria und Gott in dieser angespannten Zeit. Sicherlich waren sie von Glauben, Vertrauen und Liebe getragen.

Der Evangelist Lukas berichtet uns über die Pläne Josephs, um mit der Situation klarzukommen. Keiner erzählt uns, wie es Maria ging, was sie tat, wie sie betete.

Dieses Leiden Mariens war Teil ihrer Berufung. Und so sah sie es vermutlich auch. Und „mutatis mutandis“ gilt das auch für uns. Sicher, auf einem anderen Level. Gott hat uns in eine bestimmte Familie gesteckt, wo Krankheiten, Todesfälle, Geldmangel usw. nicht ausbleiben. Die Frage lautet: Reagieren wir wie sie mit Gottvertrauen oder vielmehr mit Unverständnis?

Rathgeber (1960) schreibt treffend dazu: “Die Gerechten werden viel leiden; aber ihr Gebet, ihre Buße und ihre Werke werden zum Himmel steigen, und das gesamte Gottesvolk wird Verzeihung und Barmherzigkeit erlangen”.

Daher war mir die Kommentierung dieser Zeit bei Maria sehr wichtig. Es genügt nicht, dass wir das Evangelium lesen. „Wir müssen dieses durchleben“ -wie Escrivá es so treffend formulierte.

Erst wenn wir die Szenen im Evangelium durchleben, erkennen wir die Größe der Akteure. Ich möchte dies mit einer Anekdote visualisieren.

Der Bergsteiger Johannes Kammerlander bereitete sich auf die Besteigung eines Achttausenders vor. Als Trainingseinheit kletterte er das Matterhorn an einem Tag viermal hintereinander. In Europa haben wir den Eindruck, dass das Matterhorn ein hoher Berg sei. Erst durch den Vergleich mit einem Achttausender wird es einem klar, wie klein unser Schweizer Berg ist.

Und so geschieht es mit der Mutter Gottes. Erst durch unseren Vergleich mit ihr, wird uns ihre Größe bewusst. Nur so erkennen die Dimension ihres Leidens und ihres Glaubens. Nur so lernen wir von ihr für unseren Alltag. Nur so werden wir unseren Alltag nach dem Wunsch Gottes gestalten können. Nur so erarbeiten wir uns den Himmel, für den wir geschaffen worden sind.

“(Maria) vertraut auf Gott, der die Initiative ergriffen hat; nur Gott kann das Wunder (der Menschwerdung) erklären und (Maria) legt diese Geschehnisse in die Hände der göttlichen Vorsehung” aus Casciaro (1994).

Keinen Platz in der Herberge

Kurz vor der Entbindung Mariens beruft Kaiser Augustus eine Volkszählung in Israel. Da es damals keine „Briefwahl“ gab (!), mussten sich die Familien zum Stammessitz begeben. Da Joseph und Maria aus dem Hause Davids stammten, mussten sie nach Bethlehem.

Uns ist nicht bekannt, ob Joseph und Maria dessen gedenkt waren, dass Jesus als Erlöser in Bethlehem auf die Welt kommen sollte, so dass sie mit dieser Reise nach Bethlehem „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würden“: Volkszählung und Geburt Jesu. Es ist anzunehmen, dass sie aufgrund des kurzfristigen Aufrufs des Kaisers eher irritiert waren und nicht an die Prophetie gedacht haben. Maria war hoch schwanger. Eine Reise durchkreuzte ihre Pläne. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie vor der Reise keinen Platz bei den Verwandten reserviert haben.

Lukas (2,7) teilt uns mit, dass sie tatsächlich weder bei Verwandten noch in einem Gasthof unterkommen konnten. Ein Freund von mir kommentierte einmal diese Szene so: „Joseph sei mit seiner Suche gescheitert“. Nein! Gott hatte andere Pläne.

Die Lösung Gottes war einfach und genial zugleich. Mit der Auswahl eines Stalls für die Niederkunft Mariens verfolgte Gott mehrere Ziele: Armut, Bewahrung des Geheimnisses und Fluchtweg.

Während reiche Bürger, Adlige und Könige in gut ausgestatten Häusern oder gar Palästen auf die Welt kommen, wollte der König des Himmels und der Erde in einem Stall bar jeglicher Bequemlichkeit auf die Welt kommen. Für Maria und Joseph war dies hart. Der Sinn der Pläne Gottes wurde ihnen -wenn überhaupt- in nachhinein klar. Man könnte dazu fügen: „Mit welchem Recht dürfen wir von Gott verlangen, dass seine Pläne für uns verständlich sind?“. Die Einfachheit der Behausung tat der Würde der späteren Besuche keinen Abbruch.

Aufgrund des sich anbahnenden Wunders der jungfräulichen Niederkunft Mariens suchte Gott einen abgeschiedenen Platz für sie. Das Wunder der jungfräulichen Mutterschaft Mariens sollte als Geheimnis innerhalb der Familie bleiben. Weder die Verwandten in Nazareth noch die in Bethlehem sollten -so lange Maria lebte- von diesem Wunder Spitz bekommen.

Willam (1958) fügte eine weitere Erklärung für die Auswahl des Stalles als Behausung für die Niederkunft Mariens hinzu. Der Stall befand sich außerhalb der Stadtmauer von Bethlehem. Die spätere Flucht nach Ägypten konnte somit während der Nacht erfolgen -wie vom Engel gewünscht. In der Nacht waren nämlich die Stadttore verschlossen. Gasthöfe und die Häuser der Verwandten befinden sich im Stadtkern. Eine nächtliche Flucht von da aus wäre dann nicht möglich gewesen.

Ja. Im Nachhinein sind wir klüger und wissen, dass die Lösung mit dem Stall sinnvoll war. Versetzen wir uns für ein Moment in die Lage des Ehepaares. Ihre Planung war, eine würdige Unterkunft für die Geburt des Erlösers zu finden. Wir können uns so in die Gedankenwelt Mariens und Josephs bestens versetzen. Und am Ende konnten sie ihrem Sohn keinen würdigen Geburtsort anbieten. Und das musste ihnen große Schmerzen bereiten. Ihre Pläne brachen zusammen. Heiligkeit läuft auf einen Tausch hinaus: „Unsere Pläne durch die Pläne Gottes ersetzen“. Leicht gesagt, schwer getan!

Flucht nach Ägypten

Nach der Geburt Jesu stand vieles auf dem Programm: Besuch durch die Hirten (Lk 1,8), Darstellung im Tempel (Lk 2,23), Besuch der Sterndeuter. Sollte nichts mehr dazu kommen, wäre die Familie im Normalfall nach Nazareth zurückgereist. Aber Gott hatte andere Pläne. Der Erlöser sollte nach Ägypten, damit er von Ägypten aus nach Israel kommt -wie prophezeit.

Wir dürfen davon ausgehen, dass weder Maria noch Joseph in diesem Moment diese Stelle aus dem Alten Testament in Erinnerung hatten. Daher planten sie eine baldige Reise nach Hause.

Gott wollte aber ihren Sohn nach Ägypten bringen lassen -mit der Heiligen Familie. Da diese von diesen Plänen nichts wusste, sollte sie über einen Engel informiert werden. Das hätte „ganz normal“ erfolgen können. Aber nein. Durch den Besuch der Sterndeuter bei Herodes hatte dieser die Gefahr eines weiteren Königs gewittert. Und Herodes kannte kein Pardon. Einen zweiten König konnte er nicht tolerieren. Daher sollte der neugeborene König der Juden -Jesus- umgebracht werden.

Ein Engel informierte Joseph in einem nächtlichen Traum über die bevorstehende Gefahr (Mt 2,13). Und wieder durchkreuzt Gott die Pläne der Heiligen Familie. Joseph und Maria werden der Gefahr für ihren Sohn gewahr.

Aus menschlicher Sicht ein Absurdum sondergleichen. Seit wann muss der allmächtige Sohn Gottes vor einem unbedeutenden König fliehen? So denken Maria und Joseph nicht. Der Engel hatte eindeutige Anweisungen gegeben. Und das Ehepaar denkt -wie jeder von uns- an die Gefahren. Ausgang ungewiss. Was nun? Diese Szene ist für uns sehr lehrreich.

Wie erwähnt- der Ausgang dieser Situation war offen. Und so verläuft auch unser Leben. Wir kennen den morgen nicht: Krankheiten, Jobverlust, Umweltgefahren, Unfall usw. In der beschriebenen Flucht nach Ägypten zeigen uns Maria und Joseph, wie wir agieren sollen. Wir hören kein Murren, kein Wehklagen. Und menschlich gesprochen hätten sie Recht dazu gehabt. Sie haben in die Vorsehung Gottes geglaubt. Das ist eine echte Lektion für uns.

Von unserem Leben kennen wir den Anfang mit der Geburt, aber nicht den Verlauf und nicht das Ende. Und so ein Leben haben Maria und Joseph gelebt. Mit einem gravierenden Unterschied: Sie haben wirklich geglaubt und geliebt. Das ist die Lösung und die Lektion für uns: Unsere Liebe zu Gott entzünden und unseren Glauben vermehren.

Unsere Leiden haben einen Sinn. Rathgeber (1960) formuliert es so: “Die Gerechten werden viel leiden; aber ihr Gebet, ihre Buße und ihre Werke werden zum Himmel steigen, und das gesamte Gottesvolk wird Verzeihung und Barmherzigkeit erlangen”.

Aufenthalt in Ägypten

Aus den Texten des Neuen Testaments geht nicht genau hervor, wie lange sich die Heilige Familie in Ägypten aufgehalten hat. Anhand historischer Angaben über Tod Herodes lassen sich circa drei Jahre errechnen. Die Prophetie hatte nur ein Kommen des Erlösers aus Ägypten angekündigt und kein langes Leben Jesu in Ägypten.

Für die Heilige Familie war der Aufenthalt in Ägypten keine einfache Zeit, und zwar mindestens aus drei Gründen.

Wie Willam (1953) bemerkt, konnten Maria und Joseph den Grund für die Flucht aus Israel nicht erklären. Sonst würden sie die Identität Jesu preisgeben.

Zum anderen musste Joseph auf die Schnelle eine Arbeit finden, um die Familie zu finanzieren. Wir dürfen davon ausgehen, dass sie durch den Verkauf der Geschenke der Sterndeuter, über ein kleines Geld verfügten. Das war nichts mehr als eine Überbrückung.

In der damaligen Zeit hatte die jüdische Gemeinde in Ägypten eine ansehnliche Größe. Dieser Umstand machte die Integration einfacher. Maria und Joseph vermissten sicherlich die Stütze des Familienverbandes, die sie in Nazareth genossen.

Der dritte Grund für die Schmerzen war die Nachricht über die Ermordung der Kleinkinder in Bethlehem. Nur Maria und Joseph kannten den wahren Grund. Neben der Freude heil aus der Gefahr herausgekommen zu sein, war das große Mitgefühl fürs Leid der Eltern der ermordeten Kinder. Es ist anzunehmen, dass Maria und Joseph ein Schuldgefühl überkam. Und wieder flossen Tränen bei Maria und Joseph!

Rückkehr nach Nazareth

In der Stelle Matthäus (2,19) erfahren wir, wie ein Engel Joseph in Kenntnis setzt, dass Herodes nicht mehr lebt und dass die Heilige Familie die Rückreise antreten soll. Es ist das dritte und letzte Mal, dass ein Engel Joseph im Traum erschienen ist. Das Ziel der Reise ist klar: Nazareth, da Jesus der Nazaräer genannt werden sollte (Mt 2,23) und die Familie hier ihr Zuhause hat.

Und wieder stellt sich die gleiche Situation wie in Ägypten. Jedoch andersherum. Die Verwandten bombardieren Maria und Joseph mit Fragen: Wo wart ihr? Warum seid ihr so lange fern geblieben? Die Volkszählung ist längst vorbei!

Und wie in Ägypten konnten Maria und Joseph den wahren Grund nicht nennen. Die Identität Jesu dürften sie partout nicht preisgeben.

Wir wissen nicht, wie Maria und Joseph geantwortet haben. Sicher ist ein: Sie haben unter dieser Situation gelitten. Maria und Joseph sind wahrheitsliebende Menschen. Lügen kommt für sie nicht in Frage.

Joseph wird seinen Job als Zimmermann wieder reaktiviert haben. Ab einem passenden Alter wird er der Lehrmeister Jesu. Und das wird sein Beruf: Zimmermann. Damit wird er für die Familie Geld verdienen und sparen, für die Jahre des öffentlichen Lebens.

Jesus bleibt in Jerusalem

Und wieder ist Lukas, der über ein Schlüsselerlebnis im Leben der Heiligen Familie berichtet. In Lukas 2,41 lesen wir, dass Jesus zum ersten Mal mit seinen Eltern nach Jerusalem pilgert. Es war das Paschafest. Er hatte das dafür nötige Alter von zwölf Jahren erreicht. Und wieder geschieht hier etwas, was wir uns -menschlich gesehen- nicht erklären können.

Am Tag der Rückkehr schließt sich Jesus nicht den Reisegesellschaften an, sondern bleibt in Jerusalem und informiert seine Eltern nicht.

Wie Willam (1953) erklärt, waren die Karawanen in Männer und Frauen aufgeteilt. Joseph dürfte vermuten, dass der junge Jesus mit seiner Mutter unterwegs war und umgekehrt. Das Malheur wird erst am Ende der ersten Tagesreise sichtbar.

Erst am dritten Tage treffen sie ihn, im Tempel, im Gespräch mit den Schriftgelernten.

Die Freude währt nur kurz. Joseph als Familienoberhaupt gewährt der Mutter das Rederecht. Maria stellt Jesu zur Rede. Die Worte Mariens sind ein Kunstwerk der Liebe und der Wertschätzung gegenüber ihrem Sohn. Nach all den Tagen des Suchens solche liebevollen Worte herauszubringen, ist ein wahrer Beweis der Heiligkeit Mariens.

Und die Antwort Jesu? Willam (1953) ist mir als einziger Autor bekannt, der die Szene korrekt deutet. Er bemerkt zu Recht, dass Maria die menschliche Natur Jesu angesprochen hat. Geantwortet hat die göttliche Natur Jesu. Neben den Schmerzen der letzten drei Tage gesellte sich diese Demütigung. Und gerade der Sohn demütigt seine Eltern.

Ratzinger (2012) zitiert René Laurentin, um eine mögliche Erklärung für diese drei Tage zu finden. Laurentin meint, dass die drei Tage der Vorbereitung Mariens auf die drei Tage Jesu im Grabe dienten. Zu dieser Erklärung bin ich im Jahre 2007 parallel zu Laurentin gelangt. Ja, die Erklärung Laurentins könnte stimmen.

Casciaro (1994) bringt einen weiteren Aspekt zu diesen drei Tagen. Jesus bleibt -wie gesehen- allein in Jerusalem. Seine Eltern sind unterwegs mit den Karawanen Richtung Nazareth. Jesus kann durch seine Allmacht als Sohn Gottes Maria weinen sehen. Es lässt sich annehmen, dass Jesus bei diesem Anblick auch geweint hat.

Folgen wir weiter dem Text des Lukas. Nachdem Maria Jesus zur Rede gestellt hat, antwortet er „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? Diese Worte lassen uns einen kalten Schweiß am Rücken fließen. Casciaro (1994) spricht in seinem Buch Jesus von Nazareth von den Schmerzen des Sohnes Mariens, als er diese Worte aussprechen musste. Es war eine leidvolle Szene für die drei.

Und wieder liefern uns die Evangelisten eine Situation, die für uns unverständlich ist. Warum muss Jesus seine Eltern erklären, dass er einen Vater im Himmel hat? Das wussten die beiden wohl. Kann es sein, dass vielmehr uns diese Message galt? Mussten sich Maria und Joseph für uns das anhören?

Damit finden wir einen weiteren Grund, Maria und Joseph Genugtun zu leisten!

Literatur

Barth, F.-K., Horst, P. (1979) in Gotteslob 458, 3

Escrivá, J. (1972) Christus Begegnen, Madrid

Escrivá, J.M. (1982) Der Kreuzweg, Adamas Verlag, Köln

Escrivá, J.M. (1992) Der Rosenkranz, Adamas Verlag, Köln

Görres, I.F. (1948) Das verborgene Antlitz — Eine Studie über Theres von Lisieux, Freiburg, Herder

H. Daniel-Rops (1950) Jesus — der Heiland in seiner Zeit, Abendländische Verlagsanstalt Freiburg

Haag, H. et al. (1997) Maria — Die Gottesmutter in Glauben, Brauchtum und Kunst, Freiburg, Herder

Hierzenberger, G., Nedomansky, O. (1993) Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria, Weltbild

Jung, Alissa (2013) YouTube https://www.youtube.com/watch?v=89xfw5bMj4c

Newman, J. H. (1937) Gott und die Seele, Mainz

Ocáriz, F. (2022) Im Lichte des Evangeliums, Kißlegg

Osuna (1982) Versenkung — Weg und Weisung des kontemplativen Gebetes, Freiburg, Herder

Paul VI (1973) Audienz am 30.5.1973

Pihan, B. (2011) Kreuzeslob — Katholisches Gebets- und Gesangbuch zum Leiden Christi, Kißlegg

Rathgeber, A. M. (1960) „Maria — wir rufen zu Dir, Kempten

Ratzinger, J. (2007) Jesus von Nazareth, Freiburg, Herder

Scott Hahn (2004) Die Königin des Himmels — Maria suchen und finden, Sankt Ulrich Verlag

Scotus, J. D. Sententiarum, dist. III, q. 1

Sheen, F. (1954) Du bist gebenedeit unter den Weibern, Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg

Willam, F. M. (1953) Das Leben Marias, der Mutter Jesu, Herder

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie seit der Erstkommunion; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte aller sieben Tage; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien

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