Ihr Ja hat die Welt verändert

Karl-Maria de Molina
17 min readMar 29, 2022

Gott ruft

„Alles nur Zufall“? so betitelt mein Freund Peter Blank sein Buch, wo er „naive Fragen zur Evolution“ stellt. Das Buch erschien 2006 und hat an Aktualität nichts eingebüßt.

Die Welt ist durch einen Urknall entstanden. Blank hält diese These für abwegig. „Irgendein Wesen hat wohl die Welt aus dem Nichts erschaffen“, so Blank.

Der christliche Glaube nennt dieses Wesen Gott. Und aufgrund der Komplexität und Ausmaße dieser Welt wird dieser Gott allmächtig genannt. Die Bezeichnung allmächtig kennen wir sowohl aus dem Alten wie aus dem neuen Testament, d.h. aus überlieferten Texten, die die Kirche freigegeben hat.

Dieser Gott hat das Universum erschaffen und all das, was dieses beherbergt: Materia, Flora und Fauna. Und uns Menschen.

Seit unserer Geburt sind wir gewohnt, u.a. Sauerstoff, Liebe und Freiheit zu genießen. Wir halten diese Elemente für selbstverständlich. Wie würde eine Welt aussehen, wo Menschen -wie auch Tiere- keine Bindung in Form von Liebe hätten? Sobald ein Wesen auf die Welt kommt, wird von den Eltern gepflegt, geschützt, ernährt. Und besonders unter den Menschen.

Eine weitere Besonderheit der Schöpfung ist die Freiheit -wie Sheen (1954) es so treffend formuliert. Tiere und Menschen dürfen schalten und walten, und die Freiheit „auskosten“. Bewegungsfreiheit bei Tieren. Hinzu kommen bei den Menschen: Entscheidungs- und Denkfreiheit.

Auch wenn der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, kann er aufgrund seiner Freiheit den Schöpfer ignorieren oder gar sich gegen ihn wenden.

In den Plänen Gottes ist die Mitwirkung der Menschen erwünscht, und zwar aus freiem Entschluss. „Gott braucht uns nicht, will uns aber brauchen“.

Das Zusammenspiel zwischen Gott und den Menschen begann vor Tausenden von Jahren. Für dieses Zusammenspiel hat sich Gott das jüdische Volk ausgesucht. Warum? Wissen wir nicht. Mir kommt diese Verbindung vor wie eine Liebeserklärung Gottes an das jüdische Volk. Er hegt und pflegt es wie ein Vater seine Familie.

Und für die Umsetzung dieses Zusammenspiels hat er sich bestimmte Menschen ausgesucht. Viele davon waren Propheten, d.h. Gesandte. Auch Frauen wurden für den Plan auserwählt. Hier sei z.B. die Witwe von Sarepta (Buch der Könige), die zusammen mit dem Propheten Elia mitwirkte. Uns sind ihre Großzügigkeit und Gottesvertrauen bekannt.

Auch Könige wurden ausgesucht z.B. David. Auch Persönlichkeiten wie Daniel. Und Propheten wie Abraham, Mose und Elia.

Gott ruft, wen er will. Paulus (1 Kor 1, 26–31) nennt die Berufenen „Stulta mundi, infirma mundi, et ea quae non sunt“ (das Törichte…, das Schwache…und das Niedrige in der Welt hat Gott erwählt). Das heißt, die Auserwählten sind beileibe nicht die „besseren Menschen“.

Gott ist unsere Freiheit sehr wichtig (Sheen 1954). “Der Ruf der Gnade ergeht aber niemals zwanghaft über einen Menschen” so Scheffczyk (2003).

Das Verb „rufen“ finde ich diesem Zusammenhang sehr schön. Man sagt, Arzt ist mehr als ein Beruf, es ist eine Berufung. Das inkludiert eine über die Pflicht hinaus gehende Zuwendung zu den Patienten.

Gott hat einen Erlösungsplan für die Menschheit entworfen. Er ist in zwei Schritten vorgegangen: Am Anfang ein Pilotprojekt mit dem jüdischen Volk, um anschließend nach dem „Proof of Concept“ das Projekt skalieren zu können, damit die Erlösung alle Menschen erreicht.

In diesem Erlösungsplan sind uns folgende Hauptakteure der ersten Stunde bekannt: Der Sohn Gottes, den wir Jesus nennen, seine Mutter Maria, sein entfernter Cousin Johannes der Täufer und Josef, der Ehemann Mariens.

In diesem Artikel möchte ich einige Aspekte der Berufung Mariens beleuchten. Und anschließend daraus abgeleitet unsere aller Berufung.

Die Berufung Mariens

In unserem Leben sind Höhen und Tiefen. Einige Höhepunkte ranken im Horizont unseres grauen Alltags wie Leuchttürme, die unserem Sein Licht schenken. Die Festlegung der Höhepunkte ergibt sich aufgrund unserer Werte: Glauben, Familie, Arbeit, Sport usw.

Für die Muttergottes war der Tag der Verkündigung ein solcher Höhepunkt, der ihr Leben in zwei Hälften teilte: Ein Vorher und ein Nachher.

Der liturgische Kalender der Kirche kennt viele Feiertage: Oster, Weihnachten, Verkündigung, Karfreitag, Gründonnerstag usw.

Der Tag der Berufung Mariens zur Mutterschaft Christi bekannt als Fest Verkündigung Christi belegt im Ranking der Kirche den zweiten Platz. Warum?

An diesem Tag feiern wir ein vierfaches Ja-Sagen. Gott Vater, Gott Heiliger Geist, Gott Sohn und die Jungfrau Maria sagen Ja zu einem wichtigen Meilenstein im Erlösungsplan. Es geht um die Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist im Schoß der Jungfrau Maria. Es ist der Eintritt Gottes als Mensch in unsere „bescheidene“ Welt. Es ist eine Gemeinschaftsaktion der wichtigsten Akteure im Erlösungsplan. Mehr hat diese Welt nicht zu bieten!

Zwar leuchtet das Osterfest heller als die Verkündigung. Letztere ist aber ungleich schwerer gewesen. Warum? Es bedürfte der Mitwirkung des Menschen. Es bedürfte der bejahenden Antwort eines jungen Mädels namens Maria.

Im Ratzingers Buch Jesus von Nazareth (2007) findet wir den unnachahmlichen Text von Bernhard von Clairvaux über die Verkündigung. Sinngemäß schreibt er „und Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist warten gespannt auf die Antwort Mariens. Wird sie ja sagen?“ Diese „Vermenschlichung“ Gottes ist einfach kindlich süß.

In manchen Fällen kündigt sich Gott an, bevor er den großen Plan bekannt gibt. Wir wissen nicht, inwieweit Maria erahnte, was auf sie zukommen würde. Vom heiligen Escrivá wissen wir, dass er eine Vorahnung seiner späteren Berufung hatte. Er nannte es auf Spanisch „Barruntos del Amor“. Er hatte das Gefühl, es kommt etwas auf mich zu. Heute habe ich keine Ahnung, was das ist und wann es kommen wird. Wie war es bei der größten und schönsten Berufung, die diese Welt zu bieten hat, bei Maria?

Aus kindlicher Liebe würden wir so vieles von ihr wissen wollen, damit unsere Liebe tiefer und unsere Dankbarkeit größer werden.

Bevor wir aber in die Szene der Verkündigung näher eintauchen, möchte ich zur Vorbereitung Ausschnitte aus dem Text des Evangelisten Lukas (1,26) wiedergeben: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth“.

Gott hat nicht irgendeinen Engel zu Maria gesandt. Für einen der wichtigsten Meilensteine des Erlösungsplanes sendet Gott einen der drei Erzengel. Das Los ist Gabriel zugefallen. Gabriel war gerade vor ca. sechs Monaten auch aktiv. Damals beim Priester Zacharias, dem angeheiraten Cousin Mariens.

Mit dem „sechsten Monat“ will uns Lukas die Verzahnung zwischen der Berufung des Vorläufers Johannes und Jesus aufzeigen. Johannes war chronologisch vor Jesus geboren und ist vor Jesus in der Öffentlichkeit aufgetreten. Er war damit Vorläufer im doppelten Sinn des Wortes.

Kehren wir zurück zu Maria und zum Text der Verkündigung. Und lesen bei Lukas weiter (1,28) „Der Engel trat bei ihr ein und sagte: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mir dir“.

So ein Gruß konnte nur Maria zuteilwerden. Nur sie war (und ist) begnadet. Nur sie ist voll des Heiligen Geistes. Der Engel spricht Maria mit dem höchsten Titel an: „Voll der Gnade“. Wie feinfühlig geht Gott mit Maria um! Gabriel hätte auch sagen können: „Sei gegrüßt Du wahre und einzige Tochter Gottes“. Maria war (und ist) frei von der Erbsünde. Daher war sie bei ihrer Zeugung direkt Tochter Gottes.

Dieses „du Begnadete“ ist damit eine höchst gelungene Eröffnung des Gespräches. Maria hatte mit der Ankunft eines Boten wohl nicht gerechnet. Daher geht der Text weiter mit der Bemerkung (Lk 1,29): „Sie erschrak über die Anrede und überlegt, was dieser Gruß zu bedeuten habe“. Die doppelte Reaktion Mariens ist mehr als verständlich. Ein junges Mädel ist zu Hause allein. Und mitten in der Ruhe platzt aus heiterem Himmel ein Engel und spricht sie an. Ohne Vorwarnung, ohne „Date“, ohne „Kalendereintrag“. Daher dieses Erschrecken.

Wie im Artikel Das Portrait einer Königin geschrieben habe, kommt hier die Reflektionsfähigkeit Mariens zum Vorschein: „Sie reflektiert über den Gruß“.

Wir wissen (leider) gar nichts vom Innenleben Mariens. Wie hat sie vor diesem Tag mit Gott gesprochen? Damals war Gott nur als „Jahwe“ bekannt (siehe 2. Mose 19). Das heißt eine Art fremdes Wesen. David war in der Lage mit „Jahwe“ eine menschennahe Beziehung herzustellen (siehe Psalm 27,8). Wie pflegte Maria den Umgang mit Gott? Für Maria war dies nicht das erste Mal, dass sie eine Nachricht Gottes erhielt. Dass sie auf Gotte Geheiß jungfräulich leben sollte, war der erste Teil ihrer Berufung. Mit der Verkündigung kommt der zweite Teil.

Lassen wir jetzt Gabriel die Botschaft verkünden (Lk 1,31): „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben“.

Maria ist die einzige Mutter in der Weltgeschichte, die im Vorfeld gewusst hat, wen sie gebären würde: Den Sohn des Allmächtigen.

Ratzinger (2012) kommentiert die Szene mit folgenden Worten: „Maria überlegt, was der Gruß des Gottesboten zu bedeuten hat. So tritt hier schon ein Charakterzug der Mutter Jesu hervor, der uns in ähnlichen Situationen im Evangelium noch zweimal begegnet: Das innere Umgehen mit dem Wort“.

Der Verlauf des Gespräches zeigt, dass Maria den Text von Jesaja 7,14 nicht kannte: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben“.

Maria war auf Geheiß Gottes Jungfräulich geblieben und dachte auch jetzt beim Besuch des Erzengels Gabriel, dass es auch dabei bleiben sollte. Daher versteht sie nicht, dass sie jetzt auf einmal Mutter werden soll. Jungfrau und Mutter passen aus Sicht eines Menschen nicht zusammen. Maria will verständlicherweise Klarheit haben und erwartet, dass sich Gott treu bleibt. So interpretiere ich ihre Reaktion, die ich sehr logisch finde und so habe ich diese Passage in anderen Artikel kommentiert. Maria sagt (Lk 1,34): „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“

Daraufhin erklärt der himmlische Bote Gabriel, wie Gott diesen scheinbaren Widerspruch lösen will (Lk 1,35): „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“.

Maria sieht keinen Widerspruch mehr in den Gottesplänen: Sie kann Mutter werden und Jungfrau bleiben.

Ein junges Mädchen zeigt uns hier ihre volle Reife, ihre Reflektionsfähigkeit, ihre Souveränität im Gespräch mit einem Boten Gottes. Welche Lektion für uns, die wir womöglich ängstlich oder pikiert auf die Eingebungen Gottes reagieren.

Und dann kommt das Ja Mariens, auf das Gott seit Jahrtausenden gewartet hat. Lukas schreibt in 1,38: „Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“.

Mit diesem Ja Mariens startet das größte und zugleich schönste Projekt Gottes: Die Erlösung der Menschheit.

Auch die Schöpfung war ein großes Projekt. Wir wissen nicht, wie lange die Schöpfung gedauert hat. Die sieben Tage im Buch Genesis entsprechen verständlicherweise nicht der Realität. Sie dienten nur der Beschreibung fürs einfache Volk der damaligen Zeit. Ich stelle mir die Schöpfung einfacher vor als der Erlösungsplan. Als Autoingenieur habe ich eine klare Vorstellung, wie ein Auto montiert wird. Der Prozess ist geregelt und in tausenden von Läufen optimiert worden. Er folgt einem klaren Ablauf. Nicht so der Erlösungsplan. Hier gibt es Interventionen, und zwar von den Menschen. Bei der Schöpfung war Gott nicht auf die unzuverlässigen Menschen angewiesen, beim Erlösungsplan wohl. Und zwar über Jahrtausende hinweg. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Der Beginn der Hauptphase, wo der Sohn Gottes auf die Erde kommen soll. Und gerade hier ist die Mitwirkung Mariens erforderlich.

Im Artikel Die Heilige Familie von Nazareth habe ich kommentiert, dass Gott zahlreiche Optionen hatte, um uns zu erlösen. Dass er sich für eine Geburt als Mensch entschieden hat, war eine davon. Für mich, die beste. Für diesen Plan brauchte er einen Vater und eine Mutter.

Gott ist unendlich einfallsreich. Für die Geburt des Gottes Sohn hat er einer Mutter mit allen erdenklichen Gnaden ausgestattet (siehe Artikel Das Portrait einer Königin ) und dann einen Vater ausgesucht, der die Jungfräulichkeit Mariens wahren könnte.

Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was die Dreifaltigkeit getan hat. Bei all seiner Allmacht hat er sich von uns Menschen abhängig gemacht.

In vielen Ländern dieser Welt gelten Frauen und insbesondere Mädchen als Menschen zweiter Klasse. Sogar in Deutschland gibt es dafür einen Ausdruck: Backfisch. In damaligem Israel zählten Frauen sehr wenig. Wir sehen es in vielen Szenen des Evangeliums. Bei Gott ist das anders. Nach Jesus ist eine Frau der vollkommenste Mensch aller Zeiten.

Gott macht sich vom Ja dieser jungen Frau Maria aus Nazareth abhängig. All die Jahre seit Abraham, Mose, David usw. wären umsonst gewesen, hätte sie nein gesagt. Unvorstellbar für uns heute. Ein Nein wäre aber im Rahmen der Freiheit Marias möglich gewesen.

Das soll uns zu denken geben. Wie sehr Gott unsere Freiheit respektiert. Er zwingt uns nicht. Er versetzt uns mit der Gnade in die Lage, frei zu entscheiden. Welches Ausmaß an Großzügigkeit! Man könnte sagen: „Der Erlösungsplan Gottes ist eine Liebeserklärung an die Menschen“. Er will unsere Herzen für sich gewinnen.

Wir wissen nicht, ob Maria in diesem Moment im Klaren war, dass sie nicht nur der Dreifaltigkeit ja gesagt hat. Sie hat auch zu uns ja gesagt. Und hier im doppelten Sinn: Ja, damit wir erlöst werden und Ja, damit wir später ihre Kinder werden.

Mit dem Ja zu den Plänen Gottes beginnt für Maria ein Abenteuer, eine Reise ins Ungewisse. Ratzinger (2012) formuliert es so: „Nach dem Besuch des Gottesboten bleibt Maria allein zurück mit dem Auftrag, der eigentlich über jedes menschliche Vermögen hinausgeht…Sie muss den Weg weitergehen, der durch viele Dunkelheiten hindurchführt — angefangen mit dem Erschrecken Josefs über ihre Schwangerschaft bis zu dem Augenblick, in dem Jesus für verrückt erklärt wird (vgl. Mk 3,21 und Joh 10,20), ja bis zur Nacht des Kreuzes hin“.

“(Maria) vertraut auf Gott, der die Initiative ergriffen hat; nur Gott kann das Wunder (der Menschwerdung) erklären und (Maria) legt diese Geschehnisse in die Hände der göttlichen Vorsehung” so Casciaro (1994).

Das Ja wühlt Maria innerlich und verleiht ihr eine innere Freude, die ihr kein Mensch, kein Schicksalsschlag zu nehmen vermag. Es ist die Freude des Gehorsams zu den Plänen Gottes. Diese Freude ist die Münze Gottes. Er beschenkt uns mit einer Freude, die kein Geld auf Erden kaufen kann. Wir sind Lukas sehr dankbar, dass er uns den Text des Magnificat überliefert hat (1,46): „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“. Ich weiß nicht, ob ein Mensch jemals eine größere Freude gespürt hat als Maria in diesem Moment.

Sie die Unbefleckte, sie die Begnadete spürte die Gaben Gottes viel intensiver als wir Sünder.

Schließen wir diesen Abschnitt mit einem Zitat von Ratzinger (2002): „Der Engel geht, die Sendung bleibt, und mit ihr reift die inwendige Nähe zu Gott, dass innere Sehen und Berühren seiner Nähe“. Maria hat dem Plan Gottes zugesagt. Damit beginnt für sie ein Lebensabschnitt nah bei Gott, mit vielen Freuden und vielen Leiden. Die zahlreichen Freuden und Leiden habe ich in einem speziellen Artikel beschrieben (Die Leiden Mariens — Teil 1 und Die Leiden Mariens — Teil 2). Aufs Konto Gottes gehen viele Erfindungen zurück u.a. „der Balsam der Zärtlichkeit“. Wer sich auf Gottes Pläne einlässt, erhält er / sie die beruhigende Wirkung dieses Balsams. Das ist der Grund, warum die Heiligen mitten in ihren Leiden Freude gespürt haben. Und Maria ist das beste Beispiel dafür.

Der vorliegende Text hat nur einen Zweck, vom Verhalten Mariens zu lernen und sie letztlich zu verehren. Hiemer (1978) schreibt „Die Seelen, die mein Unbeflecktes Herz verehren, werden von Gott bevorzugt werden“ (Wortlaut Fatima 13.6.1917).

Papst Paul VI sagte in der Audienz 1973 „Die Muttergottes ist ein ausgezeichnetes Modell…für die ganze Menschheit“.

Wir haben uns in diesem Abschnitt mit dem Ja der Jungfrau Maria zu ihrer Berufung beschäftigt. Anschließend befassen wir uns mit unserer Berufung.

Lehren für uns aus der Berufung Mariens

Jeder und jede von uns ist berufen, nach unserem Tod Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Damit das möglich ist, hat Gott einen Lebensplan für uns vorgesehen. Es handelt sich um eine Art Trainingspfad, wo wir unsere Tugenden trainieren und entwickeln sollen.

Um unseren physischen Körper zu trainieren, müssen wir in der Regel mit Muskelkraft Widerstände überwinden z.B. Gewichte heben. Übertragen auf unseren göttlichen Trainingspfad entsprechen diese Widerstände unseren Leiden (siehe Artikel Jesus kennt unsere Sorgen). Leiden werden von uns Menschen negativ bewertet. Nicht so bei Gott. Für ihn sind Leiden Teil unseres Lebens. Will uns Gott maßregeln? Nein. Leiden richtig verstanden und richtig „genutzt“ helfen uns, Gott mehr zu lieben. Oben habe ich bereits auf die Artikel über die Leiden Mariens verwiesen. Daher verlassen wir hier das Thema Leiden und wenden wir uns dem Thema Berufung zu.

Bei den Ärzten spricht man häufig von Berufung und nicht nur von Beruf. Warum? Berufung beinhaltet eine starke innere Überzeugung, eine Tätigkeit bis zu Ende auszuführen. Es beinhaltet eine höhere Motivation.

Daher ist es nicht verkehrt, auch bei unserer Verbindung mit Gott von Berufung zu sprechen. Wir alle haben die Berufung, Gott zu lieben. Wie kommt diese Liebe zum Ausdruck? Durch das Befolgen der Gebote Gottes. Im 1. Brief des Johannes (2,3) lesen wir „Wenn wir seine Gebote halten, bestätigen wir, dass wir ihn erkannt haben“.

Cantalamesa (2002) sagt dazu „Wir müssen Jesus lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“. Wir erwidern seiner Liebe, so wie wir unseren Eltern lieben.

Sheen (1954) bringt einen neuen Aspekt hinein: „Jeder Mensch trägt in seinem Herzen das Vorbild derer, die er liebt“.

Wie wichtig für Gott ist, dass wir seine Gebote halten, erzählt uns Jesus höchstselbst und wir lauschen seine Worte aus dem Text des Evangelisten Markus (10,19): „Du kennts doch die Gebote…Er erwiderte ihm: „Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt“.

Ich habe Sie, lieber Leser, liebe Leserin, bis hier auf die Folter gespannt. Sie fragen sich, wann ich Ihnen erkläre, wie Sie Ihre Berufung erkennen? Richtig! Das ist eine lebensentscheidende Frage.

Den Begriff Berufung abgesehen von den Ärzten kennt man nur von Ordensleuten und Priestern. Ich habe jedoch betont gemäß dem 2. Vatikanischen Konzil, dass jeder / jede eine Berufung hat. Diese kann Formen annehmen, die uns mehr oder minder vom Mainstream unterscheiden.

Gott ist ein Erfinder. Er hat im Mittelalter die Idee der Orden entwickelt und die Menschen „inspiriert“, sich Orden anzuschließen. Im vorigen Jahrhundert hat Gott eine „Modernisierungswelle“ gefahren und Menschen mitten in der Welt gerufen, sich in Laienorganisationen dem Apostolat zu widmen. Zur Erklärung, Apostolat bedeutet, Menschen auf die Realität Gottes aufmerksam zu machen.

Orden oder Laienorganisationen bilden eine Minderheit im christlichen Volk. Unsere Berufung und die Berufung der Menschen in den obigen Organisationen sind letztlich gleich: Es geht darum, unseren „Trainingspfad“ durchzugehen. Das bedeutet -wie oben gesehen- die Gebote Gottes zu befolgen.

Dietrich von Hildebrand (1971) formuliert die Befolgung des Trainingspfades wie folgt “Diese radikale Veränderungsbereitschaft, die die notwendige Voraussetzung für die Umgestaltung in Christus ist, besitzen nicht alle gläubigen Katholiken. Sie ist vielmehr das Kennzeichen derer, die das ganze Ausmaß der Berufung verstanden haben und in ihrer Nachfolge Christi restlos Ernst machen wollen”. Heißt dieses „restlos Ernst machen“ ein entweder, oder? Teils, teils.

Nicht jeder Fußballspieler bringt die Klasse für die Champions League mit! Aber ein Sportler will besser werden. Und beim Thema Berufung gilt der gleiche Ansatz: Besser werden, auch wenn es für eine Auszeichnung nicht reicht.

Das Schöne an Gott ist es, dass hier nicht nur die Ergebnisse zählen, sondern auch die Anstrengungen.

Willam (1953) bringt hier einen neuen Aspekt mit der Begabung: “Jedem Menschen kommt eine bestimmte Sendung zu. Natürliche Begabung und übernatürliche Gnadenhilfen werden von Gott jeweils dieser Sendung angepasst, um den Plan Gottes umsetzen zu können”.

Berufung bedeutet, Gott in unsere Pläne einzubeziehen -so wie wir es innerhalb der Familie tun. Berufung heißt, dass Leben so gestalten, dass wir auf dem Trainingspfad gehen. In unserem Alltag bedeutet dann, Gott fragen, ob diese Handlung zielkonform ist. Die Frage lautet: Wandeln wir mit dieser Handlung auf dem Pfad, der zum Himmel führt? Diese ist die ewige Frage eines Menschen auf Erden. Wer danach lebt, findet sich nach dem Tod im Himmel. Und bis dahin spürt man eine innere Freude, die bislang nur den Heiligen vorbehalten war.

Bei Jesaja (43,1) lesen wir den Satz „Ego redemi te, et vocavi te, meus es tu“ (d.h. ich habe Dich erlöst und Dich gerufen. Du gehörst mir). Damit kündigt Jesaja den Plan Gottes für uns: Erlösung, Berufung und Zugehörigkeit zur Familie Gottes.

Die Berufung bringt mit sich, in ständigem Gespräch mit Gott zu sein. Alles auf ihn zu beziehen. Es gibt eine Anekdote von der heiligen Theresa von Àvila, die dieses Gespräch mit Gott in einer lustigen Form beschreibt. Und so klingt die Anekdote: Theresa war unterwegs, um Klöster in Spanien zu gründen. Sie fuhr mit einer Pferdekutsche -wir befinden uns im 16. Jahrhundert. Beim Fahren über einen Bach gab die kleine Holzbrücke nach und die Kutsche fiel mitsamt Theresa in den Bach. Daraufhin -so die Anekdote- wandte sich Theresa an Gott und schnauzte ihn mit den Worten an: „Warum tust Du das?“. Gott antwortete: „So gehe ich mit meinen Freunden um“. Daraufhin Theresa: „Deswegen hast Du wahrlich so wenige Freunde auf Erden“.

Dieses kurze Gespräch deutet auf eine tiefe Freundschaft hin. Unter Freunden sagt man, was man spürt, was man denkt -einfach gerade raus.

Ich wünsche mir für Sie und für mich eine solche Art von Gesprächen mit Gott. Mir sind auch von anderen Menschen ähnliche „Töne“ bekannt. Im Buch der Sprüche (8,31) heißt es: „Meine Freude ist es, mit den Menschen zusammen zu sein“. Gott freut sich über uns. Wir sollten uns auch über Gott freuen!

Berufung heißt, froh sein wegen der Anwesenheit Gottes in unserem Leben. Ein Merkmal dieser Anwesenheit ist die Befolgung seiner Gebote und Bitten. Mit anderen Worten: Hingabe an Gott. Diese Hingabe schmälert jedoch nicht unsere Freiheit.

In den persönlichen Notizen schrieb Escrivá “Wer zulässt, dass die Liebe Gottes in unser Herz eindringt, erfährt bis zu welchem Grad die Freiheit und die Hingabe kein Widerspruch sind“.

Gott freut sich nicht nur über uns. Er will Teil unseres Lebens sein. In der Offenbarung lesen wir „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halte, ich mit ihm und er mit mir“.

Wenn Gott Teil unseres Lebens ist und wir seine Gebote halten, dann sagt Jesus dazu: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter“ (Markus 3,35).

Berufung bedeutet, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben zusammen mit Gott. Auf dieser Reise entdecken wir eine Form des Zusammenlebens, die von Wertschätzung und Toleranz geprägt ist. Wir lernen, uns zu entschuldigen. Wir tauschen das Ich durch das Du, durch das Wir.

Scott Hahn hat ein Buch über die Muttergottes geschrieben (2004). Da heißt es: „Bei einem tieferen Eindringen in das Markusevangelium (3,34) berichtet, dass die Forderung nach der Erfüllung des Willens Gottes von keinem Menschen so ernst genommen und so vollkommen verwirklicht wurde wie von Maria“. Das ist eine der Lehren Mariens für uns: Den Willen Gottes, d.h. seine Gebote in die Tat umsetzen. Damit ist unsere und ihre Berufung gleich: Den Willen Gottes realisieren. Und wenn wir so handeln, werden wir etwas Ergreifendes wahrnehmen: „Jesus kann ein liebendes Herz nicht ignorieren“. Wenn wir seinen Willen umsetzen, dann wir er zwei Sachen tun: Unser Herz mit einer niemals erlöschenden Freude fluten und unsere Bitte erhören.

Zu guter Letzt möchte ich die Mutter Gottes zu Wort kommen lassen: „Mein Kinder! Verlasst nicht euren Glauben! Jesus und ich warten auf euch in jeder katholischen Kirche“ aus der Erscheinung in La Salette im Buch von Hierzenberger (1993).

Literatur

Sheen, F. (1954) Du bist gebenedeit unter den Weibern, Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg

Casciaro, J.M. (1994) Jesús de Nazaret, ALGA, Murcia

Ratzinger, J. (2007) Jesus von Nazareth, Freiburg, Herder

H. Daniel-Rops (1950) Jesus — der Heiland in seiner Zeit, Abendländische Verlagsanstalt Freiburg

Escrivá, J. (1972) Christus Begegnen, Madrid

Willam, F. M. (1953) Das Leben Marias, der Mutter Jesu, Herder

Escrivá, J.M. (1992) Der Rosenkranz, Adamas Verlag, Köln

Escrivá, J.M. (1987) Im Feuer der Schmiede, Adamas Verlag, Köln

Newman, J.H. (1937) Gott und die Seele, Mainz

Werfel, F. (2017) Das Lied der Bernadette, Benno, Leipzig

Scheffczyk, L. (2003) Maria — Mutter und Gefährtin Christi, Augsburg, Sankt Ulrich-Verlag

Cantalamesa (2002) Jesus Christus — Der Heilige Gottes, Köln, Adamas Verlag

Hiemer, P. A. (1978) Der Rosenkranz — Das wunderbare Gebet, St. Ottilien

Scott Hahn (2004) Die Königin des Himmels — Maria suchen und finden, Sankt Ulrich Verlag

Hildebrand, D. von (1971) Die Umgestaltung in Christus, Regensburg, Habbel Verlag

Weitere Artikel vom Autor

Die Heilige Familie von Nazareth

Jesus kennt unsere Sorgen

Siehe Deine Mutter

Causa nostrae laetitiae — Ursache unserer Freude

Jesus — Meisterwerk Mariens

Zwei Menschen — eine Seele

Im Reich der Beschenkten

Das Portrait einer Königin

Die Leiden Mariens — Teil 1

Die Leiden Mariens — Teil 2

Josef — Sohn Davids und Bräutigam Mariens

Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie seit der Erstkommunion; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte aller sieben Tage; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien

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