Das Revival des Heiligen Geistes

Karl-Maria de Molina
8 min readJun 3, 2022

Der Umgang mit dem Heiligen Geist fällt uns schwer

Gott besteht aus drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Wir wenden uns an den Vater über das Vaterunser. Mit dem Sohn ist der Umgang leicht, da er unter uns gewohnt hat. Warum tun wir uns aber im Umgang mit dem Heiligen Geist so schwer?

Um dies zu erklären, greife ich zu einer Anekdote zurück. Bekanntlich interessiere ich mich für Malerei, hauptsächlich für Renaissance und Barock. Dessen ungeachtet nahm ich eine Einladung zu einer Vernissage über moderne Malerei an. Der Künstler wagte sich in den Bereich der gegenstandsfreien Abbildung von Begriffen wie Wahrheit. Ich war gespannt, wie die Wahrheit ohne einen Bezug zu einem Objekt oder Gegenstand aussehen würde. Die Wahrheit wurde anhand von einer Kombination von Farbpünktchen dargestellt. Immerhin hatte der Künstler die Bilder mit Schildern versehen. Somit fiel die Zuordnung Bild-Thema leichter aus.

Dem Menschen fällt es schwer, sich gegenstandslose Subjekte vorzustellen. Daher fällt uns schwer, uns den Heiligen Geist auszumalen. Ist er eine reine Entelechie? Wie können wir uns mit einer Entelechie unterhalten oder gar eine liebevolle Beziehung mit ihr pflegen?

Escrivá hat als Seelsorger erkannt, wie schwer uns mit dem Heiligen Geist tun und hat in seinem Buch „Christus begegnen (1972)“ eine Homilie dem Heiligen Geist gewidmet und sie „der große Unbekannte“ betitelt. Damit wollte Escrivá eine Entwicklung der letzten Jahrhunderte aufgreifen: „Man hat den Heiligen Geist tot geschwiegen“. Am Anfang der Christenheit -wie wir sehen werden- war es aber ganz anders.

Der Heilige Geist betritt die Bühne der Geschichte

Bei der Verkündigung des Erzengels Gabriel bei Maria (Lk 1,30) rückt erstmalig der Heilige Geist ins Rampenlicht der christlichen Geschichte. Bis dahin hatte ihn Jesaja nur beiläufig erwähnt (63, 10). Dem jüdischen Volk war bislang nur Jahve bekannt. Was verbarg sich hinter diesem Begriff Jahve? Ein dreifaltiger Gott, d.h. drei Personen in Gott? Das wusste das jüdische Volk damals noch nicht.

Wir verdanken dem Erzengel Gabriel den Hinweis auf den Heiligen Geist. Ab dann wird er sehr häufig erwähnt: bei Elisabeth, der Base Mariens (Lk 1,41), bei ihrem Ehemann Zacharias (Lk 1,67), bei Josef, dem Ehemann Mariens (Mt 1,20), beim alten Simeon (Lk 2,26) usw.

In all diesen Ereignissen übernimmt der Heilige Geist die Funktion eines Beraters. Menschen erhalten vom Heiligen Geist Hinweise, um ihr Verhalten gemäß den Plänen Gottes zu gestalten. Die Menschen, die diese Eingebungen erhalten, bleiben frei in ihren Entscheidungen. Sie lernen dadurch die Erwartungen Gottes kennen.

Wie war es bei Jesus? Die vier Evangelisten berichten uns von der Taufe Jesu. Hier der Text des Markus (1,10) „der Himmel öffnete sich und der Geist, wie eine Taube auf ihn herabkam“. Lukas ergänzt diese Perikope mit dem Satz (4,1): „Erfüllt vom Heiligen Geist, verließ Jesus die Jordangegend“. Damit zeigt sich, wie Jesus mit dem Heiligen Geist zusammen wirkt. Später wird Jesus die Apostel wiederholt darauf hinweisen, dass er im Auftrag seines Vaters handelt. Die drei göttlichen Personen stimmen sich ab und wirken zusammen. Damit sind sie ein Beispiel für uns -wie Jesus in seinen Predigten mehrfach wiederholt.

Jesus befindet sich im Spannungsfeld Vater-Sohn-Heiliger Geist, d.h. die Erlösung als ein Gesamtwerk der Dreifaltigkeit. Peu à peu offenbart uns Gott, wie er wirkt und wie wir ihn nachahmen sollen. Und zwar indem wir im Auftrag des Vaters und unter Mitwirkung des Heiligen Geistes handeln sollen. Tun wir das? Zunächst klingt etwas kompliziert, ist es aber nicht, wie wir sehen werden.

Der Erlösungsplan Gottes erfolgt aus meiner Sicht in drei Schritten: Vor Jesus, während Jesus und nach Jesus.

Wir befinden uns seit 2000 Jahren in der dritten Phase. Und zwar nach Jesus und nach Pfingsten, d.h. nach der Ankunft des Heiligen Geistes. Wie diese Ankunft geschah, sehen wir im nächsten Abschnitt.

Pfingsten

Zu Beginn der Apostelgeschichte beschreibt uns Lukas, was am Pfingsttag geschah (2,1): “Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllt das ganze Haus, in dem sie waren…und sie wurden erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab”.

Dieser Text verbindet in eindrucksvoller Weise den Empfang des Heiligen Geistes mit dem Anfang der Predigertätigkeit der Apostel. Die Ängste vor den Juden sind wie weggewischt. Petrus ergreift mutig und humorvoll das Wort, hält eine Rede und daraufhin ließen sich über Dreitausend taufen. Ein toller Erfolg, dank des Heiligen Geistes und des Gehorsams der Jünger.

Die Apostelgeschichte ist gesäumt von Erwähnungen des Heiligen Geistes. Für die ersten Christen gehörte der Heilige Geist zum ständigen Begleiter. Als pars per toto sei hier folgende Stelle erwähnt (7,55): “In jenen Tagen blickte Stephanus, erfüllt vom Heiligen Geist, zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen”.

Fortwährend erzählen uns die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe von Wundern, die die Apostel unter Mitwirkung des Heiligen Geistes gewirkt haben. Auch in den Entscheidungen wurde der Heilige Geist miteinbezogen. So z.B. „der Heilige Geist und wir haben beschlossen…“ (15,28).

Der Franziskaner und Historiker Adalbert Hamman (1985) hat sich mit dem Leben der ersten Christen befasst und schreibt: “Die Ausbreitung des Christentums hat eher etwas mit Lebendigkeit als mit Strategie zu tun“ und weiter “Kennzeichnend für die ersten Christen war die Enthaltsamkeit, die gelebte Brüderlichkeit und die Bedeutung der Heiligkeit bis zum Martyrium”. Und ergänzend dazu “Die äußerst rasche Ausbreitung des Christentums…hat die Heiden überrascht und zuweilen erschreckt”.

Das Christentum hat sich nach dem Kommen des Heiligen Geist rasch entwickelt. Heute sieht es in weiten Teilen der Erde anders aus. Warum? Wir haben die gleichen Mittel wie damals! Welchen Stellenwert hat für uns heute der Heilige Geist? Im nächsten Kapitel befassen wir uns mit der Situation heute.

Der Heilige Geist heute

In der Apostelgeschichte (1,8) lesen wir die Worte Jesu “Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein…bis an die Grenzen der Erde”. Diese Worte Jesu waren nicht nur an die Apostel gerichtet, sondern auch an uns. Jesus knüpft mit dem Kommen des Heiligen Geistes die Hoffnung, dass wir eine Schippe mehr Engagement in unserem christlichen Leben zulegen.

Wie bei Jesu empfangen auch wir bei der Taufe den Heiligen Geist und sind Tempel des Heiligen Geistes, wie Paulus in 1. Kor 3,16 sagt: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Die Apostel haben tatsächlich am Pfingsttag einen Zahn zugelegt. Sie haben die Angst hinter sich gelassen und beginnen mit der von Jesus aufgetragenen Predigertätigkeit (vgl. Mk 16,15). Damit erfüllen sie sogar den Psalm 145 „Sie sollen von der Herrlichkeit deines Königtums reden und den Menschen deine machtvollen Taten verkünden“.

Lieber Leser, liebe Leserin, wie empfinden Sie die Präsenz des Heiligen Geistes in ihrem Leben? Wie oft hören wir in den Predigten oder in unseren täglichen Gesprächen von der Wirkung des Heiligen Geistes? Ist es nicht vielmehr so, dass er der große Unbekannte ist -wie Escrivá ihn nannte?

Wie lässt sich der Heilige Geist in unser Leben und in das Leben unserer Familien integrieren? Das erste, wäre ihn zu bitten, aktiv in unser Leben einzugreifen: „Komm, Heiliger Geist…sende deines Lichtes Strahl“ beten wir im Gebet Veni, Sancte Spiritus.

Im Arbeitsleben sprechen wir von „Mindset“, d.h. unsere Art zu reagieren auf die äußeren Einflüsse. Übertragen auf den Heiligen Geist heißt es, Offenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber seinen Anregungen. Um diese zu hören, brauchen wir ein wachendes Herz, offen für die Anliegen Gottes. Den Heiligen Geist hören wir nicht mit den Ohren. Er spricht direkt ins Herz. Wir sind frei, seine Worte abzutun oder sie in die Tat umzusetzen. Mutter Teresa (1986) schreibt passend dazu: „Es kommt nicht darauf an, was wir sagen, sondern was Gott zu uns sagt und durch uns sagt”.

Der Heilige Geist bedient sich von Menschen, von Ereignissen, von Texten, von sogenannten Zufällen, um mit uns in Verbindung zu treten. Manchmal kommt er mir vor, wie ein Souffleur im Theater. Dieser spricht leise, nur für die Schauspieler hörbar. Eins muss uns klar sein, der Heilige Geist will nur unser Bestes. Und unser Bestes ist der direkte Weg zum Himmel. Dafür tut er von uns das entfernen, was uns vom Himmel fernhält. Und das kann manchmal wehtun. Als Metapher könnte man es als eine Art Medizin bezeichnen: Es schmeckt zwar schlecht, es heilt aber.

Wenn wir uns dem Heiligen Geist öffnen, dann erhalten wir von ihm laut dem Katechismus Nr. 1831 folgende Gaben: Weisheit, Einsicht, Rat, Erkenntnis, Stärke, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Sollten wir diese Gaben, diese Gnaden erhalten und denen entsprechen, dann „fühlen wir uns dazu angetrieben, den anderen zu helfen und das Evangelium zu verkünden“ (Ocáriz 2022). Johannes (15,26) zitiert Jesus mit den Worten: “Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, dann wird er Zeugnis für mich ablegen”.

Und wenn wir uns öffnen, kann uns dann ergehen wie damals am Pfingsttag: „Die Jünger…empfingen nunmehr die Kraft des Heiligen Geistes, ihr Verstand und ihr Herz öffnete sich einem neuen Licht“ (Escrivá 1972).

Lieber Leser, liebe Leserin, Sie werden mir zurecht entgegenhalten, weder beim Tag der Firmung noch später haben Sie das Gefühl gehabt, die Stimme des Heiligen Geistes vernommen zu haben. Und wieder hat Mutter Teresa (1986) einen passenden Satz dazu: “In der Stille hört uns Gott zu und spricht zu uns und hören seine Stimme”.

Durch die Mobilität und Digitalisierung ist die Welt dynamischer geworden. Viele haben eine Sehnsucht nach Entschleunigung, nach Stille. Was gut für die Work-Life-Balance ist, kann auch gut für unser Gebetsleben sein. Mitten in dieser Zeit der Stille findet Gott einen „Slot“ in unserem „busy life“ -wie es heute im Neudeutsch heißt. In dieser Stille nach außen entfaltet unsere Seele einen regen Dialog mit dem Heiligen Geist. Dieser Dialog, den wir Gebet nennen, stellt eine Verbindung zwischen unserem Herzen und dem Herzen Jesu (Mutter Teresa). Dadurch wird dieses Gebet Früchte zeigen: Innigkeit mit Gott, Verständigung mit unseren Mitmenschen, Gelassenheit, Ausgeglichenheit.

Ich wünsche Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, und mir, dass wir die Worte Jesu verinnerlichen (Mt 10,20): “Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden”.

Heute erleben wir weltweit und insbesondere im deutschsprachlichen Raum einen heftigen Wunsch nach Veränderung in der Kirche. Diese Veränderung wird nur dann gelingen, wenn sie vom Heiligen Geistes angestoßen und geleitet wird. Und wieder ist Mutter Teresa (1986), die uns die Abschlussworte liefert: “In Gott finden wir unsere Kraft, und unsere Gedanken werden eins mit seinen Gedanken, mit seinen Gebeten, mit seinem Tun, mit seinem Leben”.

Literatur

Escrivá, J. (1972) Christus Begegnen, Madrid

Hamman, A. (1985) Die ersten Christen, Reclam, Stuttgart

Ocáriz, F. (2022) Interne Notizen

Ocáriz, F. (2022) Im Lichte des Evangeliums, fe-Medienverlag

Mutter Teresa (1986) Die Sprache des Herzens — Gedanken für jeden Tag, Freiburg, Herder

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie seit der Erstkommunion; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte aller sieben Tage; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien

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