Smarte Heiligkeit

Karl-Maria de Molina
6 min readNov 1, 2022

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Heute feiert die Kirche das Fest Allerheiligen.

Können Sie mit dem Begriff „Heiligkeit“ etwas anfangen? Was meinte Jesus als er sagte: „Seid heilig, wie mein Vater heilig ist“ (Mt 5,48).

Heiligkeit beschreibt das Verhalten eines Menschen, der im Sinne Gottes handelt. Und das bedeutet konkret: „Die Gebote Gottes halten und halten lehren“ wie Jesus es formulierte (Mt 5,19). Heiligkeit heißt, ein Leben im Einklang mit Gott. Wir können den Begriff Gebote durch Regeln ersetzen und dann fällt der Zugang zum Begriff leichter.

Gott hat uns mit dem Dekalog seine Spielregel bekannt gegeben. Wer sie hält, befindet sich auf dem Weg der Heiligkeit. Und wofür aber das Ganze? Was haben wir davon, wenn wir diese sogenannte Heiligkeit erlangen? Ganz einfach: Wir haben den Eintritt in den Himmel sicher!

Himmel? Brauchen wir heute noch einen Himmel? Südpazifik, Malediven, Azoren, Malle, Kanada usw. sind der neue Himmel. Oder nicht? Wofür noch diese Chimäre mit dem Himmel?

Jeder Mensch hat einen Vater und eine Mutter. Von Kindesbeinen an werden wir von den Eltern geliebt und umsorgt. Und so wachsen wir mit den Begriffen Liebe und Fürsorge auf. Das, was die Eltern tun, tut auch Gott mit uns. Nur vielmehr! Wir sehen es nur nicht. Und der Höhepunkt dieser Liebe und Fürsorge Gottes ist der Himmel. Paulus dürfte in einer Vision den Himmel erblicken und er beschreibt ihn so “Was kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.” (1. Kor 2,9). Verlockend, oder? Diese Worte machen uns neugierig!

Kommen wir zum Begriff Heiligkeit zurück. Dieser ist uns eigentlich sehr vertraut. Um die Heiligkeit zu erklären, bediene ich mich einer Anekdote. Und diese lautet, wie folgt: Eine Familie wohnte in Mexiko City. Der Ehemann war ein Fan der lokalen Fußballmannschaft. Bei jedem Heimspiel fuhr er zum Stadion. Und Seine Frau war auch dabei. Er dachte, sie würde die Spiele genießen. Und so vergingen lange Jahre. Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Das mit Fußballspielen im Stadion muss nicht sein“. Es ist zu aufwendig, zu teuer. Daraufhin antwortete die Frau: „Oh danke“. Erst jetzt wurde dem Ehemann klar, dass seine Frau nur seinetwegen ins Stadion ging. Sie hatte schlichtweg kein Interesse am Fußball. Sie handelte nur aus Liebe zu ihm.

Ähnliche Anekdoten wiederholen sich millionenhaft jeden Tag in unserer Welt. Jedoch zumeist nur unter uns Menschen. Würden wir diese oder jene Handlung aus Liebe zu Gott verrichten, dann würde diese eine göttliche Dimension erlangen. Damit wären wir näher am Begriff Heiligkeit als uns bekannt ist. Wenn wir unserem Alltag eine göttliche Dimension geben, dann „kratzen“ am Begriff Heiligkeit. Nicht anders haben es die Heiligen getan: Sie haben primär aus Liebe zu Gott und dann aus Liebe zu den Menschen gehandelt. Wenn wir Gott lieben, dann lieben wir die Menschen, und zwar vielmehr.

Im 19. Jahrhundert lebte im französischen Ars ein Priester. Sein Name: Johannes Maria Vianney. Er war ein begabter Seelsorger, und obendrein sehr geschätzt in seiner Gemeinde. Nur er hatte Bammel beim Gedanken, mit einer bestimmten Person sprechen zu müssen. Und obwohl er so heilig war, fiel ihm ungemein schwer, mit dieser besagten Person zu sprechen. Aus Liebe zu Gott überwand er diese Abneigung und sprach mit dieser Person. Das ist Heiligkeit: Widerwärtigkeiten aus Liebe zu Gott überwinden. Aus Liebe zu den Menschen tun wir so etwas häufig. Wenn es uns gelänge, diesen Handlungen ein göttliches Motiv zu geben, d.h. aus der Liebe zu Gott zu verrichten, dann befinden uns auf dem Weg der Heiligkeit.

In diesem Zusammenhang möchte ich das Beispiel meiner Eltern erwähnen. Meine Mutter starb an Krebs. Die Ärzte brauchten über ein Jahr, um die Krankheit korrekt zu diagnostizieren. Hätten sie frühzeitig den korrekten Befund erstellt, wäre ihr Leben womöglich anders verlaufen. Weder von ihr noch von meinem Vater hörten wir ein Wort des Jammerns, des Heulens. Auch bei anderen Rückschlägen haben sie den Willen Gottes angenommen. Mit meinen Geschwistern sprechen wir gern über das beispielhafte Leben unserer Eltern. Unsere Meinung: Sie haben heiligmäßig gelebt. Sie müssen nicht von der Kirche als Heilige anerkannt werden. Für mich sind sie bereits am Sterbetag im Himmel „gelandet“. Passend dazu der Text aus der Offenbarung (7,2): “Und ich erfuhr die Zahl derer, die mit dem Siegel gekennzeichnet waren. Und ich sah eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen”. Mit anderen Worten, es sind viele, die in den Himmel gelangen. Auch wir werden in den Himmel schnurstracks einziehen, wenn wir „Jesus keine Bitten abschlagen“ (Escrivá 1987).

Und es ist wieder Paulus, der uns Worte der Begeisterung sendet: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zur Herrlichkeit, die ans uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18).

Als Jesus in Israel weilte, kritisierte er die Pharisäer, weil diese die Gesetze herzlos befolgten. Die Message Jesu dazu gebe ich mit meinen Worten wieder: „Tue Liebe in Deine Pflichten und Du wirst den Himmel erringen“.

Noch kurz vor dem Ende des Artikels möchte ich den Titel „smarte Heiligkeit“ erklären. Das Wort „smart“ hat hier zwei Konnotationen: intelligent und verteilt.

Die Heiligkeit -so wie sie Gott für uns will- ist kein Kadavergehorsam, sondern vielmehr eine intelligente Umsetzung seiner Bitten.

Und jetzt die zweite Bedeutung: Verteilt. Im Mittelalter hat Gott die Gründung von Orden angeregt: Franziskaner, Dominikaner usw. Die Klöster waren -um es vereinfacht auszurücken- Zentren der Heiligkeit. Eine Art „Powerhouse“, um das Volk zur Heiligkeit zu führen.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat Gott seine Strategie erweitert und er ist mehr in Richtung „verteilte“ Heiligkeit gegangen. Wir können die neue Strategie mit dem Begriff „smart Cities“ erklären. Die Energie wurde früher hauptsächlich in Kohle- oder Kernkraftwerken erzeugt. Mit dem Aufkommen der Solarzellen können einzelne Bürger oder Unternehmen Strom für den eigenen Bedarf erzeugen. Wir sprechen hier von verteilter Energieproduktion, d.h. von „smart Cities“.

Smarte Heiligkeit heißt dann, dass die Heiligkeit nicht allein in den Klöstern „produziert“ wird, sondern überall in der Gesellschaft. Anders ausgedrückt, heilig kann jeder Mensch sein. Diese Idee ist in sich nicht neu. Es bedurfte jedoch eines „Revivals“. Dafür hat Gott einige Prediger ins Leben gerufen, die diese alte Idee wieder in Erinnerung rufen. Das war der Gegenstand der Berufung des heiligen Josemaría Escrivá. Sein Mantra war „jeder Mensch ist zur Heiligkeit berufen“. Papst Johannes Paul II hat während seines langjährigen Pontifikats viele Menschen zur Ehre der Altäre erhoben. Damit wollte er uns klar machen, Heiligkeit ist nach wie vor aktuell. Wir können uns -so seine Idee- ein Beispiel an Menschen nehmen, die inmitten unserer aktuellen Welt gelebt haben. Menschen wie Du und ich, nicht nur Mönche und Nonnen, sondern Familienväter und -mütter, Kinder. Keine Religiösen, sondern jedweder Mensch.

Diesen Artikel möchte ich mit einer Empfehlung der Mutter Gottes beenden: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,3). Diese Worte hat Maria an die Diener bei der Hochzeit zu Cana gerichtet. Und diese gelten auch für uns. Und was sagt ihr Sohn zu uns? „Seid heilig, wie mein Vater heilig ist“ (Mt 5,48).

Heiligkeit ist nur mit seiner Hilfe, mit seiner Gnade möglich. Heiligkeit ist ein lebenslanges Projekt, das uns zum Himmel führt. Was wollen wir noch mehr? Es ist eine Investition fürs Jenseits, fürs Leben nach dem Tod, für eine gute Unterkunft. Wie die heilige Theresa von Àvila es so schön formulierte: „Dieses Leben es wie eine Nacht in einer schlechten Unterkunft“. Sorgen wir dafür, dass die nächste Unterkunft besser wird. Wie Paulus es so schön sagte: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zur Herrlichkeit, die ans uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18). Escrivá (2002) formulierte es kurz „Es lohnt sich“ (auf Spanisch „vale la pena“).

Literatur

Escrivá, J.M. (2002) Der Weg, Adamas Verlag, Köln

Escrivá, J.M. (1987) Im Feuer der Schmiede, Adamas Verlag, Köln

Teresa de Àvila (2012) Die Seelenburg

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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