Ein Mensch ohne Makel — geht das?

Karl-Maria de Molina
7 min readDec 4, 2022

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In den nächsten Tagen feiert die Kirche das Fest der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria.

Warum gibt es dieses Fest und welchen Impact hat dieses Fest auf unser Leben?

Das Fest geht auf das im Jahr 1854 verkündete Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens zurück. Das Fest wurde den 8. Dezember festgesetzt.

Im Alter von 80 Jahren stellte mir mein Vater die Frage: Was heißt unbefleckt Empfangene. In kurzen Worten habe ich ihm die Bedeutung erklärt. Das zeigte mir jedoch, dass auch guten Katholiken manche Begriffe nicht eingängig sind. Daher möchte ich hier in dieses Wunder Gottes eintauchen.

Seit dem Sündenfall haftet jedem Menschen der Makel der Erbsünde. Nur in Ausnahmefällen weicht Gott von dieser Regel ab: Maria vor der Empfängnis und Johannes der Täufer vor der Geburt. In beiden Fällen wurde ihre Berufung vom Erzengel Gabriel verkündigt. Ihr Auftrag im Erlösungsplan Gottes eint sie: Maria als Mutter und Johannes als Vorläufer. Und damit beide sehr nahe am Erlöser.

Warum wurde Maria von der Erbsünde befreit? Wissen tut es nur Gott. Wir können den Grund nur erahnen. Der Genesis (1,2) sagt uns, dass Gott den Menschen als sein Abbild schuf, und zwar sündenfrei. Das war der Urzustand des Menschen. Durch sein Fehlhandeln hat der Mensch die Pläne Gottes durchkreuzt. Um den Menschen zum ursprünglichen Zustand zurückzuführen, brauchte Gott Mitwirkende mit besonderen Merkmalen: Sündenfrei.

Die Entscheidung Gottes ist für mich als Personaldiagnostik absolut nachvollziehbar. Für die Besetzung von Positionen in der Industrie werden Menschen ausgewählt, die über das notwendige Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil verfügen. Die Aufgaben Mariens und Johannes besaßen für den Erlösungsplan höchste Relevanz. Daher war die Passungsgenauigkeit ihrer Profile für die anstehenden Aufgaben von entscheidender Bedeutung. Anders als für uns Menschen sind für Gott Merkmale wie Reichtum oder Schönheit nicht so relevant, wie Sündenfreiheit oder Fügsamkeit gegenüber den Plänen Gottes.

Wie wichtig die Rollen Mariens und Johannes waren erkennen wir auch darin, dass z.B. der Nachfolger Jesus, Petrus, doch nicht sündenfrei war. Auch Johannes der Evangelist, dem Jesus seine Mutter anvertraute war auch nicht sündenfrei. Auch Maria Magdalena, der die Frohbotschaft der Erlösung zuteilwurde, war nicht sündenfrei.

Es ist klar, dass wir kleine Geschöpfe die Denkweise Gottes nicht einmal ansatzweise erahnen können. Und trotzdem möchte ich hier seine Denkweise plausibilisieren, d.h. ihre Logik prüfen. Weil nur wenn uns sein Handeln logisch erscheint, können wir uns damit identifizieren und es gutheißen.

Während wir die makellose Seele Mariens betrachten, kommt mir eine Werbung in den Sinn. Das Produkt heißt „perfect marc jacobs“. Junge Frauen wiederholen in der Werbung unaufhörlich das Wort „perfect“. Das soll das Produkt attraktiver machen und Frauen animieren, es zu kaufen. Auf Maria angewandt bedeutet: Gott verfolgt mit der Makellosigkeit Mariens mehrere Ziele: Eignung als Miterlöserin im Erlösungsplan sowie höhere Attraktivität für uns Menschen. Ja, Sündenfreiheit macht die Menschen attraktiver.

Maria ist mit der Dreifaltigkeit so verbunden wie kein anderer Mensch: Tochter, Braut und Mutter Gottes. Mehr geht nicht. Das sie dann auch von Anfang ihres Lebens an sündenfrei sein sollte, ist es nur logisch. Die Sünde ist ein Affront gegenüber Gott. Wenn ein Mensch so nah an Gott sein sollte, dann bitte schön sündenfrei. Wir hätten auch genauso gehandelt!

Der Erlösungsplan Gottes sah vor, dass der Sohn Mensch werden sollte. Klar sündenfrei. Wie Fulton Sheen (1954) bemerkte, dann wollte Gott im Sinne der Gleichberichtigung eine Frau an seine Seite: Seine Mutter. Und diese wie er sündenfrei. Es sind wir Menschen, die die Gleichberechtigung wieder entdecken mussten. Gott hat sie immer gelebt. Und bestes Beispiel dafür ist das Handeln Jesu, als er unter uns weilte. Die Evangelisten erzählen uns viele Begegnungen und viele Wunder, wo Frauen die Hauptrolle spielen: Maria und Martha von Bethanien, die Witwe von Naïn, die Frau am Jakobsbrunnen, Maria Magdalena, Elisabeth usw.

Wir stellen uns eine weitere Frage: Ist Gott in der Lage, einen Menschen vor der Erbsünde zu bewahren? Kann er das überhaupt? Bei Lukas 1,37 lesen wir „denn für Gott ist nichts unmöglich“. Stimmt das? Peter Blank (2006) erzählt in seinem Buch „Alles Zufall?“ wie einige Astrophysiker zum Glauben an Gott gekommen sind, nach dem sie die Regellogik des Universums untersucht haben. Auch Biologen haben dank ihrer Studien über die kausalen Zusammenhänge in der Natur zu Gott gefunden. Gott ist allmächtig. Das erleben wir täglich in uns und in unserer Umgebung. Wenn wir das Göttliche in unserem Leben suchen, dann werden wir fündig!

Maria habe ich bereits mehrere Artikel gewidmet (siehe Listen unten). Ich gebe es zu: Diese Frau fasziniert mich. Sie ist nicht nur die Mutter Jesu, sie ist auch unsere Mutter. Und ihr Handeln begeistert mich. Bei Markus 7,37 lesen wir, dass Jesus „alles gut gemacht hat“. Für mich gilt dieser Satz auch für seine Mutter, damals wie heute. Daher ist es nur verständlich, dass Papst Paul VI. schrieb: „Die Muttergottes ist ein ausgezeichnetes Modell…für die ganze Menschheit“. Und passend dazu ein Zitat von Scott Hahn (2004): „Mein Vater sagte: Deine Religion bedeutet nicht viel, wenn es nur Worte sind…schäme dich nie, zusammen mit Deiner Mutter gesehen zu werden“.

Seit unserer Kindheit hören wir nur Worte des Lobes für Maria. Vielleicht kommt uns in den Sinn, das Ganze sei etwas übertrieben. Um dies zu bewerten, kann uns ein Vergleich helfen. Die ersten Menschen, Adam und Eva, waren wir Maria vor Beginn ihres Lebens auch sündenfrei. Sie haben sich jedoch vom Teufel verführen lassen, und zwar des Stolzes wegen. Nicht so Maria. Sie stellt eine Art Reset für die Menschheit. Mit ihr beginnt eine neue Ära der Menschheit: Die Vollendung des Erlösungsplans. Und für diese Rolle brauchte Gott einen Menschen ohne Makel, auf den er sich verlassen konnte. Diese Rolle war Maria wie auf den Leib geschnitten.

Zeitlebens hat Maria ein zurückgezogenes Leben geführt. Es sind nur 4 Wortmeldungen von ihr in den Evangelien verzeichnet und nur 2 davon sind Dialoge mit ihrem Sohn. Seit ihrem Himmelgang ist sie tausendfach Menschen erschienen und mit ihnen Dialoge geführt. Dadurch haben wir einen tieferen Einblick in ihr Leben und Denkweise gewonnen. Hier gilt unser Dank an G. Hierzenberger, O. Nedomansky (1993) für die Bereitstellung dieser Dialoge zwischen Maria und den Sehern.

Kommen wir zurück zur Sündenfreiheit. Warum sollte aus Gottessicht Maria sündenfrei sein? Weil sie nur so würdig wäre, die Mutterschaft des Gottes Sohnes zu übernehmen? Ich füge ein längere Überlegung Escrivás (1972) ein. Er hat in seinem Buch „Christus begegnen“ einen interessanten Aspekt in Bezug auf die Mutter Gottes in Betracht gezogen. Ich zitiere: „Die Theologen haben sich häufig ähnlich ausgedrückt, um irgendwie diese Gnadenfülle zu erfassen, mit der wir Maria bekleidet sehen, und die sich mit der Aufnahme in den Himmel vollendet. Sie sagen: Es war angemessen, Gott konnte es tun, also tat Er es (Vgl. Johannes Duns Scotus, In III Sententiarum, dist. III, q. 1). Das ist die beste Erklärung dafür, dass der Herr seiner Mutter vom ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis an alle nur erdenklichen Vorzüge gewährte. Sie war frei von der Macht Satans; sie ist schön — tota pulchra! — rein und lauter an Seele und Leib“.

Ein anderer Grund für die Sündenfreiheit Mariens könnte sein, -wie oben erwähnt- die Notwendigkeit für ihre Berufung. Führen wir uns die Szene der Verkündigung vor Augen. Maria hatte im Vorfeld vom Heiligen Geist die Berufung zur Jungfräulichkeit erhalten. Und jetzt erhält sie vom Boten Gabriel die Nachricht, sie solle Mutter werden. Das passt ganz und gar nicht zusammen. Statt auf diesen „scheinbaren“ Widerspruch heftig zu reagieren, fragt sie den Boten Gabriel, nach dem wie. Und nicht nach dem ob. Darüber hinaus bedeutete der Auftrag Gottes nach jüdischem Gesetz ein klarer Ehebruch. Wäre ein Mensch mit dem Makel der Erbsünde überhaupt in der Lage gewesen, zum Vorschlag des Boten Gabriel ja zu sagen? Mein Votum lautet nein. Das „fomes peccati“, d.h. die Folgen der Erbsünde bringen die Neigung mit sich, eher negativ als positiv zu denken. Als Vergleich gilt hier Zacharias. Auch er erhält einen Besuch vom Boten Gabriel. Dieser hatte eine freudige Nachricht zu überbringen: „Deine Gebete sind erhöht worden. Deine Frau wird ein Kind empfangen“ (Lk 1,11). Und auf diese Nachricht reagiert er ungläubig. Anders bei Maria, sie glaubt dem Boten, und sie ist bereit, die gefährliche Situation für ihre Ehe einzugehen. Warum? Sie glaubte und vertraute auf Gott. Sie dachte positiv. Wie genau Maria dachte, offenbart sie uns im Magnificat wenige Tage nach der Begegnung mit dem Boten. Phänomenal diese Frau! Darauf fällt mir nur ein Kommentar: Liebe Maria, besten Dank für Dein Ja zu Gott, und letztlich zu uns allen. Was wäre aus uns ohne Dein Ja geworden?

Überlassen wir Maria diesen Artikel mit ihren eigenen Worten zu beenden: “Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig” (Lk 2,48).

Literatur

Blank, P. (2006) Alles Zufall? Naive Fragen zur Evolution

Sheen, F. (1954) Du bist gebenedeit unter den Weibern, Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg

G. Hierzenberger, O. Nedomansky (1993) Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria, Weltbild

Scott Hahn (2004) Die Königin des Himmels — Maria suchen und finden, Sankt Ulrich Verlag

Escrivá, J. (1972) Christus Begegnen, Madrid

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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