Die Karwoche an der Seite Mariens

Karl-Maria de Molina
6 min readApr 8, 2023

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Morgen feiern wir den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem. Und dieser leitet die Karwoche ein.

Als kleiner Bub hat mich die Karwoche zutiefst irritiert. Wir feiern zunächst einmal den triumphalen Einzug in Jerusalem und die Einsetzung der Eucharistie. Alles hochfeierlich, alles wunderbar. Und plötzlich der Sinneswandel: Die Verhaftung und Hinrichtung Jesu.

Just haben wir uns mit Jesus im Abendmahlsaal über die Eucharistie gefreut, laufen wir zum Ölberg und da beginnt der Leidensweg Jesu. Die Stimmung kippt in Windeseile.

Die Trauer dauert drei Tage: Hinrichtung und Ruhen im Grab. Und dann bereits in der Nacht von Samstag zum Sonntag freudige Stimmung: Jesus ist auferstanden! Ich empfand diese Woche als ein Wechselbad der Gefühle.

Durch die häufige Lektüre dieser Passagen im Evangelium, durch begleitende Texte vom Kreuzweg und durch die vielen Stunden des Gebetes bin ich im Laufe der Jahre etwas tiefer in die Geschehnisse eingestiegen.

Um ein besseres Verständnis über die Karwoche zu gewinnen, schlage ich vor, dass wir uns von der Mutter Jesu helfen und begleiten lassen. Versuchen wir die Geschehnisse durch ihre Augen zu sehen, durch ihr Herz zu empfinden.

In den Artikeln Das hat Maria für uns gelitten Teil 1 und Teil 2 habe die Szenen: Wachsender Widerstand gegen Jesus, Verurteilung, Geißelung, Kreuzweg, Kreuzigung und Warten auf die Auferstehung ausführlich geschildert. Daher werden wir hier diese Szenen nur streifen, um ein Gesamtbild zu gewinnen.

Die erste Frage, die wir uns stellen: Wann und wie erfuhr die Mutter Gottes, dass der Gang ihres Sohnes nach Jerusalem der letzte sein sollte?

Mein Freund Ralf ist ein Experte der sakralen Kunst. Er klärte mich auf: Das Bild in Dießen, wo dargestellt wird, wie sich Jesus von seiner Mutter verabschiedet, bezieht sich genau auf diesen Zeitpunkt. Jesus kündigt ihr seinen Gang zum Tod am Kreuz. Diese Szene wird von Malern selten dargestellt. Viele Mäzene und Maler orientieren sich bei der Auswahl der Motive an den Texten des Evangeliums. Da diese Textpassage fehlt, haben Bilder von dieser Szene Seltenheitswert. Passend dazu steht das Bild in Dießen in keiner exponierten Stelle.

Wir wissen nicht, wann sich Maria auf dem Weg nach Jerusalem gemacht hat. Auch nicht mit wem. Es ist anzunehmen, mit den Frauen, die Tage später mit ihr am Kreuz stehen werden. Escrivá bemerkt, dass Maria beim triumphalen Einzug in Jerusalem nicht dabei war bzw. dass sie von den Evangelisten nicht erwähnt wird.

Bei der Lektüre des neuen Testaments gewinnt man den Eindruck, Maria ist nur da, wo ihre Hilfe vonnöten ist: Bei ihrer älteren Cousine Elisabeth, bei der schlecht organisierten Hochzeit zu Cana, auf dem Weg zum Kalvarienberg, bei der Kreuzigung, bei den verängstigten Aposteln nach der Auferstehung und bei der Verabschiedung ihres Sohnes zum Himmel.

Kehren wir zurück zu den Geschehnissen der Karwoche. Und fragen wir uns weiter: Wann erfuhr Maria von der Verhaftung ihres Sohnes? Nach der Verhaftung Jesu im Ölgarten haben die elf Apostel das Weite gesucht. Es ist anzunehmen, dass einer von ihnen die Kunde zu den Frauen getragen hat. Und hier hat Maria von der Verhaftung erfahren. Die Prophezeiung Simeons (vgl. Lk 2,35) nimmt konkrete Gestalt an.

Im berühmten Film Die Passion Christi von Mel Gibson wird gezeigt, dass Maria zum Gefängnis ging, wo ihr Sohn gefangen gehalten wurde. Da sie zu ihm nicht gelangen kann, drückt sie ihre Wange auf dem Boden, wo sie ihren Sohn in der Zelle vermutet, um ihm ihre Liebe zu bekunden. Phänomenal. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich so war. Gibson hat Anleihen von Katharina Emmerich genommen, um die Szenen zu gestalten. Daher könnte es so gewesen sein. Eins ist jedoch klar: Maria zog alle Register ihrer unermesslichen Liebe, um ihren Sohn Anteilnahme zu erweisen. Diese Handlung ist strenggenommen nicht unüblich. Eine Bekannte von mir machte etwas Ähnliches, wenn sie zu einer Kirche abends ging. Da die Kirche zu war, drückte sie ihre Wange gegen die Wand, wo sie den Tabernakel vermutete. Damit zeigte sie Jesus ihre Präsenz.

Tags darauf in der Früh dürfte Maria zum Palast des Pilatus geeilt sein, wo das Urteil über ihren Sohn gefällt werden sollte. Welch einen Schmerz muss sie empfunden haben, als die Menge „ans Kreuz mit ihm“ gerufen haben.

Dann die Geißelung. In meiner Naivität habe ich viele Jahre gedacht, dass Maria die Szene der Geißelung erspart geblieben wäre. Bis ich den Gibson Film gesehen habe. Welche Zuckungen muss sie bei jedem Geißelhieb erlebt haben, welch Schmerz. Jeden Dienstag und Freitag betrachten wir im Rosenkranz genau diese Passage. Auch wir erleben in unserem Körper ähnliche Empfindungen. Nur bei Maria waren sie unermesslich stärker: Als Mutter und voll der Gnade. Wir können nur erahnen, was sie gespürt hat!

Dann der Kreuzweg. Maria postiert sich zusammen mit dem Apostel Johannes und den Frauen am Rande des Weges, wo Jesus Kreuz tragend passieren wird. In der vierten Station des Kreuzweges wird dieser Begegnung gedacht. Escrivá formulierte diese Szene treffend: „In der dunklen Verlassenheit der Passion schenkt unsere Liebe Frau ihrem Sohn den Balsam der Zärtlichkeit“.

Heute sind wir, die Maria den Balsam der Zärtlichkeit schenken wollen. Erst im Himmel werden wir erfahren, wie viel diese Frau, Maria, unsere Mutter, unseretwegen gelitten hat. Hier auf Erden können wir es nur erahnen. Wissen, tun wir es nicht.

Zurück nach Jerusalem. Einige Zeit später sind wir auf den Golgotha-Hügel angelangt. Jesus wird ans Kreuz angenagelt. Bei jedem Hammerschlag muss das Herz Mariens gebrochen sein. Von neuem unermessliche Schmerzen. Das Kreuz wird aufgerichtet. Jesus droht aufgrund der Körperlage die Erstickung. Sie spricht die berühmten sieben Worte. Zwei davon sind an die Mutter gerichtet: Siehe Deinen Sohn und siehe deine Mutter (Joh 19,27). Nach seinem Tod wird Jesus im Grab von Josef von Arimathäa begraben. Maria, Johannes und alle anderen verlassen den Ort und begeben sich nach Hause.

Stunden vergehen und dann in den frühen Stunden des Sonntags erscheint ihr der Auferstandene. Welch eine Freude. Alle Schmerzen sind in einem Wisch verflogen. Wenige Maler haben diese Szene abgebildet. Wie gesagt, weil diese im Neuen Testament nicht aufgeführt ist. In der Klosterkirche auf der Fraueninsel im Chiemsee hat ein Barockmaler dieser Szene in einem venezianischen Stil festgehalten.

Wie konnte es passieren, dass Jesus seiner Mutter erscheint und die anderen Frauen sowie die Jünger nichts davon erfuhren? Wir wissen es nicht. Wir vermuten -wie sehr üblich bei Jesus-, dass er sie darum gebeten hat, die Kunde nicht weiterzugeben. Für viele Heilige steht eins fest: Die Ersterscheinung bei seiner Mutter ist Fakt.

Lieber Leser, liebe Leserin, hier endet unsere heutige Betrachtung der Geschehnisse in der Kar- und Osterwoche an der Seite Mariens. Mit dieser Betrachtung haben wir ein Ziel verknüpft: Jesus und Maria Trost zu spenden, Anteilnahme zu zeigen, und uns über die vollzogene Erlösung zu freuen; und über die geschenkte Gottes- und Marienkindschaft.

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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