Unser Leidensweg führt zu Jesus

Karl-Maria de Molina
10 min readAug 30, 2023

Leiden hat einen Sinn im Plan Gottes. Er bedient sich unserer Leiden, um uns zu ihm zu führen. Leiden aus Liebe zu Gott getragen, führen zu mehr Geduld und Gelassenheit. Und zu einer inneren Freude. So haben viele Heilige gehandelt. Aber auch meine Eltern, sowie einige Freunde und Bekannte haben mir gezeigt, dass so etwas bei ganz normalen Menschen möglich ist.

Warum müssen wir leiden?

Wenn es etwas gibt, womit wir Menschen vertraut sind, dann ist mit Leid, Sorgen, Widerwärtigkeiten. Vom Geburt an erleben wir Leid in Form von Hunger, Durst, Misshandlungen, Misstrauen, usw. Warum gibt es das Leid? Zu welchem Zweck begleitet es uns ein Leben lang?

Mit diesen Fragen möchte ich eins der wichtigsten Phänomene in unserem Leben beleuchten: Das Leid. Warum schreibe ich darüber? Mit dem Aufkommen der Industrialisierung erlebt ein Teil der Welt einen stetig wachsenden Wohlstand. Wohlstand und Leid vertragen sich nicht gut, so das Mantra unserer Medien, unserer Erziehung, unserer Denke.

Während der Corona-Pandemie erlebte die Welt eine Schockstarre aufgrund der zahlreichen Kranken. Vergessen bleibt, dass solche Pandemien die Menschheit über die Jahrtausende immer wieder heimgesucht haben. Sogar weit schlimmer, wie z.B. die Pest um 17. Jahrhundert während des dreißigjährigen Krieges.

Haben frühere Generationen ein anderes Verständnis vom Leid gehabt als wir heute? Den Eindruck habe ich. Mit unserem Erfindergeist sind wir in der Lage, fast alles zu beherrschen: Mondlandung, Atombombe, Künstliche Intelligenz usw. Und dann wollen wir auch das Leid beherrschen. Lässt sich das Leid nicht ausrotten oder wenigstens verbannen aus unserem Leben?

Diese unausgesprochenen Gedenken schissen durch unsere Köpfe, ohne dass wir es kund tun: Die Medizin soll Krankheiten verschwinden lassen; der Staat soll den privaten Ruin verhindern; die Versicherung soll für die Schäden durch die Überschwemmung aufkommen usw.

Warum hat Gott erlaubt, dass wir leiden? Im Übrigen dieses Schicksal teilen wir mit anderen Tieren. Auch sie müssen leiden. Nur wir Menschen hinterfragen den Sinn des Leidens.

Manche Christen wollen anhand vom Gebet das Leid aus ihrem Leben, aus dem Leben der Geliebten und Freunde verbannen. Jesus hat tatsächlich hier auf Erde oder vom Himmel aus viele Wunder gewirkt, die zum Lösen eines Leids geführt haben: Krebs, Blindheit, Gehbehinderung auskuriert. Auch von Wundern in Wallfahrtsorten wie Lourdes ist die Rede.

Ist das der Zweck des Glaubens? Hat Gott für sich und für die Heiligen nicht vielmehr den Weg des Leids gewählt? Die Evangelisten beschreiben uns sehr detailliert, wie er gefoltert, wie er ans Kreuz angenagelt wurde, wie er sechs Stunden lang am Kreuz hing.

Der Lebenswandel Gottes

Jesus hatte just den Jüngern sein Leid offenbart (Mt 16,21), dann sagte Petrus zu ihm (Mt 16,22): „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen“. Die Antwort Jesu kam prompt und fiel scharf aus (Mt 16,23): „Jesus sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geht mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“. Jesus, der Menschen Sohn, ist auf die Erde gekommen, um uns durch sein Leiden zu erlösen. Ein Verbannen des Leids -wie Petrus gefordert hatte- würde den Erlösungsplan zunichtemachen. Daher die scharfe Reaktion Jesu. Waren auch wir bei dieser Rüge gemeint, weil auch wir das Leid nicht haben wollen?

Ja, wir sind auch teilweise gemeint. In der Apostelgeschichte (14,19) klärt uns Paulus auf „Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen“. Und weiter in der Apostelgeschichte, diesmal jedoch geht es um Petrus und Johannes (5,41) „Sie (Petrus und Johannes) gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden“.

Die Liste der Zitate über das damalige Leiden der ersten Christen ist lang. Gelten die damaligen Sätze noch heute? Ja.

Jesus durch das Leiden erkennen

Aus der Lektüre von Texten über das Leben von Heiligen -sei es zur Zeit Jesus oder später- gewinnen wir den Eindruck, dass sie sehr viel leiden mussten. Seine Mutter, sein Adoptivvater, sein Cousin Johannes der Täufer, die Apostel und viele mehr. Der Satz aus dem Johannes-Evangelium (Joh 15,1): “Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt”. Reinigen steht hier für leiden. Für Gott scheint der Begriff Leiden eine andere Konnotation zu haben als bei uns. Für uns ist Leid etwas Sinnloses, das wir so bald wie möglich beheben sollen. Für Gott ist Leid in Mittel zum Zweck, zur Erlösung, zum Himmel. Und so hat er gelebt, mit diesem klaren Lebensprinzip.

Paulus spricht den Punkt an (Kol 1,24): “Ich ergänze in meinem irdischen Leben, was an den Leiden Christi noch fehlt an seinem Leib”. Escrivá geht einen Schritt weiter (1982): „Manchmal ragt plötzlich das Kreuz vor uns auf, ohne dass wir es gesucht haben: es ist Christus, der nach uns fragt. Wohl mag sich das Herz gegen dieses Kreuz sträuben, das uns — weil wir nicht mit ihm rechneten — vielleicht umso dunkler erscheint… Versuche nicht, dein Herz zu trösten. Wenn es aber darauf besteht, dann sage ihm langsam und mitfühlend, wie in einer vertraulichen Zwiesprache: Herz, du Herz am Kreuz! Du Herz am Kreuz!

Diese beiden letzten Zitate heben das Leiden zu einer höheren Ordnung. Das Leiden hat auf einmal einen Sinn: Läuterung von uns selbst und Identifikation mit dem leidenden Jesus.

Nach Jahren der täglichen Lektüre des Evangeliums bin ich auf einen interessanten Punkt gestoßen. Es geht um Johannes Evangelist.

Während des öffentlichen Lebens Jesu wandern die Apostel von Galiläa nach Judäa. Dabei kommen sie durch Samarien. Bei Lukas (9,52) finden wir folgenden Text: „Jesus schickte Boten in ein Dorf in Samarien, um eine Unterkunft zu besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Dan wandte er (Jesus) sich um und wies sie zurecht“.

Johannes kannte die Macht Gottes und wollte diese für die Vernichtung derer verwenden, die ihm keine Unterkunft anboten. Heavy! Man möchte meinen, Johannes hatte bis dahin, nichts, aber nichts von der Lehre Jesu verstanden.

Wir machen einen zeitlichen Sprung. Wir befinden uns auf dem Kalvarienberg, wo Jesus gekreuzigt wird. Bei Johannes (19,26) lesen wir: „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn!“ Johannes hat das Leiden Jesu sehr nah erlebt. Er hat die Worte Jesu an seinen Vater gehört, an seine Mutter, an ihn selbst, an den Schächer Dimas. Es waren Worte der Verzeihung, der Liebe. Das konnte und dürfte an Johannes nicht abprallen. Das Verhalten Jesu hat ihn verändert. Später wird er sehr viel über die Liebe Jesu zu uns und über die Nächstenliebe schreiben.

Nach der Kreuzigung kommt die Auferstehung. Jesus ist nicht mehr im Grab. Die Apostel bekommen Kunde davon und wollen sich vergewissern. Petrus und Johannes laufen zum Grab. Und hier entdecken wir -wie ich meine- die Wirkung des Kreuzes. Johannes schreibt (20,8) „Das ging auch der andere Jünger (Johannes) hinein, er sah und glaubte“. Johannes glaubt, Petrus nicht. Nicht in diesem Moment, erst später. Wir erinnern uns, Petrus war nicht am Kreuz. Später am See Genezareth wiederholt sich die Situation, dass es Johannes ist, der als erster den Herrn erkennt.

Das Kreuz hat Johannes verwandelt. Und dieser Effekt stellt sich auch heute in unserem Leben ein, dank der Leidenserfahrung. Man könnte es so formulieren: „Nur wer leidet, wird Jesus kennenlernen“. Zu dieser Schlussfolgerung kommen wir, wenn wir über unsere Erfahrungen im engen Familien- und Freundeskreis nachdenken. Und auch wenn wir die Bekehrungen von vielen Menschen analysieren. Nur auf dem Leidensweg werden wir Gott finden.

Vielleicht ist dies der Grund, warum Gott das Leiden zulässt. Damit verleiht Gott unserem Leben einen tieferen Sinn: Leiden als Wegbereiter für den Himmelgang.

Damit wollen wir das Leiden nicht verniedlichen. Wir erinnern uns an die Szene in Naïn, wo Jesus sich der Witwe erbarmt. Wir lesen bei Lukas (7,11) „Als der Herr (Jesus) die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine nicht! Dann ging er zu der Bahre hin und fasste sie an…Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!“. Diese Szene ist für mich eine der schönsten im ganzen Evangelium und sie führt uns vor Augen, wie ernst Jesus unser Leiden nimmt.

Die Liste der Texte ist lang, wo Jesus das Leiden der Menschen lindert. Und zugleich lesen wir bei Lukas (9,23): „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“. Dieser Text lässt sich kombinieren mit (Mt 11,28) „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen”. Bei Jesus erleben wir ein sowohl als auch. Leiden ja, und zugleich, Befreiung vom Leid.

Wir können versichert sein -und das ist meine Erfahrung: „wo Leid ist, ist Gott nicht weit“. Vielleicht lässt sich Gott sogar ohne Leid finden, aber über das Leid werden wir immer Gott finden, wenn wir es aus Liebe zu ihm tragen!

Leiden ins Positive umwandeln

Hier möchte ich dem Leiden eine positive Wendung geben, ohne den Verdacht des Masochismus zu wecken.

Mutter Teresa erhielt folgenden Kommentar: „Nicht einmal für 1 Mio. Dollar würde ich Ihre Arbeit machen“. Darauf Mutter Teresa: „Auch ich nicht“. In ihrem Buch „die Sprache des Herzens“ (1986) schreibt sie: „In diesem Kranken war Jesus gegenwärtig. Ich habe seine Gegenwart auf dem Gesicht dieses Kranken gesehen. Ein solches Erlebnis ist ein Geschenk Gottes“. Teresa fand wahrlich Gott bei ihrer Arbeit mit den Kranken und Armen.

Escrivá (1982) formulierte den gleichen Gedanken leicht anders: „Mit der Gnade Gottes, Leid in Freude verwandeln“. Krasser Satz und trotzdem richtig. Viele Heilige haben nach diesem Satz gelebt, ohne ihn so klar zu formulieren. Wir könnten sagen: „Am freudigen Umgang mit dem Leiden erkennen wir, ob jemand Jesus richtig verstanden hat“.

Paulus hat mit anderen Worten den gleichen Gedanken beschrieben (Röm 8,28): „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt”. Das setzt ein hohes Vertrauen an der Liebe Gottes voraus. Paulus hatte dieses Vertrauen gehabt und er ist damit gut gefahren, wie wir in seinen Schriften lesen können. Den Gedanke von Paulus können wir so formulieren: „Wer das Leiden aus Liebe zu Gott annimmt, erhält von Gott eine große Freude“.

In meinem Leben habe ich viele unheilbare Kranke mit einer tiefen Freude erlebt. Ihr Geheimnis: Die Krankheit aus göttlicher Perspektive betrachten. So verhielten sich meine Eltern, einige Freunde und Bekannte. Sie haben sich nicht gegen das Leid aufgelehnt, sondern vielmehr das Leid liebevoll angenommen. Man könnte meinen, sie haben den Satz Jesu verinnerlicht: „Habt keine Angst, ich bin es“ (Joh 6,20).

Ein bewährtes Mittel, um das Leid besser anzunehmen, ist der freiwillige Verzicht auf Komfort, auf Bequemlichkeit. Wer bereit ist, etwas Hunger, Durst, Müdigkeit freiwillig auf sich zunehmen, dem fällt es leichter, kleine Widerwärtigkeiten anzunehmen.

Zum Ende des Artikels möchte etwas Lustiges hinzufügen.

Wir sprachen vom positiven Aspekt des Leids. Stellen wir uns vor, wir sind Bergsteiger und wollen im Karwendelgebirge (Nordalpen) einen Gipfel in der Falk-Gruppe besteigen. Ausgangspunkt ist das Rißtal auf ca. 950 m Höhe. Der Gipfel vom Falkstein ist 2.347 m hoch, d.h. ca. 1.400 Höhenmeter müssen wir überwinden. Der Forstweg ist ca. 12 Km lang. Wir fahren mit dem Fahrrad auf dem Forstweg bis zur Falkenhütte auf 1.800 m. Anschließend haben eine Traverse von ca. 5 Km zu bewältigen. Am Ende kommt der Aufstieg zum Gipfel von 500 Höhenmeter. Und am Ende erreichen wir den Gipfel. Durst, Hunger, Sonnenbrand gehörten dazu. Der Rundblick vom Gipfel aus ist überwältigend. Es kompensiert für die ganze Anstrengung.

So könnten wir unser Leben auffassen. Viele Jahre des Leidens. Aber am Ende die Freude des Gipfels, d.h. des Himmels. Zusammen mit unseren Geliebten: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist, Maria, Josef, unsere Eltern, Verwandte, Freunde usw.

Im Übrigen den Rundblick auf dem Gipfel Falkstein (2.347 m) können Sie im Video genießen. Das Video habe ich am 24. August 2023 gedreht. Hier der Link zum Video.

Literatur

Escrivá, J.M. (1982) Der Kreuzweg, Adamas Verlag, Köln

Mutter Teresa (1986) Die Sprache des Herzens — Gedanken für jeden Tag, Herder, Freiburg

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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