von Gott „entführt“

Karl-Maria de Molina
8 min readNov 10, 2023

Glückliche Momente empfinden wir als kurzweilig und immersiv. In diesen Momenten vergessen wir alles andere. Ist es vorstellbar, dass wir auch solche Momente mit Gott erleben, als hätte er uns entführt?

Schöne Momente sind kurzweilig

Nach Corona war die Sehnsucht nach Urlaub sehr groß; am besten weit weg in einem fernen Ort. Nach der Rückkehr war im Freundeskreis oft zu hören: Der Urlaub war einfach zu kurz!

Dieses Gefühl erleben wir auch bei den Tätigkeiten, die uns große Freude bereiten: Bei kurzweiligen Filmen oder zu Besuchen bei Freuden usw. Was uns gefällt, was uns fesselt, kommt uns kurz vor. Und umkehrt, wir haben das Gefühl, Schmerzen halten ewig.

Und es gibt eine weitere Komponente: Fesseln. Was uns gefällt, fesselt uns. Wir sind gefesselt, wie verzaubert, wir tauchen ins Geschehen ein, als gäbe nichts anders. Die Faszination nimmt uns die Wahrnehmung für die Zeit.

Innerlichkeit Gottes

Menschen mit einer großen Gottes Innerlichkeit haben auch das Gefühl, dass die gemeinsame Zeit mit ihm zu kurz ist. In diesen Momenten sind sie wie entrückt. Man könnte meinen, „Gott hat sie entführt“. Wie lässt sich diese „Entführung“ beschreiben?

Alfons Maria von Liguori (2000) sagt dazu „Die Liebe zu Gott lässt den Heiligen sich selbst vergessen; sein einziges Verlangen ist es, dem Geliebten zu gefallen“. Hier kommen zwei Aspekte zusammen: Sich selbst vergessen und Gefallen suchen beim Geliebten. Wer das kann, erlebt u.U. diese „Entführung“, diese Momente der „Entrückung“.

Wenn ich diese Entführung beschreibe, insbesondere bei heiligen Menschen, entsteht bei uns der Eindruck, das ist nur für Auserwählte, für andere, nicht für mich. Und doch. Jeder von uns kann Momente der Freude erleben, die nicht daher rühren, dass wir beim Lotto gewonnen haben, o.ä. Meistens steht echte Freude in Verbindung mit wahrer Liebe. Wenn wir uns geliebt fühlen, dann entsteht ganz natürlich ein Gefühl der Freude. Sie hat keinen materiellen Kontext. Es handelt sich um eine Freude seelischer Natur.

Wir sind mit dem Satz vertraut: „Geben ist seliger als nehmen“. Die Autoren Burkhart — López (2016) haben dessen Fundament in Gott gefunden: „Die Verherrlichung Gottes ist ein Gut, dessen Besitz jede Sehnsucht des Wollens erfüllt“. Damit wird der Begriff „Entführung“ präzisiert. Eine Voraussetzung für diese Entführung ist der Wunsch, Gott verherrlichen zu wollen, d.h. ihm Ehre zu erweisen. Wie geht das? „Ich habe keine Ahnung“, könnte Ihre Bemerkung lauten -lieber Leser, liebe Leserin. Ich kläre auf.

Wir sind in einem familiären Umfeld aufgewachsen. Und haben daher von Kindesbeinen an Erfahrung, was es heißt, jemandem eine Freude bereiten zu wollen. Aber hier geht es nicht direkt um Ehepartner, Eltern oder Kinder, sondern um Gott.

Was meine ich mit dieser Entführung? Es handelt sich um eine innere Überzeugung, von Gott geliebt zu sein. Diese Überzeugung führt zu einer Freude in Verbindung mit einer inneren Ruhe und Gelassenheit. Es ist eine intime Zeit mit Gott, von du zu Du. Wir haben das Gefühl, von unserer Umwelt entrückt zu sein. Es ist ein inneres Wow!

Glückseligkeit bei Gott

Bislang haben wir nicht betrachtet, ob das Gesagte erstrebenswert ist oder nicht. Das Schöne dabei: Diese Entrückung, diese „Entführung“ kommt nicht auf eigener Initiative zustande, es ist vielmehr Gott, der uns diesen Zustand der Glückseligkeit schenkt. Gott ist sehr großzügig, dafür braucht er jedoch unsere Mitwirkung. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Entführung bei jemandem geschieht, der Gott hasst oder ihn willentlich ignoriert, oder nur an sich denkt. Hier in Zitat aus dem Buch der Weisheit (1,3): „Sucht den Herrn mit reinem Herzen, denn er lässt sich finden von denen, die ihn nicht versuchen und zeigt sich denen, die ihm nicht misstrauen“.

Die heilige Faustina Kowalska (1987) schrieb: „Ich verstand, dass getrennt von Gott keine Zufriedenheit möglich ist“. Wir würden gern Faustina widersprechen. Ist es nicht so, dass zufrieden auch sind, wenn wir mehr Gehalt bekommen, oder die Fußball-Mannschaft gewinnt usw.? Welche Zufriedenheit meint dann hier Faustina? Die Gott geschenkte Zufriedenheit geht viel tiefer, sie ist viel innerlicher als das bloße Glück nach einer Gehaltserhöhung.

Ein weiterer Einwand kommt gleich um die Ecke: „Wenn wir etwas mehr Alkohol zu uns nehmen als üblich, spüren wir auch die Leichtigkeit des Lebens ohne so viel Firlefanz“. Ja, Alkohol oder Drogen führen zu einem Zustand der Ekstase -so meine Antwort. Dies hat jedoch null, mit der erwähnten Entführung zu tun. Der Alkohol, die Drogen benebeln uns nur und helfen uns, für kurze Zeit Probleme auszublenden. Die hier gemeinte Entführung ist ein von Gott aus Liebe zu uns geschenkter Zustand der Glückseligkeit. Escrivá (1981) würde diese Entführung so beschreiben: „Den Kopf im Himmel, während die Füße auf der Erde bleiben“.

Bekanntlich ist „Freude die Währung Gottes“. Wenn wir uns darum bemühen, seine Gebote zu halten, dann zeigt er sich voller Großzügigkeit, und er schenkt uns diese Momente der Innerlichkeit. Dadurch erahnen wir, welche Glückseligkeit die Seelen im Himmel genießen dürfen. Ocáriz (2020) bringt es auf den Punkt: „wenn wir die anderen lieben, sind wir für Gott und seine Mutter Maria Grund zur Freude“. Wenn wir so handeln, dann lässt die Antwort Gottes nicht auf sich warten. Er sucht uns auf und schenkt uns wahre Freude. Eine Freude aus dem sich-von-Gott-geliebt-fühlen.

Wenn wir diese Momente der Freude erleben, dann wollen wir keinen Zwist mit anderen, dann empfinden die Widerwärtigkeiten als nicht so belastend. Es entsteht der Eindruck der Leichtigkeit, der Leichtfüßigkeit, als befänden wir uns auf dem berühmten „fliegenden Teppich“.

„Entführung“ als Zeichen einer tiefen Beziehung

Es gibt Menschen in unserem Umfeld sei es Familie, Freunde, Kollegen, deren Anwesenheit uns eine tiefe Freude bereitet. Das ist ein klarer Indiz einer tiefen Beziehung. Gleiches gilt für Gott. Diese Momente der Entführung sind nicht einfach Hirngespinste. Es die Antwort Gottes auf unsere Liebenswürdigkeiten mit ihm oder mit unseren Mitmenschen. Unser feinfühliger, demütiger Umgang mit ihm führt zu einer Intimität, wo diese Entführungen häufig vorkommen können. Eine Anekdote von meinem Freund Johann passt gut dazu.

Über Johann bin ich auf das Thema Entführungen Gottes aufmerksam gemacht worden. Im Laufe der letzten Jahre hat er mir einige Erfahrungen dazu erzählt. Lassen wir Johann zu Wort kommen: „In Situationen, wo ich allein bin, beim Autofahren, beim Bergsteigen oder Radfahren, habe ich den Eindruck, dass Gott diese Momente, wo ich nicht von anderen Beschäftigungen abgelenkt bin, nutzen will, um mit mir in einen intensiven Dialog zu treten. Mir kommt es so vor, dass er eigentlich immer bei uns präsent sein will. Nur, wir sind (fast) immer beschäftigt: Arbeit, Telefonate, Gespräche mit anderen usw. Da, wo ich allein bin, dann hat er eine „Chance“ mit uns in Verbindung zu treten. Nicht immer, aber oft spüre ich dann die Nähe Gottes mit einer weit höheren Intensität als in Zeiten des Gebetes. Als ich anfing, das zu erleben, war ich irritiert. Ich verstand nicht, was da geschah. Mittlerweile habe ich verstanden, das Gott eine Freude hat bei uns zu sein. Nicht zuletzt heißt es im Buch der Sprüche (8,31): Meine Freude ist es, bei dem Menschensohn zu sein. Einmal war ich so dreist, Jesus auf den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, er hat es von mir kopiert, das mit dem auf den Berg gehen, um zu beten, wie im Evangelium steht“.

Johann hat uns dieses schöne Zitat aus dem Buch der Sprüche in Erinnerung gerufen, das ich für sehr relevant für unsere Lebensgestaltung halte. „Gott wohnt mitten unter uns“ würden wir heute in einer einfachen Sprache sagen. Wenn Gott tatsächlich bei uns ist, sollten wir ihm nicht Eingang in unser Leben gewähren? Schnelle Antwort: Ja. Dann stelle ich die nächste Frage: Lässt sich dieser „nette“ Vorsatz in unseren Alltag integrieren? Wenn ich mir Johann anschaue, dann ja -wäre die logische Konsequenz!

Der Prophet Jesaja (58,1) schrieb: „Bete ohne Unterlass“. Hier ist nicht gemeint, dass wir ununterbrochen Vater-Unser beten. Vielmehr, die Gewissheit, dass sich Gott für unser Leben interessiert und dass wir in seiner Präsenz sind. Und weil es so ist, sagen wir ihm von Zeit zu Zeit „ich liebe Dich“. So wie wir es unseren Liebsten zu sagen pflegen.

Lassen wir uns von Gott mit diesen Liebkosungen beschenken, denn das sind diese „Entführungen“ Gottes. Viele Menschen u.a. Theresa von Ávila hat solche Entführungen erlebt. Sie war sich jedoch unsicher, ob das nicht eigene Einbildungen wären. Sie schreibt in ihrem Buch „Wie mit einem Freund“ (1998) „Der Teufel gab mir zu verstehen, eine Schau Gottes sei unmöglich und wäre nichts anders als meine Einbildung gewesen. Ich machte mir vor, es könne der Dämon oder irgendetwas anders gewesen sein“. Ja, der Teufel hat kein Interesse daran, dass wir diese intimen Zeiten mit Gott erleben, deswegen will er uns verwirren. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es sich tatsächlich um eigene Einbildungen handelt.

Meine Empfehlung

Gehen wir mit Gott um, als wäre er ein Freund in unserer Nähe. Achten wir auf seine Wünsche, erzählen wir ihm von uns. Daraus entsteht eine tiefe Beziehung. Und wenn er es für angebracht hält, wird er uns diese Momente der tiefen Innerlichkeit schenken, die wir hier liebevoll Entführungen genannt haben. Wir suchen diese nicht, Gott schenkt sie uns, wenn er es für angebracht hält. Respektieren wir seine Freiheit und beschenken wir ihn mit einem feinfühligen, demütigen Umgang.

Literatur

Escrivá, J.M. (1981) Freunde Gottes, Adamas Verlag, Köln

Ocáriz, F. (2020) A la luz del Evangelio, Madrid, Palabra

Burkhart, E., López, J. (2016) Alltag und Heiligkeit in der Lehre des Heiligen Josefmaria, Adamas, Köln

Kowalska, F. (1987) Divine Mercy in my Soul — Diary, Marian Press

von Liguori, A.M. (2000) Elemente einer Spiritualität der Liebe, Ebner, Ulm

von Ávila, T. (1998) Wie mit einem Freund — Wege zum Gebet, Benzinger Verlag, 1998, Zürich-Düsseldorf

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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