Es ist ein Röslein entsprungen

Karl-Maria de Molina
6 min readDec 16, 2023

Im Laufe der Jahrhunderte hat man die Geburt Jesu romantisiert. Sie bedeutete für seine Eltern eine massive Änderung ihrer Pläne. Gott hatte offensichtlich für sie etwas anders vor. Auch bei uns greift Gott manchmal in unsere Pläne. Wie reagieren wir darauf? Lernen wir von der Heiligen Familie, was es heißt, die Pläne Gottes zu lieben.

In wenigen Tagen feiern wir die Ankunft Jesu in unsere kleine Welt. Milliarden von Galaxien gibt es im Universum, aber nur bei uns auf der Erde hat sich der Sohn Gottes offenbart. Und als Offenbarungsort hat er sich ein kleines Nest ausgesucht, auch wenn im jüdischen Volk wohlbekannt. Im Buch Micha 5,1 wird der Geburtsort Christi angekündigt: „Aber du, Betlehem, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen“.

Im Laufe der Jahre hat man die Geburt Christi verklärt. Der Titel dieses Artikels ist dem Lied entnommen: „Es ist ein Ros´ entsprungen“. Romantisch klingt die Musik, die Wirklichkeit damals war wohl eine ganz andere. Maria und Josef hatten Monate im Voraus alles für die Niederkunft vorbereitet. Und urplötzlich die Nachricht vom Edikt des Kaisers Augustus. Josef als Familienvertreter und Nachkomme Davids muss dem Edikt zufolge zum Stammsitz der Familie nach Bethlehem reisen. Und das alles kurz vor Niederkunft Mariens. Was tun, haben sich Josef und Maria gefragt? Bethlehem ist circa 100 Km von Nazareth entfernt. Das bedeutet mindestens drei Reisetage mit zwei Übernachtungen. Für eine hochschwangere Frau wäre dies eine echte Tortur. Wie kam es, dass Maria doch die Reise angetreten hat? Füllte sie sich verpflichtet, ihren Mann zu begleiten? Waren sie inmitten des Chaos im Bilde, dass gemäß den Prophezeiungen Bethlehem der Geburtsort Jesu sein sollte? Die kanonischen Bücher klären uns nicht darüber auf, wie es dazu kam, dass Maria mitgereist ist. Auf apokryphen Quellen wollen wir hier nicht zurückgreifen. Allen Widrigkeiten zum Trotz reist Maria mit Josef -die Entscheidung steht.

In der Eile hat Josef keine Möglichkeit, eine Unterkunft in Bethlehem zu besorgen. Und so geschah das Malheur. Keine Herberge bot dem jungen Paar die nötige Intimität für die Niederkunft. Bei der Verkündigung wurde das Thema Jungfräulichkeit Mariens mit dem Erzengel Gabriel geklärt (Lk 1,34). In Jesaja 7,14 wird diese auch angekündigt: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben“. Maria sollte die Jungfräulichkeit auch während der Geburt bewahren. Solch ein Wunder musste als Familiengeheimnis bleiben. Nur Josef dürfte bei der Niederkunft dabei sein. Daher kam ein Platz in der Herberge nicht infrage.

Und so geschah, dass die Vorsehung für die Niederkunft einen Stall außerhalb der Stadtmauer vorgesehen hatte. Diese Lage hatte laut Willam (1953) zwei Vorteile: Die Hirten konnten in der Nacht zu Besuch kommen und die Flucht nach Ägypten wäre in der Nacht somit möglich. Ja, zwei Vorteile, jedoch viele Nachteile. Welche Menge an Ungeziefer dürfte das Stroh beherbergt haben! Wo haben Maria und Josef geschlafen? Laut der Tradition hatten ein Ochs und ein Esel dort ihr Zuhause. Wer von uns wäre bereit, da zu wohnen, zu schlafen?

Gott, der Schöpfer der Welt, hat für seinen Sohn keinen Palast bauen lassen. Ein Stall dürfte für ihn und seine Familie reichen. Armut und Demut sind die Insignien des neuen Königs der Juden. Seine Krone wird später aus Dornen geflochten sein. Kein Gold, keine Juwelen zieren sie. Doch, seine Tugenden und die seiner Familie verleihen der Krone den nötigen Glanz. Der Reichtum Christi, der Reichtum seiner Eltern, ist nicht materieller Art. Sein Reichtum transzendiert diese Welt.

Die Geburt Christi muss unsere Herzen aufrütteln, und wir sollen unseren Wertekanon, unsere Prioritäten, unsere Vorlieben hinterfragen. Genau das wollte Jesus durch diese krasse Bühne im Stall zu Bethlehem. Kein Rampenlicht, keine Scheinwerfer. Nur eine schüchterne Kerze beleuchtet das Ensemble.

Voriges Jahr habe ich den Besuch des Hirtenjungen Daniel im Stall inszeniert. Heuer will ich bei den Lehren dieser göttlichen Choreografie verweilen. Ich will für Sie, lieber Leser, liebe Leserin, und auch für mich Vorsätze fassen. Diese Geburt übertrifft alles Dagewesene; und sie überfordert uns zugleich. Machen wir uns ganz klein, damit wir uns als Kinder an Maria wenden können und sie fragen: „Liebe Mutter Maria, hilf mir, bitte, die Lehren aus dieser Geburt zu verinnerlichen und auf meinen Alltag zu übertragen. Verleihe mir die nötige Stärke, damit ich das wegschaffe, was mich auf dem Weg zu deinem geliebten Sohn bremst“.

Eine Geburt daheim in Nazareth wäre wünschenswert gewesen. Da hätten Maria und Josef ihrem Neugeborenen ein behagliches Zuhause bieten können. Aber nein, Gott hatte andere Pläne. Auch bei uns greift Gott in unsere Pläne ein und ändert diese, wenn nötig. Gewähren wir Gott dieses Recht. Er ändert unsere Pläne, damit unser Weg zum Himmel gelingt. Er will uns bei sich im Himmel haben, und dafür sind manchmal Planänderungen notwendig.

Seien wir so feinfühlig wie Josef und Maria. Wir kennen ihre Gebete nicht, als all das geschah. Der Evangelist Lukas erzählt uns von Maria, dass sie über das Erlebte nachdachte, d.h. darüber mit Gott betete, wenn sie etwas nicht verstand (Lk 2,19). Und wir? Was tun wir? Ärger, Frust oder wie Maria, Gebet zu Gott: „Gott, was du willst, das will ich auch“.

Was will uns Gott mit einer Geburt unter diesen Bedingungen sagen? Wenn ich Gott richtig verstehe, dann sagt er uns: „Die Probleme dieser Welt werden nicht mit Reichtum und Macht, sondern mit Erbarmen gelöst“. Gott ist gekommen, um zu verzeihen, uns mit Gott zu versöhnen. Und dafür reichen Liebe, Armut und Demut.

Vor dem Ende dieses Artikels ein Zitat eines Freundes, das gut dazu passt. Es geschah während der Heiligen Messe. Johannes, mein Freund, war im Gebet vertieft. Und dann hörte er im Herzen die Worte Jesu: „Du kannst so lieben wie ich, weil du Kind Mariens bist“. Vielleicht hören auch wir in diesen Tagen diese Wort Jesu. Dafür ist nötig, dass wir uns sehr klein machen und zu seiner Mutter gehen.

Schließen wir diesen Artikel mit den Worten vom Papst Benedikt XVI (2007): “Wir können hinter dem Bericht des Evangelisten etwas von ihrer mütterlichen Güte ahnen, von der Zärtlichkeit, mit der sie diesem Augenblick entgegenging. Der äußere Raum der Geburt ist der Stall, aber der innere Raum ist das Ja Mariens, ihre Bereitschaft, ihre Offenheit”.

Literatur

Willam, F. M. (1953) Das Leben Marias, der Mutter Jesu, Herder

Ratzinger, Joseph (2007) Weihnachtspredigten, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg

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Der Autor

Dr.-Ing. Karl-Maria de Molina hat Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Theologie studiert, und in Fahrzeugtechnik promoviert. Er hat Bücher über Automobiltechnik und Arbeitsmethodik geschrieben, und über Arbeitskultur und Kompetenzentwicklung herausgegeben. Er hat mehrere Lehraufträge in deutschen Universitäten; er hält Seminare über Führungskräfteentwicklung; er hat mehrere Unternehmen gegründet und innovative Produkte entwickelt und vermarktet.

Das notwendige Wissen für diese Artikelreihe hat der Autor erworben durch das Studium der Philosophie und Theologie, durch die tägliche Lektüre des Evangeliums und geistlicher Bücher; durch den täglichen Besuch der Eucharistie; durch die wöchentlichen Gespräche mit dem geistlichen Leiter und durch die Beichte; durch die wöchentliche Teilnahme an Vorträgen über geistliche Themen; durch monatliche Einkehrtage; durch jährliche Exerzitien.

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